Heike Schaumburg: Algorithmen können Lehrer nicht ersetzen

"Beim Lernen geht es nicht nur um Algorithmen, sondern um zwischenmenschliche Interaktion und Kommunikation."

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Können Algorithmen den Unterricht wirklich verbessern? Computerprogramme für die Schule haben durchaus Potenzial, meint Heike Schaumburg, Studiengangskoordinatorin Lehramt an der Humboldt-Universität zu Berlin. Aber in einem entscheidenden Punkt habe die Lernsoftware, die es bisher auf dem Markt gibt, die Hoffnungen enttäuscht. Und wie sieht idealer Unterricht eigentlich aus?
 

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Transkript des Videos

Wir werden auch nicht dahin kommen, dass Algorithmen jemals die Lehrkräfte ersetzen können, weil es geht hier eben beim Lernen nicht nur um Algorithmen, sondern um zwischenmenschliche Interaktion und Kommunikation.

Ich sehe eigentlich das Potenzial gar nicht so sehr nur im Üben, sondern eigentlich darin, dass Computer unheimliche Freiräume fürs Lernen bieten. Also, sie können Lernmaterial in ganz unterschiedlicher Form anbieten. Sie können verschiedene Inhalte verfügbar machen. Und insofern glaube ich, dass die für Lehrkräfte vor allem die Möglichkeit erweitern, wie sie eben mit Schülern individualisiert arbeiten können.

Wir haben einerseits diese Übungsprogramme, die eben tatsächlich tutorielle Unterstützung für jeden einzelnen Lernenden bieten können und die eben dann tatsächlich jedem Lerner dort helfen können, wo er Schwierigkeiten hat. Solche Programme heutzutage haben häufig eine Komponente für Lehrkräfte, die den Lehrern dann eben auch zeigt, bis wohin Schüler gekommen sind, an welchen Stellen sie Schwierigkeiten haben. Und da, denke ich, können eben Computer sehr viel für die Diagnostik und die individuelle Lernunterstützung durch die Lehrkräfte dann auch wieder tun. Und die Freiräume, die ich gerade ansprach, die sehe ich einerseits in Programmen, die eben so wie Simulationsprogramme einfach, ich sag mal, einen Lernraum bereitstellen, in dem die Lernenden selber ausprobieren können, wie Dinge zusammenhängen. Also, ich gebe mal ein Beispiel aus der Mathematik. Da gibt es Geometrie-Software, mit der eben Schüler ausprobieren können, wie Dreiecke konstruiert sind. Was passiert, wenn man die Längen im Dreieck ändert, was mit der Winkelsumme passiert oder eben auch nicht passiert und solche Dinge. Also, da kann jeder Lernende und jede Lernende auf seine Art sich mit dem Lerngegenstand beschäftigen. Und ein drittes und letztes Beispiel noch, natürlich auch die Fülle von Informationen, die das Internet bereithält, geht eben weit über das hinaus, was wir mit Lehrbüchern oder Arbeitsblättern zur Verfügung stellen können. Und auch wenn ich nichts davon halte, die Schüler einfach so aufs Internet loszulassen, denke ich, dass da aber schon sehr viele Möglichkeiten für Lehrkräfte sind oder auch für Schülerinnen und Schüler sind, sich individualisiert mit Lerngegenständen auseinanderzusetzen.

Ich würde sagen, nach allem, was mir bisher begegnet ist: Algorithmen können bisher noch nicht und nie besser entscheiden als eine Lehrkraft, was ein Kind braucht. Es ist auch interessant, dass viele Programme, die evaluiert wurden, die so individualisiertes Lernen unterstützen, eigentlich gezeigt haben, dass die Lernenden, wenn die aber ganz allein gelassen werden mit diesen Programmen, damit gar nicht so fürchterlich gut lernen und dass vor allen Dingen lernschwache Schüler am Ende sich gar nicht so sehr viel verbessern. Also, diejenigen, die wiederum mit diesen individualisierten Programmen besser klarkommen, das sind leistungsstarke Schüler häufig. Und ich denke, die kommen deswegen besser damit klar, weil die ohnehin leichter lernen können, weil die bessere Strategien haben, weil die sich besser überprüfen, ob die was schon können oder nicht. Und Schüler, die sowas nicht so gut können, die brauchen unbedingt eine Lehrkraft. Also, denen hilft, denke ich, kein Algorithmus, der ihnen sagt: Schau mal, das musst du dir nochmal genau angucken! Die klicken halt einfach irgendwohin, bis die richtige Antwort kommt. Und in dem Moment braucht man einfach einen Lehrer auch, die persönliche Interaktion. Also, deswegen ist meine Prognose zu dem Thema: Wir werden auch nicht dahin kommen, dass Algorithmen jemals die Lehrkräfte ersetzen können, weil es geht hier eben beim Lernen nicht nur um Algorithmen, sondern um zwischenmenschliche Interaktion und Kommunikation.

So ein Unterricht, denke ich, der müsste in jedem Fall Freiräume eröffnen. Freiräume für diejenigen, die schneller lernen, mit dem Stoff eben schneller voranzuschreiten, für diejenigen, die mehr Unterstützung brauchen, Unterstützung zu bekommen, für diejenigen, die mehr Zeit brauchen, sich mehr Zeit zu nehmen. Und gleichzeitig, würde ich aber sagen, ist ein guter, individualisierter Unterricht eben nicht einer, wo einfach jeder seinen eigenen Lernstoff bearbeitet und so sein eigenes Ding macht, sondern der muss auch immer noch etwas Gemeinsames haben und sein. Das heißt, guter Unterricht, denke ich, hat dann viel solche Arbeitsformen, wo Schülerinnen und Schüler mit ihren unterschiedlichen Voraussetzungen, mit ihren Stärken und Schwächen, aber auch an gemeinsamen Gegenständen, an gemeinsamen Projekten arbeiten können. Und auch da kann der Computer wieder unterstützen, muss er aber nicht, also eben auch wieder in dem Sinne, dass er unterschiedliche Inhalte anbietet, mit denen sich die Schülerinnen und Schüler beschäftigen, dass er auch Schülerinnen und Schülern, die Nachholbedarf haben, noch Unterstützungmöglichkeiten bietet, dass Schülerinnen und Schüler gemeinsam an digitalen Produkten arbeiten, also, das ist, glaube ich, auch nochmal so ein Beispiel, wo Schüler und Schülerinnen mit ganz unterschiedlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten gemeinsam etwas erstellen können, wo jeder sich einbringen kann und wo am Ende etwas herauskommt, wo alle darauf stolz sind und alle auch einen Anteil daran hatten.