Chancengerechtigkeit

Jenseits jeder Schublade

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Andreas Lüttringhaus (Foto: Henning Ross)
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Jeans, T-Shirt, graue Wollmütze, Vollbart – rein optisch unterscheidet sich Andreas Lüttringhaus nicht von vielen seiner Kommilitonen. Seine 39 Jahre sieht man ihm nicht an, er wirkt locker zehn Jahre jünger. Doch der erste Eindruck täuscht – der Vater von drei Kindern blickt auf eine bewegte Vergangenheit zurück. Schon in puncto Schulabschluss brach er mit der familiären Tradition und machte nach der mittleren Reife sein Abitur. Danach ging er zunächst „auf Nummer sicher“ und entschied sich für eine Ausbildung in der Systemgastronomie. Nach mehreren Jahren in verschiedenen Großküchen, zuletzt als stellvertretender Produktionsleiter, stellte sich ihm jedoch die Sinnfrage: „Mir wurde klar, dass das nicht alles sein konnte“, erinnert er sich. „Die Mischung aus langen Arbeitszeiten und bescheidenem Gehalt brachte mich dazu, nach einer beruflichen Alternative zu suchen.“

Die fand er zunächst in der Versicherungsbranche. Nach einer Ausbildung zum Versicherungskaufmann arbeitete er erfolgreich selbstständig in diesem Beruf. Auch privat lief alles rund. 2007 kam seine Tochter zur Welt, 2010 folgten die Zwillingsjungen. „Wir hatten eine gute Zeit. Bis dann plötzlich die Krankheit kam.“ Als er Anfang 30 war, stellte man eine seltene Autoimmunerkrankung bei ihm fest. Die Folgen waren dramatisch für die junge Familie: Drei Jahre lang konnte Andreas Lüttringhaus krankheitsbedingt nicht arbeiten. „Das war sehr schwer für uns, wir waren auf staatliche Unterstützung angewiesen.“ Denn die eigene Berufsunfähigkeitsversicherung zahlte nicht. Es folgten langwierige juristische Auseinandersetzungen, die den Erkrankten seelisch derart belasteten, dass er nach seiner Genesung nicht weiter in der Branche arbeiten wollte. 

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Andreas Lüttringhaus (Foto: Henning Ross)
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Systemgastronom, Versicherungskaufmann, Student – Andreas Lüttringhaus hat über Umwege seinen Weg an die Hochschule gefunden.

Doch wie sollte es beruflich weitergehen? „Während meiner Krankheit war ich oft richtig verzweifelt. Hilfe fand ich bei verschiedenen Beratungsangeboten der Stadt. Die Menschen dort haben mich immer wieder aufgebaut, mir Mut und Hoffnung gegeben. Das waren meine persönlichen Lichtblicke, die mich über Wasser gehalten haben.“

Tor zum Traumberuf

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Andreas Lüttringhaus (Foto: Henning Ross)
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Als es ihm gesundheitlich besser ging, wurde Andreas Lüttringhaus klar, dass er solche Lichtblicke für andere schaffen wollte. So entdeckte er seinen Traumberuf: Sozialarbeiter. Doch dafür brauchte er einen Studienabschluss. Zunächst erschien ihm das utopisch. „Ich stamme aus bescheidenen Verhältnissen. Meine Eltern haben nicht studiert“, erklärt er. „Auch im Freundeskreis war ich der Einzige, der sich für ein Studium interessierte.“ Entsprechend verhalten reagierte sein Umfeld, was seine eigene Unsicherheit verstärkte: „Schaffst du das überhaupt? Bist du nicht viel zu alt? Was ist mit der Familie, wie sollen wir ein Studium finanzieren?“, fragte er sich. 

Unterstützung für sein Vorhaben fand er schließlich bei einem Cousin, der selbst gerade sein Studium abgeschlossen hatte – auch er ein Studienpionier. „Mein Cousin machte mich auf das Projekt Studienpioniere an der FH Düsseldorf aufmerksam und riet mir, mich um ein Stipendium zu bewerben.“ Aufgrund seines Alters war Andreas Lüttringhaus zwar mehr als skeptisch, versuchte es aber dennoch mit der Bewerbung. Mit Erfolg: 300 Euro erhält er monatlich aus dem Deutschlandstipendium. Geld, das ihm und seiner Familie ein wenig Freiraum verschafft: „Dank des Stipendiums muss ich weniger arbeiten und habe mehr Zeit für meine Frau und meine Kinder.“ Dennoch ist seine Woche prall gefüllt. Denn Andreas Lüttringhaus ist ehrgeizig. Statt in den für ein Teilzeitstudium vorgesehenen zwölf Semestern will er seinen Abschluss schon nach acht Semestern in der Tasche haben. Hinzu kommen Jobs, mit denen er zusätzliches Geld verdient. So berät er als Tutor Kommilitonen dabei, ihren Studienalltag zu organisieren. Zudem ist er als studentischer Mitarbeiter beim Forschungsprojekt Studienpioniere der Hochschule Düsseldorf aktiv. Sie war eine von zehn Hochschulen, die beim Gemeinschaftsprogramm „Studienpioniere“ von Stifterverband und Stiftung Mercator ausgezeichnet wurde (siehe Kasten).

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(Stifterverband/Stiftung Mercator)
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Die Initiative Studienpioniere, ein Gemeinschaftsprogramm des Stifterverbandes und der Stiftung Mercator, unterstützt Fachhochschulen dabei, mehr Menschen aus Familien ohne akademische Tradition mit und ohne Migrationshintergrund zur Aufnahme und zum Abschluss eines Hochschulstudiums zu motivieren, sie im Studienverlauf zu begleiten und ihnen den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu erleichtern. Die Förderung der zehn ausgewählten Hochschulen – unter ihnen die Hochschule Düsseldorf – startete Ende 2013. Zusätzlich erhielten die Hochschulen je 18 Stipendien in Höhe von monatlich 150 Euro pro Pionier für eine Laufzeit von bis zu vier Jahren. Diese können – wie bei Andreas Lüttringhaus – im Rahmen des Deutschlandstipendiums durch Bundesmittel auf 300 Euro aufgestockt werden.

Mehr Informationen zum Förderprogramm 

Mut zur Veränderung

Die größte Hürde für einen Studienpionier: „Das wissenschaftliche Arbeiten und die internen Abläufe an der Hochschule.“
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Andreas Lüttringhaus (Foto: Henning Ross)
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Fragt man ihn nach den größten Hürden, die man als Studienpionier bewältigen muss, hat er eine klare Antwort: „Das wissenschaftliche Arbeiten und die internen Abläufe an der Hochschule.“ Er selbst hat sich viele dieser Grundlagen selbst erschlossen. Abends, wenn die Kinder schliefen, setzte er sich intensiv mit Vorlesungsverzeichnis, Studienordnung und den Regeln wissenschaftlichen Arbeitens auseinander. Praktische Hilfe fand er zudem bei den vielfältigen Beratungs- und Informationsveranstaltungen des hochschuleigenen Förderprogramms für Studienpioniere. „Solche Angebote sollte man unbedingt in Anspruch nehmen“, sagt der künftige Sozialarbeiter. „Denn als Studienpionier muss man die Hürden des Hochschulalltags allein bewältigen. Eltern, Geschwister und die meisten Freunde können dabei nicht helfen, da sie ebenso wenig Erfahrung mit dem Hochschulbetrieb haben wie man selbst.

Und was rät Andreas Lüttringhaus potenziellen Studienpionieren noch? Mutig zu sein und es einfach zu versuchen mit dem Studium. „Man wächst an dieser Herausforderung und erschließt sich völlig neue Welten“, fasst er seine Erfahrungen zusammen. „Aber man verändert sich auch, was wiederum das Verhältnis zum bisherigen Freundeskreis, zu den Eltern und Geschwistern beeinflusst. Das muss man aushalten können.“

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