Irene Bertschek möchte mehr Gesundheitsdaten für die Forschung

"Der Vorteil, Gesundheitsdaten für die Forschung zu nutzen, besteht eben darin, dass der Erkenntnisgewinn deutlich besser wird, je mehr Daten wir haben."

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Irene Bertschek (Video)
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Irene Bertschek, Leiterin des Forschungsbereichs Digitale Ökonomie beim ZEW Mannheim und Mitglied der Expertenkommission Forschung und Innovation, setzt sich für eine stärkere Nutzung von Gesundheitsdaten für die Wissenschaft ein: In Finnland gebe es mit Findata eine Einrichtung, die solche Daten anonymisiert oder pseudonymisiert für Forschungszwecke gesammelt zur Verfügung stellt. In Deutschland behindert der föderal aufgestellte Datenschutz oft den Zugang. Wenn Menschen einsehen, dass sie von statistisch gesicherten Untersuchungen etwa durch bessere Therapien auch selbst profitieren, würden sie ihre Daten bereitwillig freigeben.

Das Video entstand am Rande des Forschungsgipfels 2023 in Berlin.

Zum Forschungsgipfel hat die Expertenkommission Forschung und Innovation das Diskussionspapier "Gesundheitswirtschaft in der digitalen Transformation" veröffentlicht.

 

Transkript des Videos

Wenn wir das jetzt sozusagen nicht vorantreiben, diese Digitalisierung des Gesundheitswesens und insbesondere die Nutzung von Daten, dann werden wir wahrscheinlich in Zukunft noch weitere Fälle erleben wie BioNTech, dass Forschung aus Deutschland abwandert, weil in anderen Ländern der Zugang zu Daten einfacher ist.

Uns entgehen sozusagen diese Innovationspotenziale, die wir eigentlich hier in Deutschland auch nutzen können. Und wir haben das auch während der Corona-Pandemie gesehen. Wir sind zwar letztlich gut durchgekommen, ja, aber wir haben auch von Daten anderer Länder profitiert. So viele Analysen, die hier durchgeführt wurden, die wurden mit Daten aus Großbritannien oder aus den USA oder aus Israel durchgeführt und nicht mit Daten von Bürgerinnen und Bürgern aus Deutschland.

Ein anderer Aspekt ist, dass die Gesundheitswirtschaft auch eine Branche letztlich darstellt, die wichtig ist für den Strukturwandel innerhalb Deutschlands. Wir haben ja sehr lange auf die Traditionsbrachen Automobil und Maschinenbau gesetzt und haben jetzt gemerkt, dass die vielleicht nicht so zukunftssicher sind wie wir früher immer gedacht haben. Die Gesundheitswirtschaft ist eben eine Branche, die an Bedeutung gewinnt. In verschiedenen Bundesländern ist es auch schon, wird auch verstärkt in diesen Bereich investiert, und es kann eben auch eine Chance sein, den Strukturwandel innerhalb der deutschen Wirtschaft zu bewerkstelligen.

Die Künstliche Intelligenz, insbesondere das Maschinelle Lernen, bietet natürlich große Potenziale, Gesundheitsdaten auszunutzen. Ein Beispiel sind Bilddaten, zum Beispiel zu Hautkrebs. Wenn die in großen Mengen ausgewertet werden, dann lassen sich hier eben sehr solide, statistisch valide Erkenntnisse erzielen und die dann für die Entwicklung von Therapien weiterverwenden. Es ist aber auch wichtig, dass wir Daten, verschiedene Datensätze miteinander verknüpfen können, also bildgebende Daten alleine, das ist schon mal super, das ist ein toller Fortschritt, aber wichtig ist auch, dass man diese Daten beispielsweise verknüpfen kann mit anderen Charakteristika von Individuen. Was weiß ich sonst über das Individuum, über die Krankheitsgeschichte, über die Einnahme von Medikamenten usw.? Dass man eben diese Informationen miteinander verknüpft, um dann auch komplexere Zusammenhänge analysieren zu können und daraus Schlüsse zu ziehen.

Und um vielleicht ein Beispiel noch zu bringen: In Finnland gibt es eine Einrichtung, Findata, dort werden die Gesundheitsdaten alle gesammelt und auch dann für Forschungszwecke anonymisiert oder pseudonymisiert zur Verfügung gestellt. Das ist eine zentrale Stelle in Finnland, und Forschende können sich dort hinwenden, und sie können dann die Daten per Online-Zugang analysieren. Und das ist natürlich eine Idealvorstellung aus Forschungsperspektive, dass es relativ einfach ist, einen Antrag zu stellen bei einer Stelle. In Deutschland ist es so, dass, wenn Sie Daten nutzen möchten, die in verschiedenen Bundesländern sozusagen entstehen und auch dort gespeichert werden, dass man dann in jedem Bundesland einen Antrag stellen muss, um Zugang zu diesen Daten zu bekommen. Und da kann es eben sein, dass der Datenschützer eines Bundeslandes die DSGVO anders auslegt als ein anderer und dass Sie dann eben nicht alle Daten zur Forschung nutzen können.  Und die Frage ist auch: Wo liegen die Daten dann gemeinsam? Also, wichtig ist ja auch, dass wir Daten miteinander kombinieren können, also keine Datensilos entstehen, sondern Daten miteinander verknüpfbar sind, Daten über verschiedene Bundesländer genutzt werden können. Daher ist der Charme eines Modells wie Findata in Finnland eben, dass an einer zentralen Stelle die Daten gehostet werden, aber auch dann für Forschungszwecke recht niedrigschweillig sozusagen, aber trotzdem sicher zur Verfügung gestellt werden.

Der Vorteil, Gesundheitsdaten für die Forschung zu nutzen, besteht eben darin, dass der Erkenntnisgewinn deutlich besser wird, je mehr Daten wir haben. Je mehr Daten wir haben, umso eher können wir dann auch statistisch gesicherte Ergebnisse erzielen und können dann Analysen durchführen, die dann eben helfen, eine Diagnose zu stellen, die Therapie zu verbessern und neue Medikamente beispielsweise zu entwickeln. Insofern profitieren eigentlich alle davon, je mehr Forschungsdaten vorhanden sind. Und deshalb sollte man auch gute Beispiele kommunizieren, wie durch die Nutzung von Forschungsdaten das Gesundheitssystem oder die Gesundheit verbessert werden kann, so dass dann auch ein Anreiz besteht bei den Bürgerinnen und Bürgern, ihre Daten für Forschungszwecke freizugeben.

Momentan haben wir ja ein Opt-in-System. Das heißt: Ich kann meine ePA aktivieren, wenn ich es möchte. Das ist die erste Stufe, und als zweite Stufe kann ich dann auch die Erlaubnis erteilen, dass meine Daten für Forschungszwecke genutzt werden. Und wir stellen uns das so vor, dass dies jetzt als Opt-out möglich ist, aber trotzdem diese zwei Stufen noch enthalten sind. Das heißt, ich kann mich auswählen aus der Nutzung der ePA, ich kann mich aber auch auswählen aus der Freigabe meiner Daten für Forschungszwecke. Das ist auch wichtig, dass man die zwei Ebenen sozusagen beibehält, denn es soll jedem und jeder erlaubt sein, die ePA zu nutzen, die Vorteile der ePA zu nutzen, aber trotzdem die Daten nicht für Forschungszwecke freizugeben, wenn man das nicht möchte. Diese Freiheit sollte bestehen. Und besser wäre es aber, hier eine Opt-out-Lösung zu wählen, das heißt, jeder und jede gesetzlich Versicherte hat von Grund auf eine ePA automatisch. Und wenn man die nicht möchte, dann muss man sich sozusagen aktiv dagegen entscheiden. Und wir sehen in anderen Ländern wie beispielsweise in Österreich, dort wurde die elektronische Gesundheitsakte, so heißt sie dort, als Opt-out-Lösung aufgesetzt, und die wird von über 90 Prozent der Versicherten genutzt. Und in Deutschland liegt die Nutzungszahl bei ca. knapp 600.000 der gesetzlich Versicherten. Das ist also sehr, sehr wenig.

Also, mit Reallaboren hat man die Möglichkeit, Innovationen oder innovative Lösungen auszuprobieren in einem zeitlich und räumlich begrenzten Umfang. Und das ist natürlich ein ideales Instrument, um auszuprobieren, Gesundheitsdaten für bestimmte Zwecke zu nutzen und damit auch durchaus Datenschutzregeln eine Zeitlang außer Kraft zu setzen durch eine sogenannte Experimentierklausel. Und von daher ist ein Reallabor ein sehr gutes Instrument, um Innovationen auszutesten, ja, und zwar einmal für die Innovation selbst, man lernt daraus um die Innovation selbst, eine Anwendung, es kann auch ein Medikament sein in diesem Fall, weiterzuentwickeln, aber gleichzeitig auch den regulatorischen Rahmen weiterzuentwickeln, also auch sehen: An welchen Stellen muss ich die Rahmenbedingungen ändern, damit es dann auch wirklich zur Umsetzung kommt?

Und was aber ganz zentral für Reallabore ist, dass man am Ende auch eine Evaluierung durchführt. Dass man wirklich schaut: Was läuft gut? Was läuft nicht gut? Und dann auch Möglichkeiten vorbereitet, diese Lösung möglichst schnell auch in die breite Anwendung zu bringen. Also, was jetzt nicht passieren sollte, ist, dass wir ganz viele Reallabore aufsetzen, vieles ausprobieren, aber dann auch wieder aufhören und uns dann keine Gedanken darüber machen, wie wir die Innovationen dann auch in die Anwendung bringen, in die breite Anwendung bringen.