Hochschulbildung:
Im Schneckentempo
durch Einbahnstraßen

Ein Kommentar zu den Ergebnissen des Hochschul-Bildungs-Report 2020

 
Das Bundesausbildungsförderungsgesetz – kurz: BAföG –
ist eine sehr deutsche Erfolgsgeschichte. Nach 26 Reformen, "die oftmals keine Besserung brachten", so der Generalsekretär des Deutschen Studentenwerkes Matthias Anbuhl, wurde im Mai 2022 die 27. Reform auf den Weg gebracht. Trotz guter Ansätze: Ein wirklicher Durchbruch zu mehr Chancengerechtigkeit war nicht zu erwarten.

Die Entwicklung des BAföG steht für das Schneckentempo in unserer vermeintlichen Bildungsrepublik insgesamt. Der Stifterverband hat mit seiner Bildungsinitiative "Zukunft machen" ein Jahrzehnt lang das deutsche Bildungssystem auf sechs Handlungsfeldern beobachtet. Das Fazit ist beklemmend: Die Richtung der Entwicklung stimmt, aber das Tempo ist verheerend langsam. Im Einzelnen:

  • Bildungschancen hängen nach wie vor von Herkunft und Hintergrund ab.
  • Berufliche und akademische Bildung sind nur punktuell durchlässiger geworden.
  • Akademische Weiterbildung führt an den Hochschulen zumeist ein Schattendasein.
  • Die Internationalisierung hat sich positiv entwickelt und wurde durch Corona nur temporär ausgebremst.
  • Die Lehrerbildung ist zu wenig divers, der Lehrerberuf zu unattraktiv.
  • Der MINT-Bedarf kann besonders im IT- und im Ingenieursbereich nicht ausreichend gedeckt werden.
Einbahnstraße (Foto: iStock/Elmar Gubisch)
Foto: iStock/Elmar Gubisch

Die Hochschulbildung in Deutschland ist voller Sackgassen und Einbahnstraßen. Die Wahl des Studiengangs hängt noch zu sehr vom Geschlecht ab. Berufliche und akademische Bildung sind immer noch zu abgeschottet. Das Studium direkt nach dem Abitur ist der Regelfall, eine spätere wissenschaftliche Weiterbildung die Ausnahme. Nach dem Bachelor folgt direkt der dazugehörige Master. Jura und Medizin sind angesehene Studiengänge, Technik und Informatik eher nicht. Die soziale Herkunft bestimmt nach wie vor den Bildungsweg.

Der Stifterverband setzt sich mit seinen Förderprogrammen deshalb dafür ein, Bildung durchlässig, chancenreich, vielfältig und kooperativ zu gestalten. Spurwechsel und Pfadänderungen müssen möglich sein. Bildung ist eine individuelle Reise; der persönliche Bildungsweg muss also offen für Veränderungen sein. Der Stifterverband möchte mit seinen Aktivitäten diese Einsicht an die Hochschulen bringen und damit deren Transformation unterstützen – und beschleunigen. Die nächste Dekade muss ein Jahrzehnt massiver bildungspolitischer Weiterentwicklung werden. Etwas anderes sollte und kann sich ein Land wie Deutschland nicht leisten.

 

Mathias Winde (Foto: Damian Gorczany)

 
DER AUTOR

Mathias Winde ist Programmleiter "Hochschulpolitik und -organisation" beim Stifterverband.