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Innovationssystem

Ohne vernetzte Ökosysteme bleibt Innovation Stückwerk

Illustration Netzwerk
Illustration: Jens Bonnke

Herr Hanselka, wie sehr hängt Ihnen die Sache mit dem MP3-Format immer noch nach?
(lacht) Wir profitieren immer noch davon! Fast 30 Jahre ist es her, dass das MP3-Format von Fraunhofer-Forscherinnen und -Forschern entwickelt wurde – damals war es der erste Beweis, dass man mit wissenschaftlichen Erkenntnissen am Ende auch viel Geld verdienen kann. Bis heute fließen Lizenzgebühren aus Nachfolgeprodukten aus dieser Erfindung zu Fraunhofer. 

Moment: Das richtig große Geld ist mit den MP3s aber nicht in Deutschland verdient worden, sondern im Ausland – von den MP3-Playern bis hin zu den Streamingdiensten.
Wir haben es geschafft, dass unsere Standards verwendet werden und dass wir bis heute Marktführer bei der Weiterentwicklung dieser Standards sind. Und wir partizipieren an dem Wert, den das Produkt am Markt hat. Aber Sie haben natürlich recht: Schöner wäre es, wenn es uns gelingen würde, auch die Produktionsprozesse zurück ins Land zu holen und die Fertigungstiefe in Deutschland zu vergrößern. Das gilt übrigens nicht nur für die Elektronikindustrie; wir reden zum Beispiel auch von der Batterieproduktion, den Mikrochips, medizintechnischen Produkten oder Pharmazeutika. Souveränität bedeutet, nicht nur Ideen zu haben und Lizenzen zu vermarkten, sondern auch zu produzieren.

Auf welcher Seite liegt da der Ball – ist das eine Aufgabe für die Politik?
Mit dem Finger auf andere zu zeigen, ist nie die Lösung. Wir brauchen Innovationsökosysteme in verschiedenen Regionen, wo Forschungseinrichtungen direkt mit kapitalstarken Unternehmen aus der Industrie zusammenarbeiten. Und es gehören auch disruptive Elemente dazu, also etwa Start-ups, die auch mal ein gewisses Risiko eingehen, vor dem ein gestandener Unternehmer vielleicht zurückschreckt. Tolle Forschungsleistungen mit Unternehmertum zusammenzubringen – das ist der Schlüssel zum Erfolg.

Holger Hanselka, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, spricht auf dem Podium des Gipfels für Forschung und Innovation 2025.
Foto: David Ausserhofer

Holger Hanselka ist Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft. Zuvor stand er zehn Jahre lang an der Spitze des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), das zur Helmholtz-Gemeinschaft gehört. Der promovierte Maschinenbauingenieur war Professor für Adaptronik in Magdeburg und später an der TU Darmstadt. Er gründete mehrere Unternehmen. Auf dem Gipfel für Forschung und Innovation 2025 (Foto) diskutierte er mit Fachleuten aus Politik und Wirtschaft über das Thema „Strukturver­änderungen im Forschungs- und Innovationssystem“. 

Werden wir doch konkreter: Wie wirkt Fraunhofer dabei mit, solche Ökosysteme entstehen zu lassen?
Unsere Daseinsberechtigung ist ja, dass wir mit Unternehmen zusammenarbeiten, in ihrem Auftrag forschen und damit einen gesamtgesellschaftlichen Mehrwert produzieren. Anders als andere Forschungseinrichtungen finanzieren wir uns zu mindestens zwei Dritteln unseres Grundhaushalts im Wettbewerb aus eigener Kraft, denn wir erhalten nur maximal ein Drittel institutionelle Förderung, die Grundfinanzierung. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal und auch unser Geschäftsmodell. Gemäß unserem Auftrag, Innovationen in Deutschland voranzubringen und die deutsche Wirtschaft zu stärken, betreiben wir 20 sogenannte Leistungszentren über die gesamte Republik verteilt; dort, wo es passende Ökosysteme mit einer Universität, einer Fachhochschule, mittelständischen Unternehmen und anderen Partnern gibt. In Ostwestfalen-Lippe zum Beispiel geht es um den gezielten Einsatz von KI in der Produktentwicklung – quasi um ein ChatGPT für Ingenieurinnen und Ingenieure. Im Raum Karlsruhe beschäftigt sich das Karlsruhe Mobility High Performance Center mit zukunftsweisenden Mobilitäts- und Logistiklösungen. Anderswo geht es um Themen wie Leichtbau, Produktionstechnik, Mikroelektronik und so weiter.

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Sie sind ja selbst Ingenieur. Haben Sie den Eindruck, dass Innovationen heute anders entstehen als früher – braucht es zum Beispiel mehr interdisziplinäre Zusammenarbeit, ist mehr Geld nötig?
Einer meiner Vorgänger hier bei Fraunhofer, Hans-Jörg Bullinger, hat immer gesagt: „Forschung ist, wenn aus Geld Wissen entsteht. Und Innovation ist, wenn Wissen in Geld umgewandelt wird.“ Am Ende geht es darum, Ergebnisse aus der Wissenschaft am Markt zu positionieren, und da haben sich die Dinge tatsächlich verändert. Es gab schon immer die Konzerne, die beispielsweise ein Kraftwerk komplett angeboten haben. Aber dieses System besteht aus unheimlich vielen Komponenten, die in der Regel vom Mittelstand zugeliefert werden – das ist das Besondere bei uns in Deutschland. Die Mittelständler haben ihre Expertise häufig in einer einzelnen Komponente und sind da Weltmarktführer. 

Und was hat sich daran geändert?
Die Zeit des technisch perfekten Zahnrads, das nichts weiter ist als ein Zahnrad – die ist vorbei. Heute braucht man mindestens ein intelligentes Zahnrad mit einer integrierten Sensorik und einer automatisierten Wartungsfunktion. Das zeigt, dass der einzelne Mittelständler wiederum ein Netzwerk braucht, um sein Produkt um die dazugehörige Elektronik und die Schnittstellen zu ergänzen.

Sie selbst haben als Ingenieur mit Eisen, Stahl und Kunststoffen gearbeitet …
… aber die Welt hat sich weiterentwickelt: Die regelungstechnischen Aspekte, die Programmierung, der KI-Ansatz für die daraus gewonnenen Daten – das muss alles mit rein in ein Produkt. Bei Fraunhofer sind deshalb unsere Institute nicht mehr wie früher monolithische Einheiten, die alleine unterwegs sind, sondern sie arbeiten in Verbünden zusammen. Und genau das passiert natürlich bei anderen Forschungseinrichtungen auch.

Poträtbild Holger Hanselka
Foto: Fraunhofer/Stefan Obermeier

„Wir müssen kein zweites Google oder Microsoft hier bei uns aufbauen, sondern uns fragen: Welches sind die Anwendungen der Zukunft? Und: Was ist unsere Spezialität, auf der wir aufbauen können?“

Holger Hanselka
Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft

Viele der schlagkräftigsten Innovationen werden aber in Bereichen gemacht, in denen der deutsche Mittelstand so gut wie gar nicht vertreten ist: bei KI, bei Supercomputing, Quantenrechnern und so weiter. Die „Big Five“ der US-Technologiebranche investieren auf diesen Feldern Milliardensummen – wie kann Deutschland da mithalten?
Es gibt Bereiche, in denen uns die USA komplett abgehängt haben. Das ganze B2C-Geschäft – also der Bereich des Geschäfts mit Endkundinnen und Endkunden – und die Plattformökonomie. Da ab jetzt hinterherzurennen, ist sicher der falsche Ansatz.

Was ist die Alternative?
Denken Sie daran, wie es die chinesische Autoindustrie gemacht hat. Die war in einer sehr ähnlichen Lage, sie hätte unserem deutschen Know-how jahrelang hinterherlaufen können. Stattdessen haben sie entschieden, einen neuen Standard zu setzen, und zwar im Bereich der Elektromobilität. Sie haben sich damit vor die Welle gesetzt, weil sie bei den Verbrennern den Wettlauf nicht hätten gewinnen können. Daraus müssen wir lernen. Wir müssen kein zweites Google oder Microsoft hier bei uns aufbauen, sondern müssen uns fragen: Welches sind die Anwendungen der Zukunft? Und: Was ist unsere Spezialität, auf der wir aufbauen können?

Was würden Sie auf diese Fragen antworten?
Ganz klar: Wir werden um die mittelständische Struktur mitsamt ihrem Datenwissen und den Datenschätzen weltweit beneidet. Vieles davon bekommen die Verbraucherinnen und Verbraucher gar nicht mit, das spielt sich im Bereich B2B ab – also dort, wo die Industrie der Industrie Leistungen anbietet. Dort entstehen Datensätze mit einem spezifischen Wissen, das sehr viel Geld wert ist. Mit anderen Worten: In vielen Bereichen der allgemeinwissenden KI ist für uns der Zug abgefahren. Aber wenn es um eine spezifische KI geht, die Fertigungen inklusive der Robotik steuert, Lieferketten dimensioniert, Arbeitsabläufe verbessert – da bin ich der festen Überzeugung, dass wir darin eine Vorreiterrolle einnehmen können. Wir müssen uns allerdings ordentlich anstrengen, denn andere haben dieses Feld natürlich auch schon entdeckt.

Hat denn Deutschland die Chance, die guten Köpfe anzulocken oder zu halten, die für diese Technologien nötig sind? Mit den Gehältern aus den USA zum Beispiel können ja Fraunhofer, Helmholtz und die anderen hiesigen Player nicht mithalten.
Ich war ja lange Präsident des KIT in Karlsruhe, und da habe ich viele Berufungsgespräche geführt. Wir müssen unser Licht tatsächlich nicht unter den Scheffel stellen: Die Möglichkeiten, die sich mit einer Professur an deutschen Universitäten öffnen, sind nach wie vor sehr attraktiv. Und jetzt bei Fraunhofer suchen wir Leute, die beide Welten kennen und verbinden – die der wissenschaftlichen Spitzenforschung und der industriellen Anwendung. Aus dieser Kombination heraus entsteht ein ganz besonderer Nährboden für Innovationen. 

Gipfel für Forschung und Innovation

Der „Gipfel für Forschung und Innovation 2025“ fand am 7. November 2025 in Berlin statt und stand unter dem Motto  „Zeit zu handeln – für mehr Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland und Europa“. Der Gipfel bot ein Forum für Politik, Wissenschaft und Wirtschaft, um aktuelle Entwicklungen der Forschungs- und Innovationspolitik zu diskutieren, insbesondere vor dem Hintergrund globaler Umbrüche, geopolitischer Spannungen und technologischer Fortschritte. Schwerpunkte waren die Herausforderungen für Deutschland und Europa im internationalen Wettbewerb, Investitionen in Schlüsseltechnologien wie Künstliche Intelligenz und Quantentechnologien sowie die Sicherung von Innovationsfähigkeit und Wertschöpfung. 

Der Gipfel wird vom Stifterverband, der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) und der VolkswagenStiftung organisiert. Ziel ist es, Deutschland als Ort innovationsbasierter Wertschöpfung und wissenschaftlicher Durchbrüche zu stärken und konkrete Lösungsansätze für drängende Fragen zu erarbeiten.

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