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Bernhard Lange: KI und die Hochschullehre

"Es wird komplette Bachelorstudiengänge online mit KI-Tutoren geben. Und das ist, finde ich, auch keine große Vorhersage. Ich brauche da keine tolle Kristallkugel dafür."

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Bernhard Lange: KI und die Hochschullehre (Video)
Bernhard Lange: KI und die Hochschullehre (Video)
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Bernhard Lange, Religionswissenschaftler und Leiter des Zentrums Lehre an der Universität Luzern, spricht über die Art und Weise, wie Künstliche Intelligenz die Hochschullehre revolutioniert. Dieses Videointerview entstand am Rande des University:Future Festivals 2025. 

Die wichtigsten Aussagen aus dem Gespräch:

  • KI-Technologien werden von Studierenden schnell adaptiert und beeinflussen das traditionelle Lehrmodell, was zu einer potenziellen Irrelevanz der Dozierenden führen könnte.
  • Live-Fact-Checking und umfassendere Recherchemöglichkeiten durch KI fordern die Rolle der Dozierenden heraus, da Studierende schnell neue Informationen bereitstellen können.
  • KI wird als zusätzliches Werkzeug gesehen, das den Lernprozess revolutioniert, indem es personalisierte und effiziente Lernumgebungen schafft.
  • Die Integration von KI in das Bildungssystem wird von Unternehmen vorangetrieben, während Universitäten Gefahr laufen, diese Entwicklung zu verschlafen.
  • Zukünftige Bildungsmodelle könnten stark von KI beeinflusst werden, was traditionelle Abschlüsse wie den PhD weniger wertvoll machen könnte.

Interview und Produktion: Corina Niebuhr, Webclip Medien Berlin

 

Rein vom Lernen her wird, bin ich überzeugt, von den Studierenden bottom-up eine, in Anführungszeichen, Revolution kommen, die, wenn wir Dozierende uns da nicht richtig aufstellen, wir werden einfach irrelevant. Nicht weil KI uns wirklich ersetzen kann, aber weil die Rolle, die wir bisher annehmen, die wir als Dozierende haben, und dann nicht mehr passt. Sie passt nicht mehr auf die Zeit.

Was ist, wenn Fact-Checking live in meinem Unterricht passiert? Ich bin ja nicht perfekt. Ich weiß auch in meinem Fach nicht alles und auch nicht so. Und das wird natürlich jetzt sehr viel tiefgreifender. Und auch auf alle Assessment-Formeln und auf meine gesamte Forschung. Dann haben die Personen halt, wenn Deep Research oder Folgeformate entsprechend gut und schnell sind, was zu erwarten ist, dann geben die mir Antworten auf die Frage, von der ich gerade behauptet habe, daran forsche ich. Und die Antworten geben sie mir mindestens deswegen, weil ich vielleicht ein paar Forschungsgruppen übersehen habe in meiner aktuellen Recherche, die bereits was veröffentlicht haben, das bereits in DeepSeek drin ist. Und der Student, die Studentin kann mir einfach sagen: Jaja, aber es ist doch gerade widerlegt worden. Und wie stehe ich denn da? Also, es kann solche Momente geben, und ich glaube, dass die schwierig sind. Es ist nicht ein MOOC, ein Massive Open Online Course, den wir ignorieren können. Es ist nicht das Inverted Classroom Model oder Flipped Classroom, das eine großartige Idee ist, didaktisch, die ich sehr unterstütze, aber die wir auch einfach ignorieren können. Es ist nicht Zoom, wie zu Zeiten von Covid, Remote-Unterricht, den wir jetzt wieder ignorieren können, weil wir den geheiligten Präsenzunterricht wieder haben. Nein, es ist eher wie das Smartphone. Es kommt von unten. Studierende adaptieren diese Technik in ihren Alltag, in ihr Lernverhalten, und Firmen liefern die Apps dazu.

Ich glaube, wir stolpern oft darüber, dass es ja nicht perfekt ist und vor allem, dass ich nicht einmal kurz reinprompte und dann kriege ich das perfekte Ergebnis wie in der Seminararbeit. Es ist ja nicht, nur weil ich mich ins Auto setze, bin ich ja noch nicht angekommen. Ich muss schon auch fahren. Ja, und auch das muss ich lernen und so weiter. Also, perfekt finde ich schwierig. Auf der anderen Seite hat KI bereits immense Fortschritte geliefert. Einfach nur, wer hat denn den Nobelpreis für Chemie letztes Jahr bekommen? Das war prinzipiell KI, in Verlängerung Google. Ja, also ich finde, das ist schon denkwürdig. Es gibt ganz viele Entwicklungen, die spannend sind und die in ihrem sehr, sehr eng definierten Bereich, ich sage jetzt nicht: perfekte, aber abschließende Ergebnisse liefern. Abschließend im Sinn von: Das kann ich als Endergebnis vorlegen. Und für den Kontext, in dem ich es definiere, ist es auf jeden Fall sehr gut. Da sind wir schon.

Ob wir da hinkommen, dass es das immer hat? Ja, so ganz optimistisch möchte ich jetzt nicht sein. Aber ich finde es auch überhaupt nicht relevant. Ja, ein Auto ist ja auch nicht perfekt, aber es ist offensichtlich ein unglaubliches Tool für unsere Gesellschaft. Ich glaube, wir müssen da runterkommen von der Idee, zu glauben, dass es perfekt sein muss, sondern eher im Bereich jetzt, wenn wir am wissenschaftlichen Artikel sprechen, im Bereich Rohtext, den ich überarbeiten will. Da müssen wir die Vorstellung ansiedeln und nicht im Bereich abgabefertigen Text. Wobei gerade das ein schwieriges Beispiel ist, weil wir da echt nah dran sind und es schon Beispiele gibt.

Die Entwicklung der KI, das ist ja, also ich sage jetzt mal vorsichtig, wöchentlich haben wir Meldungen, wo ich mir denke: Okay, das ist spannend, wo es hingeht. Und meine Sorge ist, dass aus diesem Cocktail an Gründen von Ablehnung, von Sorge, von Kritik, von auch Unbeweglichkeit, je nachdem, dass wir da eine Entwicklung verpassen, nämlich die Integration von KI in unsere Bildungssysteme. Aber diese Chance wird eben von Firmen dann aufgenommen. Das ist mein Eindruck, was passieren wird. Und wir sehen, dass Anthropic jetzt gerade bekannt gemacht hat am 2. April Claude for Education, wo sie mit renommierten Universitäten bereits zusammenarbeiten. Am 5. Mai haben sie jetzt gerade veröffentlicht AI for Science, in der sie Forschenden, ich glaube, 20.000 Dollar API-Credits zusagen für Forschung. Und das ist ja alles nur der Anfang. Wir sind ja immer noch in einer globalen Beta-Phase, was KI betrifft. Wir probieren aus, die Firmen probieren aus, es gibt kein fertiges Produkt, sondern es ist alles noch in der Entwicklung. Wir Universitäten, habe ich den Eindruck, sind dabei, es zu verschlafen, aus diversen Gründen. Und es gibt ganz viele Start-ups, die eben das nicht verschlafen und die jetzt Lösungen finden, die dann wahrscheinlich aufgekauft werden von OpenAI etc. Und plötzlich stehen wir Universitäten da und merken: Unsere Studierenden großflächig nutzen diverse Apps, um zu lernen und nicht mehr meine Vorlesungen, nicht mehr mein Seminar.
Und es wird komplette Bachelorstudiengänge online mit KI-Tutoren geben. Und das ist, finde ich, auch keine große Vorhersage. Ich brauche da keine tolle Kristallkugel dafür. Ich muss nur schauen, es gibt edX zum Beispiel. edX, eine MOOC-Plattform von MIT und Harvard, 2012 gegründet. Da ist Google schon längst mit an Bord, und man muss nur auf die Website gehen, erste Seite, die bieten komplette Bachelorstudiengänge, komplette Masterstudiengänge an.
Und jetzt rechne ich 1 plus 1: edX plus die diversen KI-Möglichkeiten, die wir haben. Tutoring Prompts, Multimodal mit Audio, integrierte Assessments. Dann nehme ich noch Mastery Learning dazu. Und schon habe ich einen Kurs, der – und jetzt ein bisschen ketzerisch – didaktisch vielleicht wirklich besser ist als manche der Dozierenden, bei denen ich als Student sitzen würde. Und jetzt noch mal die Frage: Wo melde ich mich an? Bei welcher Uni? Oder gehe ich doch zu edX oder Google oder zu wem auch immer? Ich glaube, das ist die Frage. Das meine ich mit Ernst nehmen. Wir müssen KI ernst nehmen und dann schauen: Was machen wir in den Unis?

In einer dystopischen Zukunftsvision, sagen wir, in zehn Jahren, könnte es sein, dass ein PhD nichts mehr wert ist. Und warum? Eben genau wegen dem In-House-Training, das die Firmen dann machen. Also jetzt schon machen, längst schon machen und weiterhin sehr viel besser und verbreiteter machen werden. Und vielleicht bis wahrscheinlich so, dass sie nicht warten, bis jemand im Masterstudium angekommen ist, und die Leute dann abwerben, sondern schon von der Schule weg abwerben, um zu sagen: Hey, studiere bei uns! Das Masterstudium von der Uni XY, das brauchst du nicht. Studiere bei uns, kriegst von Anfang an Geld, kriegst perfektes Training, bist sofort on the job. Und unsere Zahlen zeigen, die Leute, die bei uns noch woanders hinwechseln, haben dann das und das Einstiegsgehalt. Da möchte ich mal sehen, dass Studierende oder angehende Studierende sagen: Nee, nee, ich zahle für mein Studium, mit dem ich einen schlechteren Einstieg habe. Also sehr dystopisch formuliert. Und dann wird so ein PhD einfach nicht mehr so viel wert sein. Das ist dann schön, aber wir haben gern Sachen, die funktionieren. Und es wird nicht nur im Bereich der MINT-Fächer sein, sondern auch, ich bin ja Religionswissenschaftler, auch im Bereich Religionswissenschaft kann ich mir das sehr gut vorstellen. Denn das Erschließen eines wissenschaftlichen Artikels lässt sich ja auch über KI trainieren. Und vielleicht auch besser als der oder die Dozentin, bei dem ich das vielleicht mal geübt habe und mir nie so richtig vermittelt wurde.

Wenn wir mal ein bisschen futuristisch rangehen wollen – ich spule mal ein paar Jahre vor, wie viel ist nicht wichtig, es wird meines Erachtens so kommen, dass es ungefähr folgendermaßen aussieht: Ich bin jetzt Student, Anfang 20, habe beschlossen, Fach X zu studieren, habe diese oder jene Aussicht, habe mich in so einen Kurs eingeschrieben, wenn es dann noch überhaupt solche Kurse gibt, und gehe spazieren im Wald auf meiner Lieblingsstrecke mit Kopfhörern, mit Augmented-Reality-Sonnenbrillen oder was auch immer oder vielleicht auch ohne Gadgets und diskutiere mit einer KI über einen Text, dessen Inhalt ich verstehen muss. Bourdieu: Sozialkapital.

Ich muss es anwenden können. Ich muss es transferieren können. Ich muss es kritisieren können. Ich muss wissen, von wem Bourdieu beeinflusst wurde und wen er beeinflusst hat und so weiter. Die ganzen üblichen Fragen, die man halt so gerne hätte bei so einem Textverständnis. Ja, und dann diskutiere ich halt dann und wann und wie lange und wie ich will und werde vielleicht auch geleitet von einer KI, von einem oder mehreren Avataren, wie auch immer sich das dann ausgestalten wird. Und die KI wird aber optimal zum zeitgemäßen Stand der Erkenntnisse, der wissenschaftlichen Erkenntnisse, lerntheoretisch geschult sein oder trainiert sein, wird wissen, wie Schlaf und Pausen und Ernährung für mich persönlich mein Lernen beeinflusst. Vielleicht habe ich ein Wearable, so genannt, das noch mehr biometrische Daten aufnimmt und in den Lernprozess einfließen lässt. Und eine KI, die mich erinnert, letzten Monat haben wir über dieses und jenes gesprochen. Lass uns das nochmal auffrischen, damit es wirklich bleibt, denn du wirst es bei einer Aufgabe brauchen, die du ja machen wolltest und so weiter und so fort. Also eine perfekte Lehrperson.

Und ich glaube, wenn wir heute oder immer dozierende, ambitionierte, idealistische Dozierende fragen: Was ist denn, ganz unrealistisch gesprochen, das Optimum, um einen Studenten, eine Studentin wirklich durch das Studium zu bringen, dass er oder sie wirklich richtig maximal gut im Sinne des Curriculums abschließt und leisten kann damit, dass die Zielkompetenzen wirklich erreicht wurden, dann wird ein Teil ganz sicher sein Präsenz, 1-zu-1-Coaching in irgendeiner Form, sofortiges Feedback, die wir bei Deliberate Practice ja auch kennen, all diese Parameter. Und dann muss ich die Frage stellen als Dozent: Kann ich das leisten? Nein, natürlich nicht! In meiner Vorlesung sitzen vielleicht 800 Personen, davon lerne ich 20 wirklich kennen. Und KI kann das eben leisten, nicht zu 100 Prozent wie eine biologische Person, aber halt sehr viel davon kann KI leisten und wird KI leisten, wenn wir erst ganze Curricula auf KI-Basis haben. Und jetzt ist die Frage: Was fehlt denn da noch? Denn da fehlen Sachen, nämlich alles Zwischenmenschliche, alles Soziale. Wir lernen sozial, das dürfen wir nicht nie vergessen, wir sind soziale Wesen, wir haben Unterschiede, das ist ja alles schön und gut, aber wir brauchen immer wieder den Kontakt mit Menschen, und wir brauchen immer wieder den  Kontakt mit der physischen Realität. Ja, es ist ja ganz toll, wenn ich einen Motor bauen kann in Virtual Reality, aber da fällt mir halt auch keine Schraube runter. Ja, um ein bisschen ein banales Beispiel zu bringen. Also wir brauchen das schon, aber es wär ein Fehler und und oder zu verwechseln. Das sehe ich oft, das war bei ICMs auch immer so. Es ist nicht oder, wir machen nicht Präsenzunterricht oder KI. Das ist ein falscher Ansatz. Wir machen Präsenzunterricht und KI. KI ist in Anführungszeichen nur ein weiteres Tool, halt ein sehr mächtiges Tool, das noch sehr viel mächtiger wird, ja, aber es ist nur ein weiteres Tool, das uns hilft, auf unserem Weg, auf unserer Bildung und unseren Zielen weiter zu kommen und wir müssen einfach das Tool richtig verwenden. Das ist die Challenge, die wir haben. Nicht ablehnen, nicht 100 Prozent umarmen und sagen: Das ist die Lösung. Nee, richtig kritisch einschätzen und da einsetzen, wo es hilft. Und es hilft halt an vielen Stellen. Ich würde keine Grundlagenvorlesungen mehr geben.

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