Future Skills

Was uns der Fall Facebook/ Cambridge Analytica lehren sollte

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Foto: Stifterverband
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Digitales Tagebuch des Dr. D.: Vierter Eintrag, Mai 2018

Gespannt und gleichzeitig verwundert verfolge ich im Netz die Entwicklungen rund um den sogenannten Facebook/Cambridge-Analytica-Skandal. Gespannt, weil es nach den NSA-Enthüllungen von Edward Snowden wieder ein grundlegend netzpolitisches Thema ist, das weltweite Aufmerksamkeit bekommt. Facebook steht für viele Menschen sinnbildlich für „das Internet“, da es die Funktionen erfüllt, die man von einer modernen digitalen Infrastruktur erwartet: einfache Kommunikation mit Freunden und Bekannten, sich schnell mit den neuesten Informationen aus der Welt versorgen und seine Meinung zu Themen unkompliziert und öffentlich äußern – genau das sind die Versprechungen, die unermüdlich vorgebracht werden, so auch bei der Anhörung von Mark Zuckerberg vor dem US-Kongress. Was für mich schon immer zu sehr nach Digital-Euphorie klang, wird nun als kühl kalkulierte Geschäftspraktik dechiffriert: Das, was uns als „soziales Internet“ verkauft wird, ist eine Illusion. Jedenfalls dann, wenn man die Maßstäbe anlegt, die aus den Frühzeiten des Cyberspace kommen. Damals wurde das Ideal des unregulierten und unregierbaren Raums propagiert, den jeder nach eigenem Belieben und nach eigenen Vorstellungen bevölkern konnte. Aber auch das war eine Illusion.

Stattdessen finden wir uns nun im kommerzialisierten Internet wieder, das größtenteils nach ökonomischen und (noch) nicht nach politischen Prinzipien reguliert ist. Eine Gleichzeitigkeit von Entwicklungen, die allerdings mit höchst unterschiedlicher Geschwindigkeit ablaufen (etwa im Bereich der Wirtschaft/Industrie oder der Bildung), steht für das charakteristische Erscheinungsbild der Digitalisierung. Mit dem Facebook/Cambridge-Analytica-Skandal nähern sich nun technologische und politische Regulierungsbestrebungen an. So verspricht Facebook reumütig Verbesserungen der Datenschutz­bestimmungen, was aber nur an der Oberfläche kratzt, denn die eigentlichen Probleme liegen tiefer und sind fest in Facebooks Geschäftsmodell verankert. Wie die Techno-Soziologin Zeynep Tufekci betont, geht es dabei um immer ausgeklügeltere Methoden, Nutzerdaten zu sammeln, auszuwerten und zu verwerten (das heißt zu  monetarisieren). Wenn nun angekündigt wird, die Daten besser schützen zu wollen, greift das zu kurz. Die Daten sind Facebooks wichtigstes Instrument, um Zugang zu unserer Aufmerksamkeit zu bekommen – der zentralen Währung in der digitalen Ökonomie, wie Timo Daum in seinem Buch Das Kapital sind wir ausführt. Hilfreicher wäre es, so Tufekci, zustimmungs­pflichtige Mechanismen der personalisierten Datensammlung einzuführen. Auch die personalisierte Werbung wäre klar, transparent und auf Zustimmung angelegt und würde die bisherigen sperrigen, schlecht lesbaren Datenschutzbestimmungen ergänzen beziehungsweise ersetzen.

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Illustration: Irene Sackmann
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Bildung trotz(t) Digitalität

Markus Deimann beschäftigt sich seit 2001 mit Bildung und Digitalisierung. Er arbeitete an verschiedenen Hochschulen und promovierte und habilitierte im Fach Bildungswissenschaft. Er provoziert gerne mit Texten, Vorträgen oder im Podcast „Feierabendbier Open Education“. Es geht ihm um eine sachlich-kritische Auseinandersetzung mit Technik, jenseits von Hype und Untergangsphantasien. Seit 2017 gehört er zum Kernteam des Netzwerks für die Hochschullehre im Hochschulforum Digitalisierung (HFD). Auf MERTON schreibt er als Dr. D. eine regelmäßige Kolumne mit dem vieldeutigen Titel Bildung trotz(t) Digitalität. 

Markus Deimann auf Twitter.

Brauchen wir also nur bessere technologische, politische und juristische Regelungen, um die mit Facebook und anderen Internetgiganten verbundenen Probleme in den Griff zu bekommen? Es geht dabei unter anderem um Fake News und Hate Speech, das heißt um die durch Algorithmen erzeugten Filterblasen und Echokammern. Gewissermaßen ist es auch eine Form von Henne-Ei-Problem: Sind es Informationsnetzwerke, die uns durch geschicktes Umgarnen dazu verführen, möglichst lange auf der Plattform zu verweilen, oder ist es das menschliche Bedürfnis, Informationen möglichst gefiltert nach den eigenen Werten und Weltvorstellungen zu suchen und zu verarbeiten? Oder ist es beides, also kognitive Dissonanz, gepaart mit einer neuen Form des (Plattform-)Kapitalismus, was zu der heutigen Erscheinungsform geführt hat? Und welche Rolle spielen Desinformationsmedien, die sich, unterstützt durch Social Bots, engmaschig vernetzt haben und Verschwörungstheorien produzieren, mit Auswirkungen bis zur US-Präsidentschaftswahl 2016? Es ist ein alternatives Medienökosystem entstanden, das besonders zu öffentlichen, von Menschen erzeugten Krisen wie dem Anschlag auf den Boston-Marathon 2013 aktiv wird. Mittlerweile reagieren Regierungen und versuchen mit unterschiedlichen Maßnahmen Fake News in den Griff zu bekommen. Auf der anderen Seite hat nun erstmals ein deutsches Gericht die Löschung eines Facebook-Kommentars verboten und damit die Meinungsfreiheit gestärkt. Angesichts der Geschwindigkeit der technologischen Entwicklungen haben die Auswirkungen auf das soziale Zusammenleben eine Komplexität angenommen, die es schwer macht, mit altbewährten Antworten zu reagieren. Das betrifft den Umgang mit Medien zur Informationsbeschaffung und (Weiter-)Bildung.

„Facebook will uns nur vordergründig mit anderen Menschen vernetzen, eigentlich geht es darum, zur zentralen Anlaufstelle im Netz zu werden. Ein Ausflug in das wilde WWW, das um Facebook herum tobt, ist nicht mehr notwendig. ”

Markus Deimann
Markus Deimann (Foto:privat)
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Markus Deimann

Bildung steht für mich dabei als eine Art persönliches Betriebssystem, das verantwortlich ist, wie wir die Welt wahrnehmen und uns zu ihr verhalten. Es hilft uns, Sinn in der Welt zu erkennen und ein erfülltes Leben zu führen. Das ist das klassische, von Humboldt begründete Bildungsverständnis und ist auch heute noch gültig. Die Interaktion und Auseinandersetzung mit der Welt ist immer über Medien vermittelt und war in der Vergangenheit mehr oder weniger wohlgeordnet, zum Beispiel über Zeitungen, Fernsehen oder Bücher. Durch das Internet ändert sich das nun. Die Fülle an Informationen und Onlinemedien nimmt auf so vielfältige Weise zu, dass es eine große neue Unordnung gibt. Denn es haben auch die Möglichkeiten zum Ausdruck, zur Artikulation und zur Mitgestaltung der Welt zugenommen über (persönliche) Webseiten, Wikis, Blogs, Foren und eben auch über Social Media.

Allerdings ist das Betriebssystem darauf (noch) nicht eingestellt und reagiert mit Überforderung. Ein Verfahren zur Herstellung von Ordnung mit technisch anspruchsvollen, aber ethisch fragwürdigen Methoden haben wir am Beispiel von Facebook schon gesehen. Facebook will uns nur vordergründig mit anderen Menschen vernetzen, eigentlich geht es darum, zur zentralen Anlaufstelle im Netz zu werden – eine One-Stop-Plattform, auf der ich alle wichtigen Informationen bekomme. Ein Ausflug in das wilde WWW, das um Facebook herum tobt, ist nicht mehr notwendig.

Plattformen wie Facebook, aber auch Netzwerke aus rechtsradikalen Nachrichtenseiten beschränken dadurch nicht nur unsere informationelle Selbstbestimmung, sondern auch unsere Bildung. Eine zweite, bisher nur ansatzweise diskutierte Möglichkeit zur Förderung von Ordnung beziehungsweise Orientierung ist darum eine aktive Medienarbeit. Diese sollte über instrumentelle Aspekte wie Anleitungen zur Nutzung von Tablets oder Apps hinausgehen und insbesondere die sozialen und kulturellen Implikationen der Digitalisierung in den Blick nehmen. Dazu ist im ersten Schritt Aufklärung notwendig, wie sie aktuell im Fall von Facebook/Cambridge Analytica stattfindet, sollte aber nicht bei Skandalen stehen bleiben. Es gilt, die Medienbildungspotenziale der Digitalisierung systematisch und ideologiefrei zu untersuchen und entsprechende Konzepte für Schule, Hochschule und Zivilgesellschaft zu entwickeln.

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