Uwe Cantner: Schlüsseltechnologien – Deutschland wird abgehängt

"Deutschland steht bei den Produktionstechnologien und Bio- und Lebenswissenschaften vielleicht noch ganz gut da, läuft aber vor allem bei den digitalen Technologien eigentlich international weit, weit hinterher, erschreckend weit."

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Uwe Cantner (Video)
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Uwe Cantner und die von ihm geführte Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) hat sich Deutschlands Stellung im Bereich von Schlüsseltechnologien genau angesehen. Das Ergebnis: Abgesehen von wenigen Bereichen, wie zum Beispiel den Life Sciences, ist Deutschland international abgehängt, vor allem bei Digital-Technologien. Länder wie China oder Korea haben Deutschland nicht nur ein-, sondern schon überholt. Auf lange Sicht wird der Abstand sogar noch größer werden, so dass eine technologische Abhängigkeit von China drohe, so Cantner.

Ein Weg aus dieser Situation könnte sein, sich zumindest auf einige wenige Schlüsseltechnologien zu fokussieren, um nicht überall in Abhängigkeit zu geraten. Das sollten aber dann jene Technologien sein, die besonders wichtig seien, nämlich die digitalen Schlüsseltechnologien. Das könne aber nicht durch halbherzige Programme und Initiativen erreicht werden, sondern müsse mit Entschlossenheit energisch betrieben werden.

Das Abschneiden Deutschlands in internationalen Rankings sei "fast schon blamabel" zu nennen beziehungsweise "erschreckend". Deutschland sei anscheinend auch nicht in der Lage, von anderen Staaten zu lernen, wie man Prozesse auf den Weg bringt. 

In der deutschen Politik sei nicht zu erkennen, wer bei der Digitalisierung den "Hut aufhabe" – es passiere aktuell auch sehr wenig – vielleicht eine Folge der internationalen Krisen. Digitalisierung müsse strategisch zentral gedacht und koordiniert werden, sonst laufe man Gefahr, dass Dinge nicht miteinander harmonieren. Was gerade in der digitalen Welt fatal sein könne. 

Alle Beteiligten in den Subsystemen müssten auch "mitgenommen werden", statt Digitalisierung verordnen zu wollen. Im Bereich der Digitalisierung des Gesundheitswesens hätten Österreich, Estland oder auch Spanien gezeigt, wie man das erfolgreich betreibe. 

Das Interview entstand im Zusammenhang mit dem Forschungsgipfel 2022.

 

Transkript des Videos

Bei Schlüsseltechnologien ist es so, dass die da ja dafür verantwortlich sind, wie es in der Zukunft aussieht bei uns. Also, ob wir ökonomisch, wettbewerbsmäßig international bestehen können. Und wir hatten dann gesagt: Wir schauen uns die Schlüsseltechnologien an, wenn die besonders wertvoll sind. Und wir haben überlegt: Wie sieht es international aus heute, morgen und übermorgen? Und wenn man sich das betrachtet, dann stellt man eben fest: In den 13 Schlüsseltechnologiebereichen, die wir haben, die kann man nochmal in größere Felder, in vier Stück einteilen, mit denen möchte ich auch argumentieren, das andere ist zu kleinteilig, dann stellt man eben fest, dass Deutschland bei den Produktionstechnologien und bei den Bio- und Lebenswissenschaften vielleicht noch in dem einen oder anderen Fall noch ganz gut da steht. Aber vor allem bei den digitalen Technologien eigentlich weit, weit hinterherläuft international, erschreckend weit. Und das hat uns schon überrascht, dass es so erschreckend ist.

Dann kann man sagen: Naja, heute der Zustand, vielleicht sieht es ja morgen, übermorgen besser aus, und für morgen können sie die Patente von heute als Indikator nehmen. Wer hat da mehr? Ganz vereinfacht ausgedrückt. Dann stellen Sie aber fest, dass Deutschland gerade international so im Mittelfeld schwimmt, in den Steigerungsraten, wie viele Patente man hat, während andere Länder, China, Korea, massiv zugelegt haben. Und die haben uns dann teilweise nicht nur eingeholt, sondern sogar überholt. Und wenn Sie dann nochmal in die wissenschaftlichen Publikationen schauen, das ist dann quasi die Indikation für übermorgen, dann sieht es noch dramatischer aus. Da hat China im Prinzip alle überholt. Und deswegen muss man da ein besonderes Augenmerk darauflegen. Wenn Sie dann nachgucken, wo gerade bei den digitalen Technologien, wie versorgen wir uns dann damit, dann stellen wir fest: Wir sind ein Netto-Importeur. Ich meine, das heißt nicht, dass wir nicht irgendwo digital auch was machen. Es gibt auch gute Unternehmen in Deutschland, die digital erfolgreich sind international. Aber in der großen Breite sind wir es nicht. Wir sind Netto-Importeur. Wenn Sie dann nachgucken: Von wem kommt es eigentlich im wesentlichen? Dann sind Sie ganz schnell bei China. Und das ist dann eine Riesenabhängigkeit. Wir wissen, die geopolitischen Machtverschiebungen, die jetzt stattfinden, und dann hat man sofort das Thema technologische Souveränität auf dem Schirm. Da sagt man: Naja, wenn ich zu 30 Prozent abhängig bin, und dann wird auf einmal gestoppt mit Lieferungen usw., dann habe ich die Souveränität letztendlich verloren. Und die Souveränität ist ja einerseits Beherrschbarkeit, andererseits ist es Verfügbarkeit. Dann haben wir erst die Verfügbarkeit nicht mehr, wenn man es uns nicht liefert. Wenn wir es nicht zur Verfügung haben, dann können wir damit auch nicht arbeiten, dann beherrschen wir es auch nicht mehr. Da muss man jetzt sehr, sehr aufpassen, dass das nicht schiefläuft. Und da muss die Bundesregierung was tun, mit den Unternehmen zusammen, natürlich. 

Wenn wir die 13 Schlüsseltechnologien nehmen, nehmen wir mal an, das wären die, die man braucht, wir können nicht überall Weltmeister sein. Das ist budgetär gar nicht darstellbar. Das kriegen die Unternehmen nicht hin, das kriegt der Staat nicht hin. Also müssen wir uns irgendwo spezialisieren, und Spezialisierungsvorteile, das ist altbekannt seit Adam Smith, das ist etwas Gutes, und das soll man durchaus eingehen. Natürlich hat man jetzt die Souveränitätsdiskussion dazu, die sagt: Nein, wir sollten es lieber selber machen, sonst macht man sich abhängig von Zweiten und Dritten. Das ist ungünstig. Und jetzt muss man dieses Spannungsverhältnis irgendwie versuchen aufzulösen, und das bedeutet, dass man zumindest in einigen Schlüsseltechnologien vorne mitspielen muss. Dann hat man, gegebenenfalls es kommt zu Auseinandersetzungen und zu Liefersperren usw., dann hat man ein bargaining chip in der Hand und sagt: Naja, wenn ihr mir das nicht gebt, dann kriegt ihr das nicht mehr. Ich meine, diese Spiele möchte ich alle nicht, und es wäre gut, die würden nie stattfinden, aber sie sind auch nicht ganz ausgeschlossen. Und dann hat man diese bargaining chips, und damit kann man dann letztendlich verhandeln und ist nicht in einer kompletten Abhängigkeitsposition. So wie ich aber vorhin beschrieben habe, wie die Situation in Deutschland aussieht, vor allem morgen, übermorgen, laufen wir durchaus Gefahr, in allen Schlüsseltechnologien nach hinten zu fallen, selbst in denen, wo wir gut sind, Biowissenschaften, Produktionstechnologie, schon alleine vor dem Hintergrund, und das muss man vielleicht auch nochmal dazu sagen, dass die digitalen Schlüsseltechnologien eigentlich Königsschlüsseltechnologien sind in dem Sinne, dass sie selbst auf andere Schlüsseltechnologien einen Einfluss haben. Biowissenschaften, Lebenswissenschaften ohne digitale Technologien können Sie heute nicht machen. Produktionstechnologien weiterentwickeln ohne Digitales können Sie heute nicht machen. Also, es gibt unter den Schlüsseltechnologien noch einen König sozusagen, der noch über allen anderen steht und daher noch wichtiger ist, und das sind die digitalen Schlüsseltechnologien. Da muss man dann schon aufpassen, dass man da eben nicht nach hinten fällt, und deswegen, diese müssen betont werden, aber eben auch speziell, auch nicht in der kompletten Breite. Ich würde niemals vorschlagen, dass Halbleiter in der Standardversion, die man überall einsetzen kann, dass wir die unbedingt in Deutschland produzieren müssen. Das kann in China passieren oder sonstwo. Wir müssen nur die Kapazität haben, im Notfall es selber produzieren zu können. Aber wenn wir hier Spezialchips herstellen, dann haben wir auch die Kenntnisse, wie man die normalen, die herkömmlichen Chips herstellt, und dann sind wir, glaube ich, au der sicheren Seite. 

Es gibt Schlüsseltechnologien, die schon etwas älter sind, die schon ein paar Jahre auf dem Buckel haben udnd sich weiterentwickeln sehr erfolgreich, aber es gibt auch relativ junge, potenzielle Schlüsseltechnologien. Die zu identifizieren, ist nicht so ganz einfach, aber man kann es machen. Und Quantencomputing gehört wahrscheinlich dazu. Und da ist der Zug noch nicht abgefahren. Da müssen wir aufpassen, dass wir gar nicht in den Rückstand kommen, sondern dass wir gleich vorne mitspielen. Das ist, glaube ich, in gewisser Weise schon erkannt. Es gibt ja Programme der Bundesregierung, die das Quantencomputing befördern sollen usw. Ich habe aber das Gefühl, an vielen Stellen wird was gemacht, es ist nicht richtig koordiniert, das könnte man auch zusammenlegen. Man könnte manchmal ein bisschen mehr an Impetus reingeben. Ich habe immer so das Gefühl, dass man sagt: Naja, wir subventionieren das schon, aber vielleicht reicht auch die Hälfte. Das sage ich jetzt mal etwas flapsig. Uund da muss man manchmal intensiver reingehen. Andere Länder, die USA, gehen halt ganz intensiv rein. Also, wenn sie was machen, dann machen sie es sozusagen richtig. Und wir stoppen manchmal bei der Hälfte und sagen: Naja, vielleicht geht es auch so. Und das ist in einer technologischen Entwicklung, wo Führerschaften ganz schnell ausgebildet werden, ist das eigentlich nachträglich, wenn ich nicht gleich von Anfang an richtig dabei bin,  dann falle ich automatisch Schritt für Schritt zurück. Und der Prozess des Aufholens ist sehr schwierig, auch sehr mühsam. Vorsicht, guckt euch die potenziellen Schlüsseltechnologien an und seid da rechtzeitig mit dabei!

Was in puncto Digitalisierung in Deutschland auf den Weg gebracht wird bzw. nicht auf den Weg gebracht wird, so muss man fast sagen, und das im internationalen Vergleich, wo wir da stehen, das finde ich teilweise fast schon blamabel. Wir hatten ja ein Kapitel zur Digitalisierung des Gesundheitswesens. Wenn man sich da die internationalen Rankings anschaut, wo da Deutschland steht und was andere Länder gemacht haben, und dass man nicht in der Lage ist, dort mal hinzuschauen und zu fragen: Wie haben es die denn gemacht? Dann können wir Anleihen nehmen, wie man so einen Prozess auf den Weg bringt erfolgreich. Das finde ich erschreckend. Wenn man dann sieht, dass die neue Koalitionsregierung ein Digitalisierungsministerium nicht eingeführt hat, gut, politische Entscheidung, aber das, was im digitalen Bereich läuft, auch nicht richtig miteinander koordiniert wird ... Wenn Sie mich fragen: Wer hat den Hut auf bei Digitalisierung in der Regierung? Ich wüsste es nicht. Ich glaube, es ist das Digital- und Verkehrsministerium, aber wissen tue ich das auch nicht, weil ich merke, dass gerade nicht viel passiert. Jetzt mache ich eine Einschränkung: vielleicht den Krisen geschuldet. Andererseits, Leute, die Digitalisierung der Wirtschaft, der Gesellschaft ist doch wichtig, dass wir mithalten können, dass wir uns das alles leisten können. Und das ist etwas, was mich stört und was mich auch in gewisser Weise ärgert. Die andere Verwerfungen und so, das ich, glaube ich, alles irgendwo machbar. Die Digitalisierung, weil das schon seit Jahren so ist, man seit Jahren darauf hinweist, dass wir da ein Manko haben. Je öfter man darauf hinweist, desto mehr rutschen wir in der Rangskala nach hinten. Wir waren mal Nummer 14, jetzt sind wir Nummer 24. Und höhere Rangzahl ist nicht besser, sondern schlechter.

Wir brauchen eine Digitalisierungsstrategie, die von oben gedacht ist, dann ruhig dezentral weitergegeben wird in den verschiedenen Bereichen, aber trotzdem oben irgendwie zusammengeführt ist und sich dann so weiter in die verschiedenen Bereiche hinein entwickelt. Da muss nicht oben alles haarklein aufgeschrieben werden, aber es muss quasi eine Koordination da sein zwischen den verschiedenen Einheiten, denn digitale Technologien müssen ja miteinander korrespondieren, die müssen ja zusammenpassen, die müssen interoperabel sein, die Schnittstellen müssen bedient werden und, und, und. Und das ist in der Vergangenheit einfach nicht passiert, sondern hier hat man mal was gemacht, hier mal was gemacht, alles mit guten Absichten, keine schlechten Absichten. Und nachher passt es halt einfach nicht zusammen. Und ich meine, so eine Strategie braucht man, die von oben gedacht ist, die dann weitergegeben wird in die verschiedenen Bereiche, über die Ministerien dann auf die weiter unten liegenden Ebenen, auch im förderalen System in die Kommunen hinein. Aber es muss mal konzeptionell vorgedacht sein. Wenn man das macht und dann die Akteure mitnimmt, Sie dürfen auch so eine Strategie den Leuten nicht einfach drüberstülpen, sondern Sie müssen an verschiedenen Punkten sagen: Und dort brauche ich Sie, und dort brauche ich Sie, und Sie müssen da mitmachen! Ihe Beitrag sorgt dafür, dass es dann auch funktioniert. Und dann kann es gelingen. Aber solange sie das nur so einfach draufgestülpt bekommen, ab morgen ist es anders, dann sagen Sie: Werden wir mal sehen, was ab morgen ist! Und das ist ja der Erfolg, jetzt gehe ich auf diesen kleineren Bereich Digitalisierung des Gesundheitswesens, der Erfolg in Österreich, der Erfolg in Estland und der Erfolg in Spanien, dass man die Leute, die Beteiligten an dem System, vor allem auch die Ärztinnen und die Ärzte, mitgenommen hat und gesagt hat: Wir brauchen euch! Und das scheint man hier vergessen zu haben.