Markus Beckedahl: Kulturkampf um das Internet

"Wir versuchen das Gefühl zu vermitteln, dass Einmischen in einer Demokratie etwas bringt, dass man nicht aufgeben und dass man einen langen Atem haben sollte."

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Markus Beckedahl: Kulturkampf um das Internet (Video)
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Transparenz, Zusammenarbeit, Offenheit – Werte, die durch das Internet populär geworden sind. Aber wer sie praktisch anwenden will, stößt oft auf erbitterten Widerstand, so Netzaktivist Markus Beckedahl. Doch die Verteidiger des alten Systems bekommen trotz ihrer Lobbymacht viel Gegenwind. Und das von einer Seite, von der sie es nicht unbedingt erwartet hätten.

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Autoren: Corina Niebuhr, Timur Diehn
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Transkript des Videos

Wir befinden uns eigentlich in so einer Art Kulturkampf, ...

... wo quasi neue Werte, die durch das Internet populär geworden sind, Werte wie Transparenz, wie Offenheit, Zusammenarbeit quasi wie in so einem Kulturkampf oder clash of cultures mit alten Werten, wie früher Wirtschaft und Gesellschaft funktioniert hat, zusammenknallen. Das finde ich halt eine sehr spannende Zeit, weil es einfach vollkommen unklar ist, was die Zukunft bringen wird und welche Werte, welche Formen von Zusammenarbeit sich durchsetzen werden. Wie gehen wir damit um, dass wir als Gesellschaft es zulassen, dass wir quasi privatisierte Öffentlichkeiten erhalten, wo einfach Unternehmen quasi durch eigene Regelsetzung, aber auch durch Technik quasi für uns die Regeln vorschreiben, wie wir zukünftig kommunizieren und in einer Öffentlichkeit agieren. Und wo eigentlich jeden Tag an unterschiedlichsten Fronten quasi dieses Wechselspiel noch austariert wird und wo quasi ja eine neue Generation mit diesen neuen Werten alles in Frage stellt, was den Status quo irgendwie ergibt.

Also, ein gutes Beispiel ist die Geschichte um Aaron Swartz, einem jungen Entwickler, der quasi im Teenageralter mit großen Koryphäen, die seine Eltern oder seine Großeltern sein konnten, zusammengearbeitet hat, Webstandards mitentwickelt hat und der zunehmend politischer wurde und sich dann irgendwann diesem Bereich Informationsbefreiung zugewandt hatte, um auch quasi durch eine Art von zivilem Ungehorsam dieses System, wie wissenschaftliches Wissen privatisiert wird, zurückgehalten wird, quasi auf den Kopf zu stellen bzw. dadurch, dass er riesige wissenschaftliche Datenbanken quasi abgegrast hat, sie heruntergeladen hat mit dem Ziel, sie der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, weil eigentlich waren diese wissenschaftlichen Ergebnisse von der Öffentlichkeit finanziert, aber dann durch den traditionellen Wissenschaftsbetrieb quasi privatisiert und verschlossen, also dass er dann quasi deswegen vor Gericht gestellt wurde. Man wollte ein Exempel an ihm statuieren. Es war von mehreren Jahrzehnten Gefängnis die Rede. Und er hat sich auch wahrscheinlich durch diesen Druck dann selbst umgebracht, also da ist eine menschliche Tragödie reingekommen, dass halt quasi für einen jungen Menschen Mitte der 20er einfach das zu groß wurde. Dabei wollte er eigentlich nur, ja, Wissen öffentlich zugänglich machen, damit mehr Menschen quasi auf diesem Wissen aufbauen können und noch viel mehr Wissen für alle schaffen können.

Das SOPA/PIPA war so eine der größten netzpolitischen Debatten der USA, wo es halt darum ging, dass irgendwie 2011, 2012 herum sich Hollywood, die Entertainment-Lobby massiv durchgesetzt hatte im politischen Washington, um neue Regen fürs Netz zu schaffen, die halt so Mechanismen wie Netzsperren und eine zunehmende Überwachung des Netzes als Teil der Durchsetzung eines veralteten Urheberrechts durchzubringen, was halt massiv an der offenen Architektur des Internets oder die offene Architektur des Internets verändert hätte. Es ging eigentlich um so einen Kulturkampf, ob wir das Internet zu so einer Art Kabelfernsehen 2.0 machen können, also quasi zurück zu: "Das hat aber früher anders funktioniert! Das muss wieder genauso funktionieren!" Oder ob man akzeptierte, dass das Internet einfach alle Regeln auf den Kopf stellt und neuen Raum schafft. Und bei SOPA/PIPA gab es halt diesen Kulturkampf, dass auf der einen Seite halt die mächtigen alten großen Lobbys der Entertainment-Industrie standen, auf der anderen Seite sich quasi eine digitale Zivilgesellschaft mit großen Netzunternehmen wie Facebook oder von Google bis Mozilla vernetzte, die damals das Lobbying in Washington noch gar nicht so ernst genommen hatten, die aber durch massive gemeinsame Aktionen wie einem Blackout Day, dass also große Webseiten in den USA für einen Tag geschwärzt waren, um auf eine gemeinsame Petition hinzuweisen, wo man Millionen von Menschen versammelt hatten, die quasi ihre Stimme auch in Richtung politisches Washington erhoben haben, um quasi, ja, diese Gesetze zu verhindern.

Das ist aber ein sehr amerikanisches Ding gewesen, einerseits die Verbindung zwischen Zivilgesellschaft und Unternehmen, die, sagen wir mal, in Deutschland so nicht funktionieren würde, wenn, sagen wir mal, die digitale Zivilgesellschaft sich hier mit Google verbünden würde für irgendwelche Sachen, dann wäre man für immer verbrannt als von Google gekauft. Deswegen hält man hier mehr den Abstand. Aber wir haben ganz andere Auseinandersetzungen gehabt. Ein Beispiel: 2009, die Diskussion um das Zugangserschwerungsgesetz, die Netzsperren, die damals Ursula von der Leyen als Familienministerin einführen wollte und die es eigentlich auch durch die damalige Große Koalition in Gesetzesform geschafft hatte, aber nie wirklich in Kraft getreten ist, weil sich auf einmal in diesen neuen Öffentlichkeiten, im Netz, eine riesige Opposition gebildet hatte, die politisch gar nicht abgebildet wurde, weil im Wahlkampf wollte sich keiner von den traditionellen Parteien irgendwie hinstellen und als kinderpornografiefreundlich darstellen, weil man leicht in die Ecke gerückt werden konnte, weil das war ja das Ziel, man wollte doch etwas gegen Kinderpornografie tun, und alle, die dagegen waren, die wären halt Fans von Kinderpornografie. Aber trotzdem hat sich massiv etwas durchgesetzt, was wir vorher so nicht kannten, nämlich dass sich viele Leute zusammengeschlossen haben und das auch für die Politik nicht greifbar war, weil es war zum ersten Mal keine große Organisation dabei. Es waren keine große Unternehmen, sondern es war eine riesige vernetzte Zivilgesellschaft von Einzelbürgern, die damals die größte Petition beim Deutschen Bundestag gemacht hatte, wo 140.000 Leute sagten: Wir sind auch gegen Kinderpornografie, aber diese Netzsperren sind eine große Gefahr für unsere Demokratie! Das war sozusagen der eine Teil. Der andere Teil war dann 2012, als ACTA, dieser internationale Handelsvertrag zum Stopp der Piraterie, quasi SOPA/PIPA auf internationaler Ebene in Europa, vor allen Dingen in Deutschland gestoppt wurde, indem halt auch sich auf einmal adhoc viele Leute zusammengetan hatten ohne Organisationsinfrastruktur dahinter, die über das Netz dann auf einmal in Deutschland an einem Aktionstag bei minus 10 Grad im Februar in 60 Städten 100.000 junge Menschen auf die Straße gebracht haben, die einfach mal sagten: So, es reicht uns mit diesen ständigen Grundrechtseingriffen, um halt so ein altes System, nämlich das System, das das veraltete Urheberrecht auch radikal durchgesetzt werden muss, ohne Reform und koste es, was es wolle, dass das eigentlich mal ein Ende haben muss. Und das hat ACTA halt gestoppt, ohne dass halt eine Zivilgesellschaft mit Google & Co. dagegen vorgehen konnte, das war ja für viele unvorstellbar. Bei uns klingelten die ganze Zeit Journalisten und versuchten investigativ herauszufinden, wie uns da Google unterstützt hat, weil Google in den USA da auch irgendwie bei SOPA/PIPA dagegen war und das muss ja bei uns auch sein, sonst würde ja keiner auf die Idee kommen, gegen ACTA vorzugehen. Aber wir hatten halt sehr gute Gründe, weil wir der Meinung waren: Das ist ein weiterer Schritt, der zementiert diese alten Regeln. Und das führt dazu, dass darum dann wiederum Netzsperren, aber auch viele andere Grundrechtseinschränkungen in der digitalen Welt legitimiert werden. Und wenn wir das nicht verhindern, dann zementieren wir quasi die alten Strukturen, während aber noch vollkommen ungeklärt ist, ob nicht irgendwie diese neuen Strukturen viel zukunftsgewandter und viel besser für unsere Gesellschaft sind.

Wir versuchen auch immer mehr Menschen zu ermuntern, selbst in dieser Demokratie als Bürger, einfach nur als Unternehmen auch mit Bürgerinteressen teilzuhaben, die eigene Stimme zu erheben, weil es geht ja letztendlich um unsere digitale Gesellschaft. Es geht ja darum, in welcher digitalen Gesellschaft wollen wir leben? Welche Regeln geben wir uns? Und da gibt es natürlich die einen, die halt dann irgendwann resigniert zurückgehen, große Teile der Piratenpartei waren mal hochmotiviert und haben sich die ganze Zeit nur bekriegt. Da ist halt leider uns auch in Deutschland ein Teil weggebrochen an motivierten Menschen, und wir versuchen trotzdem dieses Gefühl zu vermitteln, dass halt Einmischen in einer Demokratie etwas bringt und dass man halt nicht aufgeben sollte, dass man einen langen Atem haben sollte, weil diese Debatten, die wir führen, die müssen wir teilweise auch immer wieder führen, weil alle zwei Jahre sind die Probleme teilweise immer noch nicht gelöst, aber es gibt auf einmal ganz viele neue Player, die mitdiskutieren wollen, die dann aber wieder von vorne anfangen. Und dann ist natürlich unsere Herausforderung immer, den Leuten zu erklären: Ja, natürlich, haben wir das vor zehn Jahren schon diskutiert. Es hat sich aber noch nix verändert. Wir müssen das weiterdiskutieren! Auf der anderen Seite sitzen viele Leute in Unternehmen, die sitzen einfach ihre Zeit ab und wissen halt, irgendwie ihre Zeit wird kommen, weil sie haben das ganze Geld und können Leute beschäftigen, die sich da einmischen für ihre Interessen. Aber eigentlich sollte sich jeder einmischen in einer Demokratie.