Innovationssystem

Digital engagiert

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Foto: Tobias Koch
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Hanna Lutz hat vor drei Jahren vostel.de mit gegründet, die Onlineplattform, auf der Freiwillige mit ein paar Klicks Aufgaben und Projekte finden, für die sie sich engagieren können. Nun sitzt sie im Büro des sozialen Unternehmens in Berlin-Neukölln und grübelt mit ihrem Team darüber nach, wie es weniger technologieaffinen Vertretern gemeinnütziger Organisationen leichter gemacht werden kann, ihre Ehrenämter auf der Webseite zu präsentieren.

In der Geschäftsstelle des LandesSportBundes Niedersachsen in Hannover telefoniert Kristin Levin mit Vereinsvorständen sowie Experten aus der Start-up-Szene. Sie ist Organisationsberaterin und zu ihren Aufgaben gehört es, Impulse für die Weiterentwicklung der Landesfachverbände zu geben. Aktuell arbeitet sie daran, mit sechs dieser Verbände in einem Pilotprojekt eine gemeinsame Onlinegeschäftsstelle aufzubauen.   

Ein paar Kilometer entfernt sitzt in Hannover Christoph Reinders an der Leibniz Universität. Er ist Informatiker und leitet das Projekt Pfandschaf(f)t. Dahinter stehen acht Nachwuchswissenschaftler, die eine App für die Webseite Pfandgeben.de entwickeln. Darüber können Flaschenspender mit Flaschensammlern, die gewöhnlich das Leergut auf der Straße suchen, in Kontakt treten und ihre Flaschen von ihnen abholen lassen. Technisch läuft alles rund. Doch jetzt stehen andere Probleme auf der Agenda des Projektteams, zum Beispiel die Frage, wie sich die App langfristig finanzieren lässt.  

Seit März ist das Pfandschaf(f)t-Team nicht mehr allein bei der Suche nach Lösungen. Es wird gefördert im Rahmen der Initiative digital.engagiert, so wie vostel.de und der LandesSportBund.    

Die Initiative

Digital.engagiert ist eine Förderinitiative von Amazon und dem Stifterverband, die sich zum Ziel gesetzt hat, zur Digitalisierung der Zivilgesellschaft beizutragen. „Die Initiative fördert gemeinnützige Organisationen und Sozialunternehmen dabei, die Chancen der digitalen Technologien für sich zu nutzen“, sagt Lydia Markowski. Sie ist bei ZiviZ im Stifterverband projektverantwortlich für die Förderinitiative. 

Gestartet ist die Initiative mit einem Wettbewerb, bei dem sich gemeinnützig tätige Organisationen und Sozialunternehmer mit digitalen Projektvorhaben bewerben konnten. Aus den 160 Einsendungen von Vereinsmitgliedern, Ehrenamtlichen und Mitarbeitern gemeinnütziger Organisationen und Sozialunternehmen wurden von einer hochkarätigen Jury 15 ausgewählt, die nun an einem Förderprogramm teilnehmen – und eine finanzielle Unterstützung von insgesamt 150.000 Euro erhalten. Die Teilnehmer werden ein halbes Jahr lang von einem persönlichen Coach begleitet und mit Experten vernetzt, die ihnen Antworten auf ihre speziellen Fragen geben können. Außerdem haben sie die Möglichkeit, Trainings, Webinare und Treffen mit anderen Geförderten wahrzunehmen, bei denen es um allgemeine Themen geht, die so gut wie alle Teilnehmenden betreffen – von der Geschäftsmodellentwicklung über die IT-Infrastruktur bis hin zur Kommunikation. Zum Abschluss der Initiative werden die drei erfolgreichsten Projekte als Gewinner ausgezeichnet.

Amazon stellt das technische Know-how und die Infrastruktur zur Verfügung. „Expertinnen und Experten von Amazon und Amazon Web Services unterstützen die Teilnehmenden etwa bei den Fragen, wie sich Innovationsprozesse steuern lassen, wie sie mit großen Mengen an Daten umgehen oder wie sie maschinelles Lernen für sich nutzen können. Wie baut man eine eigene cloudbasierte IT auf? Welche Programme eignen sich für welche Angebote?“, sagt Ralf Kleber, Country Manager von Amazon.de und selbst Mitglied der Jury.

Ralf Kleber, Amazon Country Manager und Mitglied der Jury, beim Trainingstreffen in Berlin
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Ralf Kleber (Foto: Tobias Koch)
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„Die Digitalisierung verändert unser Privatleben, unser Arbeitsleben und auch die Art und Weise, wie wir uns zivilgesellschaftlich organisieren“, sagt Lydia Markowski. Die Initiative solle gemeinnützig tätigen Organisationen und Unternehmen Mut machen, sich der Digitalisierung zu stellen und sie als Chance wahrzunehmen. Der Bedarf an digitalem Know-how sei groß – und es sei an der Zeit, dass alle zivilgesellschaftlichen Akteure Strategien zu ihrer Digitalisierung entwickeln.

Wie dringend notwendig dies ist, hat auch eine Studie des sozialen Laboratoriums betterplace.org festgestellt, bei der im Sommer 2017 mehr als 160 Mitarbeiter von Non-Profit-Organisationen befragt wurden: Rund 70 Prozent der Teilnehmenden hielten es danach für sehr relevant für ihre Organisation, die Möglichkeit zu haben, über digitale Tools administrative Aufgaben wie die Mitglieder- oder Spendenverwaltung effizienter abwickeln zu können. Nur jede vierte Organisation jedoch sei auf diese Entwicklung vorbereitet. Jede zweite wisse kaum etwas darüber, wie man Ehrenamtliche über digitale Kanäle besser koordinieren, Fundraising-Kanäle einsetzen oder das Nutzerverhalten analysieren und für sich nutzen kann.

„Die Digitalisierung verändert auch die Art und Weise, wie wir uns zivilgesellschaftlich organisieren.“

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Foto: privat
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Lydia Markowski
Projektmanagerin bei digital.engagiert

Ähnliche Ergebnisse brachte der ZiviZ-Survey des Stifterverbandes: „Nach unserer Umfrage wissen wir, dass nur gut über die Hälfte der ehrenamtlich Engagierten in Deutschland – nämlich 60 Prozent – digitale Hilfsmittel nutzt“, sagt Lydia Markowski. „Uns geht es nicht nur darum, zu vermitteln, wie digitale Tools auf einer Internetseite integriert werden. Mit der Digitalisierung haben sich Prozesse und Strukturen bereits ganz grundlegend verändert und werden dies auch weiterhin tun“, sagt die 31-Jährige.

Der LandesSportBund Niedersachsen

Im LandesSportBund Niedersachsen sind 9.476 Mitgliedsvereine mit insgesamt weit mehr als 2,6 Millionen Mitgliedern organisiert. Viel Verwaltungsarbeit ist da erforderlich, die von Ehrenamtlichen aus kleineren und mittleren Verbänden zu leisten ist. „Um diese Arbeit für sie leichter zu machen, tun sich immer mehr Vereine zusammen und suchen nach Wegen, wie sich die Digitalisierung dafür nutzen lässt“, sagt Kristin Levin.

Einen möglichen Weg soll das Pilotprojekt Digitale Geschäftsstelle aufzeigen, das im Rahmen von digital.engagiert gefördert wird: Bei Kristin Levin laufen die Fäden des Projektes zusammen. „Sechs Landesfachverbände, darunter der Pétanqueverband, der Seglerverband und der Minigolfverband, haben eine Genossenschaft gegründet und teilen sich die Kosten für die Verwaltungsarbeit“, erklärt sie. So sollen Abrechnungen, Mitgliederverwaltung und das Dokumentationsmanagement der Verbände in Zukunft digital und professionell bearbeitet werden. 

Auf dem Weg zur Digitalen Geschäftsstelle: Kristin Levin vom LandesSportBund Niedersachsen
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Kristin Levin (Foto: Tobias Koch)
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Levin begleitet die sechs Verbände, informiert sie darüber, wie sich Sponsoren für IT-Spenden finden lassen. Im Rahmen von digital.engagiert werden die Verantwortlichen der Verbände von Markus Sauerhammer gecoacht, dem Vorstand des Social Entrepreneurship Netzwerkes Deutschland (SEND). „Davon profitieren wir sehr“, sagt Levin.

Seit der LandesSportBund Niedersachsen bei digital.engagiert mitmacht, habe das Projekt an Fahrt aufgenommen. Viele Mitglieder seien darauf aufmerksam und für das Thema sensibler geworden. „Läuft es gut“, sagt die Organisationsberaterin, „wird die Genossenschaft in Zukunft mehr Verbände und Vereine aufnehmen. Sie wird ein Vorzeigebeispiel dafür werden, wie Verwaltung einfacher zu handhaben ist.“

Die Freiwilligenplattform vostel.de

Nachhilfe geben, Flüchtlinge begleiten oder bei der Verwaltung eines Obdachlosenheims helfen? Auf der Webseite von vostel.de können Nutzer per vostel-o-mat Angebote nach ihren Bedürfnissen, Interessen und Fähigkeiten herausfiltern. Sie können eingeben, ob sie sich regelmäßig oder einmalig engagieren wollen, ein paar Stunden oder den ganzen Tag, kurzfristig oder langfristig – ganz nach ihren persönlichen Vorlieben und ihrem Zeitplan.

Und das Konzept geht auf. „Seit unserer Gründung vor drei Jahren haben wir mehr als 6.500 Engagierte in 250 Partnerorganisationen vermittelt“, sagt Hanna Lutz. Aus den zwei Gründerinnen ist ein Team von sechs Mitarbeitern geworden, die sich um die IT, die Webgestaltung und die Betreuung der Projekte und Organisationen kümmern, die ihre Ehrenämter bei vostel.de online stellen. Nach dem erfolgreichen Eintritt in die Netzwelt stehen aber nun ganz neue Themen auf der To-do-Liste. „Wir arbeiten mit großen und kleinen Non-Profit-Organisationen zusammen. Viele Vertreter unserer Partnerorganisationen sind aber keine Digital Natives – und wir entwickeln nun einen Plan, um ihnen den Zugang zu unserer Webseite verständlicher zu machen“, erklärt die 31-Jährige.

Bei digital.engagiert macht das vostel.de-Team mit, weil es sich bei der Umsetzung Unterstützung erhofft. „Wir wollen zunächst Offlineworkshops und später E-Learning-Tutorials und Webinare entwickeln, die helfen, zu verstehen, wie die Webseite funktioniert und wie man sie nutzen kann“, erklärt Hanna Lutz.

Digital.engagiert hat vostel.de Anne Pohl von youvo.org, der Engagementplattform für Kreative, als Coach zur Seite gestellt. Hanna Lutz erklärt: „Sie arbeitet mit uns daran, diese Lernvideos dramaturgisch spannend, informativ und gestalterisch ansprechend aufzubereiten, sodass die Nutzer sich unterhalten und informiert fühlen – und nicht vorzeitig aussteigen.“ In fünf Jahren, wünscht sie sich, ist fehlende Medienkompetenz kein Grund mehr für Organisationen, auf eine Zusammenarbeit mit vostel.de zu verzichten. Und das nicht nur in Berlin, Köln und München, sondern bundesweit.   

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Hanna Lutz (Foto: Tobias Koch)
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Wirkungsvolles ehrenamtliches Engagement: Hanna Lutz von vostel.de

Flaschen spenden mit Pfandschaf(f)t

Das Prinzip ist ganz einfach: Der eine hat Pfandflaschen, die er loswerden will. Der andere sammelt sie, um sie in Bargeld zu tauschen. Bisher fanden beide Seiten über die Webseite Pfandgeben.de zusammen, demnächst wird das auch per App möglich sein. 

„Dazu brauchen Sammler nicht mehr als ein einfaches Handy. Ein Internetzugang ist nicht erforderlich“, erklärt Christoph Reinders, der Projektleiter von Pfandschaf(f)t. „Sie melden sich einfach unter der Pfandschaf(f)t-Telefonnummer an, indem sie per SMS ihren Namen oder Spitznamen, ihre Stadt, ihren Bezirk und ihre Handynummer angeben.“ Die Spender dagegen müssen sich gar nicht registrieren. Sie finden die Sammler über die App und rufen sie einfach an oder senden ihnen eine SMS, um ihnen mitzuteilen, wann und wo Leergut abholbereit ist. Per App wird auch anonymes Spenden und Abholen möglich sein.  

Flaschen sammeln per App: Christoph Reinders, Projektleiter von Pfandschaf(f)t.
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Christoph Reinders (Foto: Tobias Koch)
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Etwa ein Jahr lang hat Reinders mit einem Kommilitonen an der Programmierung der App gearbeitet. Jetzt ist sie so gut wie fertig, eine erste Version wird gerade von Studierenden getestet, Ende Juli geht sie online. Doch den beiden Informatikern wurde schnell klar, dass sie für das Projekt mehr brauchen als IT-Know-how.

Sie sind Mitglieder bei Enactus, einer internationalen Studierendenorganisation. Hier werden Freiwillige zusammengebracht, die durch unternehmerische Ideen die Welt verbessern wollen. Über die Organisation suchten sie nach Mitstreitern, die sich mit Finanzen und Marketing auskennen. „Inzwischen sind wir zu acht“, sagt Reinders. Was jetzt zu tun ist? „Die Webseite Pfandgeben.de läuft schon sehr gut in großen Städten wie Berlin, Hamburg und Köln und auch in manchen kleineren Städten. Mithilfe der App soll das Pfandspenden dort aber noch einfacher werden. Außerdem wollen wir mehr Spender und Sammler gewinnen, damit das System noch besser funktioniert und man in ganz Deutschland Pfand spenden kann“, sagt Reinders. Dafür will das Team Marketingmaßnahmen starten, für die es Sponsoren sucht. Außerdem müssen Wege gefunden werden, die langfristigen Kosten für den Betrieb der App zu finanzieren.

Das Enactus-Team hat viele Ideen, wie sich das alles umsetzen lässt. Ihr Coach aus dem Förderprogramm ist Jonas Deister, der Geschäftsführer des Berliner Vereins Sozialhelden. Mit ihm diskutieren sie, ob sie Kampagnen in sozialen Netzwerken starten sollen oder ob sie ihre Zielgruppen eher durch ansprechende Flyer erreichen. „Er gibt uns ein super Feedback und hat sehr nützliche Kontakte, an die wir uns bei speziellen Fragen wenden können“, sagt Reinders. Auch mit einem Experten von Amazon Web Services war er im Gespräch und hat sich zu den technischen Herausforderungen der App beraten lassen.

Die Pfandschaf(f)t-App könnte auch für ganz andere Dinge genutzt werden, für den Austausch von Kleidung oder Lebensmitteln etwa. „Wir wollen uns aber auf eine Sache konzentrieren – und das wirklich gut machen“, sagt Reinders.

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