Stephan Noller: Maker, Coder, Hacker

"Ist Programmieren nicht eine Art Kulturtechnik, wo wir sagen: Wie ich zum Beispiel Nachrichten bekomme, wird von Code gesteuert? Wenn wir als Zivilgesellschaft das gut überstehen wollen, dann brauchen wir Bürger, die diesen Code verstehen."

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Stephan Noller: Maker, Coder, Hacker (Video)
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Die ganze Welt eine Black Box? Algorithmen filtern die Nachrichten, die wir zu Gesicht bekommen. Software steuert vielleicht irgendwann auch unsere Autos. Umso wichtiger ist es, zumindest eine Ahnung davon zu bekommen, wie die Programmierlogik dahinter funktioniert, meint Entrepeneur Stephan Noller. Der Gründer der Ubirch GmbH, die eine Plattform für das Internet of Things bieten will, sieht die Bildungsinstitutionen in der Pflicht. Brauchen wir nicht zwingend ein Schulfach Computing?
 

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Autorin: Corina Niebuhr
Produktion: Webclip Medien Berlin
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Das Interview entstand am Rande des Nationalen MINT Gipfels 2016 in Berlin.

Transkript des Videos

Zum einen ist es so, dass wir jetzt schon und in wenigen Jahren noch viel mehr von Code umgeben sind.

Es gibt ja auch von einem amerikanischen Forscher die Aussage "Code is law", also eben die Frage: Ist Programmieren jetzt oder in wenigen Jahren überhaupt noch das, was wir denken, dass das irgendwie Spezialingenieure sind, die irgendwo ein Autoteil sozusagen programmieren? Oder ist es nicht vielmehr eine Art Kulturtechnik in wenigen Jahren, wo wir sagen: Die Frage, wie ich zum Beispiel Nachrichten bekomme, wird von Code gesteuert. Und wenn wir als Zivilgesellschaft das gut überstehen wollen, dann brauchen wir neue Bürgerinnen und Bürger, die diesen Code verstehen, weil der Code ist sozusagen die frühere Redaktion oder der Publisher. Und deswegen, ich bin mir auch nicht ganz sicher, ob jeder wirklich programmieren können muss, aber ich bin zunehmend tatsächlich auch davon überzeugt, dass es hilfreich wäre, dieses Wissen zu vermitteln, dass man mindestens passiv versteht, wenn diese Tür automatisch aufgeht oder dieses Auto, es ist vor einigen Tagen das erste Mal ein Tesla im automatischen Fahrmodus ungebremst auf einen Lkw aufgefahren, weil der Code der automatischen Steuerung nicht bewegliche Objekte nicht erkennt. Und sowas wünsche ich mir, dass Menschen verstehen können und dann zum Beispiel wissen, ob sie sich dem anvertrauen oder ob sie denken: Na, es ist vielleicht komisch programmiert worden. Das möchte ich erstmal besser verstehen. Und dafür ist wahrscheinlich sowas tatsächlich hilfreich, dass man sagt: einmal verstehen, wie es funktioniert. In meiner Schulzeit haben wir die Bild-Zeitung mit der Schere auseinandergeschnitten, um zu verstehen, wie Meinungsmache funktioniert. Und ich denke manchmal: Heute muss man programmieren lernen, um zu verstehen, wie Nachrichten gefiltert auf einen einprasseln, was im Facebook-Stream, warum man bestimmte Sachen sieht und andere nicht.

Generell ist erstmal die Maker-Kultur oder Hacking so ein bisschen die Idee, Kontrolle zurückzuerlangen, also die digitalen Mittel zu nutzen, aber sie eben zu verstehen, umzuprogrammieren, wieder sozusagen Herr der Dinge zu werden, die um einen herum sind. Das finde ich insbesondere spannend, wenn man eben im Hinterkopf hat, dass es immer digitaler wird. Es wird sozusagen immer komplexer, was um uns herum werkelt und ein- und ausschaltet und automatisch fährt. Und da ist es sozusagen eine regelrechte Haltung zu sagen: Ich möchte es verstehen, wie es funktioniert. Ich möchte es nachbauen können, das ist meistens ein Element des Verstehens. Und dann kommt man relativ schnell dahin, dass man auch selber Sachen bauen möchte, irgendeine Drohne oder ein Auto oder ein leuchtendes Irgendwas für den Weihnachtsbaum. Und das finde ich, das ist regelrecht eine Haltung sozusagen, die dahintersteht, die meiner Ansicht nach tatsächlich auch viel in der Schule zu suchen hat, weil nach meinem Verständnis Schule sowas ist wie ein Befähigungsinstitut, etwas, wo man idealerweise rausgeht mit einem Gefühl der Stärke und der Kenntnis und des sich souverän bewegen Könnens. Und das ist meine Mission eben zu sagen: Das sollte, ich habe vier Töchter ja, ich wünsche mir, dass die so aus der Schule rauskommen. Und was digitale Fertigkeiten anbelangt, ist aber da nichts selbstverständlich. Es wird eher nach dem derzeitigen Stand eben nicht passieren. Es braucht schon einen großen Ruck im Bildungssystem, dass man sagt: In Großbritannien ist zum Beispiel ein Schulfach eingeführt worden, Computing, ab der 1. Klasse, verbindlich für alle Schülerinnen und Schüler, wo sozusagen computer literacy gelehrt wird. Da bin ich auch Fan von. Sowas könnte in Deutschland auch passieren, aber wir brauchen auch in jedem Fach diese Techniken. Man kann übrigens auch so schöne Sachen machen, also wenn ich mir angucke, wie toll man den Physikunterricht gestalten kann, wenn ich plötzlich ein device habe, was einen Beschleunigungssensor und einen Lagesensor hat und vielleicht noch über weitere Sensoren Licht messen kann und solche Geschichten, kann ich zig Experimente plötzlich pimpen sozusagen mit Elektronik und den Unterricht schöner machen. Gleichzeitig lernen die Kinder en passant, wie elektronische Sensorik funktioniert.

Also, wir haben zum Beispiel in Grundschulen Kurse in elektrischen Schaltungen gemacht mit Klebematerial, also die Leiterbahnen wurden mit Kupferklebeband geklebt, mit Schere und Papier, wurden ganze Schaltungen, Morseapparate oder animierte kleine Bilder, ein Wal, dessen Augen leuchten, und solche Geschichten gebaut. Damit kann man anfangen. Also, damit kann man übrigens sehr früh anfangen, Kindern zu vermitteln: Das ist was, was ich managen kann. Eine elektrische Schaltung ist nicht automatisch gefährlich oder unverständlich. Und das interessante ist, dass man daraus das weiterentwickeln kann. Man macht immer komplexere Maschinen sozusagen, und ein Morseapparat ist schon kurz vor der Stufe, wo die Schaltung in Klebematerial zu kompliziert wird, und man dann sagen kann: Okay, was gäbe es denn jetzt? Und dann kommt man zu dem, was man eben Mikrocontroller nennt oder kleinen Prozessoren, die nichts anderes sind als viele Schaltvorgänge auf sehr kleinem Raum zusammengequetscht sozusagen. Und so kann man eben für Kinder auch einen ganz natürlichen Weg hin zum Programmieren, was immer so auch bei Eltern, glaube ich, häufig wie so ein Monstrum im Raum steht, wo man dann denkt: Man sitzt stundenlang im Dunkeln vorm Computer und programmiert eben. Und plötzlich ist es ein sehr interaktives Spielen mit Elektronik. Oder Gegenstände, die Lieblingspuppe ausstatten mit Soundeffekten oder sowas. Und damit bekommt man einen ganz anderen Zugang dazu, übrigens auch einen, der für Mädchen besser funktioniert. Das ist, glaube ich, auch noch ein wichtiger Aspekt, dass das nicht so gender-monothematisch wird wie es eben derzeit häufig ist.

Häufig ist das ja schon irgendwie da, was man in der Zukunft sich wünscht oder sehen möchte. Und es ist tatsächlich so, wenn Sie heute auf eine moderne Grundschule gehen, also insbesondere Inklusionsschulen, schlackern Sie mit den Ohren. Das hat mit der früheren Art, wie Schule gemacht wird, nur noch wenig zu tun, weil moderne Pädagogik eigentlich so funktioniert, dass man komplett individualisiert lernt. Also, jedes Kind hat seinen eigenen Plan, nimmt sich selber Aufgaben, testet sich selbst, ein sehr viel selbstbestimmteres, individuelleres Lernen, wo die Pädagogen sagen: Dann ist weder hohe, also Überbegabung noch schlechte Begabung in bestimmten Bereichen ist einfach kein Thema mehr, weil jedes Kind sozusagen individuell gefördert wird. Das braucht übrigens viele digitale Mittel, weil es natürlich sehr komplex wird. Und derzeit ist das an weiterführenden Schulen quasi nicht existent, dieses Konzept. Und das würde ich mir wünschen, dass Schule in Zukunft neben den digitalen Befähigungselementen sowas macht und ganz inklusiv wird dadurch, und für jeden Schüler und jede Schülerin einen eigenen Lehrplan, die eigenen Stärken herausfindet, die fördert, herausschält, verbessert. Das wäre mein Traum von einer Schule in der Zukunft.