Gunter Dueck: E-Mails & Disziplin

"Man kann meistens alles in einer Zeile schreiben. Viele, viele Leute begehen den Fehler, Mails länger als fünf Zeilen zu schreiben. Also, länger als zehn Zeilen ist kriminell."

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Gunter Dueck: E-Mails & Disziplin (Video)
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Da schickt Ihnen jemand eine endlos lange E-Mail, und Sie fragen sich: Was will der eigentlich? So geht's auch Gunter Dueck, Philosoph mit Management-Erfahrung. Und um nicht in zeitraubendes Antwort-Pingpong zu verfallen, hat er sich eine Anti-Stress-Strategie für seine E-Mail-Korrespondenz zurecht gelegt, die er eisern befolgt. Aber was passiert, wenn der Bauch sich meldet: Mach doch mal 'ne Ausnahme?
 

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Autor: Timur Diehn
Produktion: Webclip Medien Berlin
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Transkript des Videos

Man kann meistens alles in einer Zeile schreiben. Viele, viele Leute begehen den Fehler, Mails länger als fünf Zeilen zu schreiben. Also, länger als zehn Zeilen ist kriminell.

Man kann es auch untergliedern. Also, man soll einfach schreiben: Euer Ehren, ich möchte jetzt eine neuen Computer bestellen. Also so, ja? Die meisten Leute schreiben: Wie Sie wissen, habe ich in meinem Projekt Probleme usw. Der Strom geht manchmal nicht, und das Kabel hat nicht funktioniert, und seit einem Jahr funktioniert die Enter-Taste nicht usw. Und nach drei Seiten Erguss sagt er: Es wäre vielleicht besser zu überlegen, ob ich bei der nächsten Computeraktion in fünf Jahren auf die Prioritätenliste ein bisschen höher komme oder so. Dann sitzt man da als Chef und sagt: Was will er jetzt eigentlich? Was will er, was will er? Man kriegt so richtig einen Zorn auf diesen Menschen, weil man nicht weiß, was er will. Wenn man ein mächtigerer Manager ist, hat man einen Assistenten. Dann liest man die Mail nach fünf Zeilen nicht durch, weil man nicht weiß, was der will. Und sagt: Guck mal, was der überhaupt will! Und so vertun die Leute ihre Zeit. Also, die vertun die Zeit mit seitenlangen E-Mails, und die werden aber nicht gelesen. Alles über fünf Zeilen ist irgendwie kritisch. Dann bringt man ihnen bei: Das ist eine Kommunikationskunst. Dann muss man einfach sagen: Ich möchte einen neuen Computer! Das ist manchmal ganz gut vor einem Gespräch, weil der andere vorgewarnt ist, wenn ich jetzt anrufe und sage: Pass auf, da ist ein Problem usw. usw. Dann redet man wieder 20 Minuten rum. Und dann ist es manchmal besser, man schreibt einfach auf: Pass auf, das und das ist das Problem, und das brauche ich. Und schreib "Ja" zurück oder ich drohe dir einen Telefonanruf an.

Es gibt ja viele so wie in der Schule, die sagen: Ich mach die Schulaufgaben auf den letzten Drücker, weil sie keinen Willen haben, praktisch. Die Tugenden sind ja Hartnäckigkeit, Zuverlässigkeit, Durchhalten ... also dass man, beharrlich heißt es im Chinesischen, die sagen immer, beharrlich soll man sein. Dass man an der Sache dran bleibt und seine Pflicht einfach erfüllt. Und viele Leute sagen, sie kriegen nicht genug Adrenalin in den Körper. Aber wenn es in fünf Minuten sein muss, setzen sie sich doch hin vor Angst und machen das. Und es gibt viele Leute, die machen grundsätzlich das nur auf den letzten Drücker, weil sie dann genug Energie haben. Und sie merken aber nicht, dass sie den anderen Tonnen voll Arbeit einhandeln, also praktisch, die wundern sich dann immer, dass sie so unzuverlässig ... Sie werden nicht gerade geliebt von außen, sagen aber: Ich hab doch immer zum Termin geliefert. Aber sie haben dauernd Stress gemacht. Und das führt natürlich auch zu dieser allgemeinen Arbeitsverdichtung und Überlastung. Ich sag ja auch immer: Diese Arbeitsverdichtung und Überlastung sind Teil von Unfähigkeit. Das liegt ja daran, dass ich irgendwie keine Lust habe irgendwo, so eine Arbeit zu machen. Und dann schiebe ich es auf den letzten Drücker auf, weil ich dann genug Druck drauf habe, dass ich es machen muss, also dass das Leiden vor der Deadline stärker ist als das Leiden, das Zurückschrecken vor der Arbeit als solche. Und das heißt einfach, dass die Leute Arbeiten machen müssen, die sie absolut schrecklich finden. Das macht ja den ganzen Stress auch aus.

Es gibt viele Situationen, wo die Entscheidung feststeht. Wo man auch nichts machen kann. Also praktisch, es sind oft so Entscheidungen, wo die Antwort glatt Nein ist, also der Prozess in der Firma gibt das gar nicht her. Nein. Und es gibt natürlich, da wird man immer appelliert als Manager: Ich soll mal eine Ausnahme ziehen in diesem einzelnen Fall, ja? Ich soll eine Ausnahme ... und jetzt kriege ich 50 Ausnahmen. Also, bei mir ist es so, ich könnte mein ganzes Leben füllen mit Vorträgen für Studenten an irgendwelchen Unis, weil die schreiben dann: Ich habe ein Buch von dir gelesen und komm mal bei uns vorbei! Ich könnte ein ganzes zweites Leben füllen mit Dingen, die nicht unbedingt Priorität haben, aber jeden einzelnen Fall könnte ich auch positiv bescheiden, das ist nicht der Punkt. Und dann weiß man aber im Management auch: Es kann nur begrenzt viele Ausnahmen geben. Und dann weiß man im Bauch: Diese Ausnahme geht gar nicht, weil es auch zu viel Ärger gibt oder so, wenn ich eine Ausnahme machen muss. Und man muss diese Ausnahmen im Management gut als Portfolio halten, ja? Also, man darf alle paar Monate mal eine große Ausnahme machen. Dann sagen sie: Ja, komm ... Aber ich muss den Rest der Zeit diszipliniert sein. Ich kann nicht dauernd eine Ausnahme machen. Der Bauch weiß das. Man weiß ganz genau, wann irgendwas jetzt Scherben gibt oder Schwierigkeiten usw. Man darf ab und zu mal was machen, ganz selten. Ich habe mir das so aufgehoben, also, eine gute Idee ist immer so relativ rational zu sein, und dann darf man ab und zu mal sagen: Dieser Fall ist zwar gegen jede Vorschrift. Also, kommt einer mit einer neuen Idee, und der muss gefördert werden. Der Prozess verbietet es. Und dann arbeitet man für Monate sehr diszipliniert, und dann darf man im Management: Komm, pass auf, unabhängig von jeder Vernunft, gebt ihn mir! Schenkt mir einmal ‘nen Freischein! Und dann sagen sie: Ja, ist gut. Jetzt hast du brav gearbeitet, darfst du. Man muss sehr genau wissen, wann man die Ausnahmen machen darf und wann nicht. Das hat was mit den anderen zu tun, mit der ganzen Kultur usw. Und die muss man dann auch behüten, das sind so eine Art Freikarten oder Wildcards, die darf man nicht jedem verschenken. Das weiß der Bauch ganz genau, dass ich Wildcards nicht einfach verschenke. Aber ich könnte es an jeder Stelle. Und dann kann man sich natürlich lange Gedanken machen im Herzen, ob ich diesmal die Wildcard ziehe, aber der Bauch weiß: Das darfst du nicht! Und dann muss man einfach sagen: Nein!