Mehr Interaktion statt reiner Kommunikation

 
Im Interview mit Teresa Völker, Doktorandin am Zentrum für Zivilgesellschaftsforschung, für das Online-Portal "Elephant in the Lab" spricht Stifterverband-Generalsekretär Volker Meyer-Guckel über Herausforderungen und Zukunftsperspektiven der Wissenschaftskommunikation.

Deutsche Fassung der Erstveröffentlichung vom 17. Oktober 2023

 

Was ist für Sie das Ziel von Wissenschaftskommunikation? Was kann Wissenschaftskommunikation bewirken?
Die Ziele der Wissenschaftskommunikation sollten sich in der Art und Weise ändern, wie sich die Wissenschaft ändert, die Kommunikation und die Gesellschaft, wir können es nicht auf einen Faktor reduzieren. 90 Prozent der Wissenschaftskommunikation, wie sie im Augenblick betrieben wird, ist gesellschaftlich weitgehend uninteressant und eigentlich nur PR oder politischer Lobbyismus in eigener Sache. Es geht vor allem um die Selbstdarstellung von Forschungsinstitutionen und die einseitige Medialisierung von Forschungsergebnissen. Diese Form ist unzureichend, dennoch mit vielen Ressourcen belegt. Wissenschaftskommunikation wird spannend, wenn die Wissenschaft mit der Gesellschaft interagiert. Peter Weingart, ein renommierter Forscher in dem Bereich, hat einmal geschrieben: "Die behauptete Kluft zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ist eine politische Konstruktion." Diese These, dass keine Kluft besteht, möchte ich in Frage stellen. 

Inwiefern? 
Zunächst einmal kann man festhalten: Viele der aktuellen gesellschaftlichen Debatten darüber, wie wir leben sollten, wie wir wirtschaften sollten, wie wir sprechen sollten und was wir fürchten sollten, sind ja von der Wissenschaft in erheblichem Maße mitgeprägt. Da gibt es durchaus unterschiedliche Debattenstände innerhalb und außerhalb der Wissenschaft, um das Mindeste zu sagen. Es gibt aber eben auch andere Referenzpunkte, Kommunikationslogiken und Wertesysteme. Dies zu thematisieren wäre eine große Aufgabe der Wissenschaftskommunikation. Aber es geht ja noch um mehr: Wenn die Lebenswissenschaften tief in die genetischen Codes des Lebendigen eingreifen, wenn von Forschenden erschaffene künstliche Intelligenz die Art und Weise, wie wir kommunizieren, wie wir Wissen austauschen und wie wir Erkenntnisse produzieren grundlegend verändert oder wenn Epidemiologinnen und Epidemiologen mit ihrem gesicherten Wissen, aber auch mit ungewissen Erkenntnislagen zu Entscheidungen führen, die gesellschaftliche Freiheitsgrundsätze berühren, so meine ich, kann man sich nicht länger zurückziehen und sagen, der gesellschaftliche Umgang mit dem Stand wissenschaftlicher Debatten sei der alleinige Raum der Politik. Man ist Teil dieses Raumes, wissenschaftliche Diskursräume verschränken sich zusehends mit politischen und gesellschaftlichen. Hier müssen viel mehr Brückenschläge her, und zwar solche, die systematisch durchdacht werden und nicht dem Medienverhalten einzelner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler oder Einrichtungen überlassen bleiben – ein großes Feld für Wissenschaftskommunikation, das kaum bespielt wird.

Man kann sich nicht länger zurückziehen und sagen, der gesellschaftliche Umgang mit dem Stand wissenschaftlicher Debatten sei der alleinige Raum der Politik.

 

Welche Rolle spielt dabei die Aufmerksamkeitsökonomie, also die Tatsache, dass Aufmerksamkeit ein knappes Gut ist? Welche Forschungsergebnisse bekommen überhaupt Zugang zu öffentlichen und politischen Debatten?
Wissenschaft hat im Kontext der Aufmerksamkeitsökonomie gemeinhin schlechte Karten, weil man dafür klassische Trigger wie Sensation, Moral und Empörung bedienen muss. Zugleich gibt es aber Bereiche, wo Stimmen aus der Wissenschaft erwartet werden, insbesondere bei gesellschaftlichen Konflikten und Transformationsprozessen, die durch bestimmte Forschungsergebnisse gespeist werden, aber zu ethischen, ökonomischen oder sozialen Kontroversen führen. Für mich ist das der eigentlich interessante und noch weitgehend unerforschte Raum für Wissenschaftskommunikation. Es gibt viel zu wenig Erkenntnis darüber, wie Wissenschaft in diesen Räumen agiert, agieren sollte und wie sie sich selbst und die Gesellschaft dadurch verändert. Darauf sollte viel mehr Aufmerksamkeit legen, sowohl in der Wissenschaft selbst als auch in der Wissenschaftskommunikation und in der Wissenschaftsförderung. Darüber hinaus braucht es auch Foren, in denen sich diejenigen mit ihren Erfahrungen austauschen, die sich aktiv in gesellschaftliche Debatten und Transformationsprozesse begeben.

Wer ist denn DIE Wissenschaft, die kommuniziert?
Gute Frage. Es gibt natürlich nicht die eine Wissenschaft, sondern unterschiedliche Disziplinen und Perspektiven auf gesellschaftliche Herausforderungen, Phänomene und Problemstellungen. Ein verbreitetes Problem der wissenschaftlichen Politikberatung ist, dass meist nur ein kleines Spektrum der vorhandenen Expertise abgebildet wird. Während der Covid-Pandemie hat die Leopoldina beispielsweise eine Empfehlung zur Schulschließung veröffentlicht, die zwar auf wissenschaftlicher Expertise basierte, aber nur von einer verhältnismäßig kleinen Anzahl von Forschenden und Disziplinen verfasst wurde. Wissensträger außerhalb der academic community wurden schon gar nicht in diese Empfehlungen eingebunden, dabei wäre es sehr wichtig gewesen, die Expertise von möglichst vielen einzubeziehen. Wenn es um Wissenschaftskommunikation geht, sollte man disziplinäre Unterschiede betrachten und transparent machen. Die Kultur der Kommunikation in den Sozialwissenschaften ist ohne Frage anders als die Kultur in den Naturwissenschaften, und das beeinflusst dann auch die Art und Weise, wie in und mit der Gesellschaft kommuniziert und gearbeitet wird. Für mich ist es eine zentrale Aufgabe der Wissenschaftskommunikation, die Unterschiede der Kulturen unter den Disziplinen stärker zu thematisieren und für die Gesellschaft nachvollziehbar zu machen. Insgesamt muss man aber leider festhalten: Der wissenschaftliche Diskurs- und Publikationsraum ist vor allem durch Selbstreferentialität und (Hyper-) Spezialisierung geprägt. Handlungswissen oder Lösungsansätze für gesellschaftliche Herausforderungen werden selten generiert oder genießen einen minderen Status im akademischen Reputationssystem. Solange das so ist, werden wir bei der Wissenschaftskommunikation keine wesentlichen Fortschritte erzielen. Im Gegenteil, diese wird dann den Kommunikationsabteilungen der Forschungseinrichtungen überlassen, anstatt sie zu einem integralen Bestandteil des Aufgabenportfolios von Forschenden und Disziplinen zu machen.

Ein verbreitetes Problem der wissenschaftlichen Politikberatung ist, dass meist nur ein kleines Spektrum der vorhandenen Expertise abgebildet wird.

 

Wo sind die Grenzen von Wissenschaftskommunikation? Was kann und soll Wissenschaft leisten in der Kommunikation und wo geht es über die Kompetenzen hinaus?
Ich bin überzeugt davon, dass die Wissenschaft ihre Grenzen bisher zu eng zieht. Mein Plädoyer wäre, jenseits von Grundsatzdebatten die Grenzen einmal auszutesten und nicht nur in Kommunikationsräume, sondern auch in konkrete Transformationsräume der Gesellschaft hineinzugehen. Das passiert noch viel zu selten, auch weil es die Ressourcen dafür aktuell nicht gibt. Wenn ich "Transformationsräume" sage, spreche ich zum Beispiel von Reallaboren mit vielen Stakeholdern, wo man die Rolle von Wissenschaft jenseits von Forschung und Lehre testen kann und wo sichtbar wird, was sie leisten kann, wo sie auf Grenzen stößt und wie sie sich möglicherweise in solchen Konstellationen auch weiterentwickeln kann. Mit diesen Erfahrungen könnte man gemeinsam mit der Gesellschaft auch am "Erwartungsmanagement" arbeiten: Die Politik hofft ja zunehmend, dass durch die Teilhabe der Wissenschaft automatisch soziale Transformationsprozesse gelingen können – das ist natürlich eine Fehleinschätzung. Hier stellen Politik und Gesellschaft bisweilen einen Anspruch an die Wissenschaft, den sie gar nicht erfüllen kann, und genau diese Grenzen sollten empirisch ausgetestet werden, ohne von vornherein etwas auszuschließen, zum Beispiel aus reiner Angst, die wissenschaftliche Integrität könnte in solchen Prozessen verletzt werden. Das setzt freilich auch voraus, dass Forschende die Kommunikationsräume, in denen Bürger, Politiker oder auch Journalisten agieren, besser kennen und verstehen. Um mit Luhmann zu sprechen: Im medialen Raum geht es nicht primär um die Wahrheit wie im wissenschaftlichen Raum, sondern vorrangig um den Nachrichtenwert, also um Aufmerksamkeit. Auch in der Politik geht es nicht um Wahrheit, sondern primär um Macht. Diese Zusammenhänge zu reflektieren, zu verstehen und dann seine eigene Sprecherrolle und Akteursposition daraufhin zu beleuchten und zu konzipieren, ist ein Prozess, den man lernen kann. Ich habe gerade von ersten Aufbaustudiengängen gehört zur Rolle der Wissenschaft in der Politikberatung. Das finde ich sehr klug, weil man hier diese Teilsysteme, in die man sich begibt und die nach ganz anderen Regeln funktionieren als wissenschaftliche Diskurse, einmal systematisch reflektieren kann. Zu dieser Reflexion gehört auch die Frage, wie Wissenschaft in der Öffentlichkeit – oder vielleicht sollte man besser sagen: in den Öffentlichkeiten – nicht nur mit eindeutigen Forschungsergebnissen und gesichertem Wissen umgeht, sondern wie sie wissenschaftliche Prozesse insgesamt kommuniziert, also zum Beispiel über ungesichertes Wissen, Skepsis, Kritik und Methodenvielfalt redet. Wie sie also transparent und nachvollziehbar macht, wie Wissenschaft funktioniert. Hier sollte man den Menschen außerhalb der Wissenschaft durchaus auch Komplexitäten zumuten. Also selbstbewusst Unsicherheiten und Unschärfen kommunizieren, statt in Angst zu verfallen, dass man mit allzu viel Transparenz über die Begrenztheit von Wissen populistischen Vereinfachern das Spielfeld überlässt, weil man etwa glaubt, das Kommunizieren von Zweifeln könnte instrumentalisiert werden, um Forschung und Politik zu delegitimieren. Das System Wissenschaft zu erklären, gehört zur gesellschaftlichen Aufklärungsarbeit und zum Kern der Wissenschaftskommunikation.

Sollen das die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst leisten oder dafür spezialisierte Stellen geschaffen werden? Auch im Hinblick auf fehlende Ressourcen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler?
Die Kommunikationsstellen in den Forschungseinrichtungen sind ja in den letzten Jahren gesprossen wie Pilze aus dem Boden. Es wurden bisweilen mehr Kommunikationsstellen geschaffen als Wissenschaftsstellen. Aber dieses Personal bespielt in der Regel den Bereich der PR, den ich aufgebläht und langweilig finde. Forschungseinrichtungen delegieren damit Aufgaben der Wissenschaft an vermeintliche Spezialisten, weil man annimmt, Forschende brauchen Übersetzer, um so zu sprechen, wie man gemeinhin im medialen Raum spricht. Das ist aber weder authentisch noch ist es irgendwie zielführend. Wir brauchen aktive Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für die Kommunikation in gesellschaftlichen Räumen. Muss jetzt jeder Forschende ein Kommunikator sein? Ich sage nein, aber wenn die Person zu einem Themenbereich arbeitet, der in irgendeiner Weise gesellschaftliche Transformation berührt, etwa durch Technikanwendung oder durch soziale Praktiken, dann sollte sie ihre Rolle im gesellschaftlichen Raum reflektiert haben. Und wenn man sich entscheidet, eine solche Rolle aktiv oder sogar aktivistisch zu spielen, sollte man sich Klarheit darüber verschaffen, welche Sprecherposition man in welchen Kontexten einnimmt, wenn man einen Interaktionsraum mit der Gesellschaft betritt. Wo bin ich da noch der Wissenschaftler und wo bin ich Bürger? Habe ich, wenn ich auf einer Demonstration ein "Follow the Science"-Schild trage, eine andere Sprecherposition als die Oma nebenan? Wie gehe ich mit Wissensträgern außerhalb der scientific community um? Wie verändert das meine eigene Arbeit als Wissenschaftlerin, als Wissenschaftler? Und so weiter.

In unserer Transformationsgesellschaft sind wir in einer Situation, wo Wissenschaft in gesellschaftlichen Prozessen eine ganz andere Rolle spielt als zuvor.

 

Also Wissenschaft soll kommunizieren, aber nicht zu politisch?
Um mit Paul Wazlawik zu sprechen: Es gibt keine Nicht-Kommunikation. Auch Nicht-Kommunikation ist Kommunikation. In der Realität kommuniziert Wissenschaft permanent auch im politischen Raum, und das anzuerkennen ist enorm wichtig. Hier geht es um einen sich wandelnden Reflexionsraum zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, den die Wissenschaft vor allem mit Blick auf die in Memoranden immer wieder beschworene Bidirektionalität besser erforschen und austesten muss. In den Artikeln, die sich mit Wissenschaftskommunikation beschäftigen, wird dieser Aspekt häufig außer Acht gelassen. Die meisten Publikationen über Wissenschaftskommunikation gehen über die Reflexion der Kommunikation von Forschungsergebnissen kaum hinaus. Das ist zu kurz gegriffen und daher noch einmal: In unserer Transformationsgesellschaft sind wir in einer Situation, wo Wissenschaft in gesellschaftlichen Prozessen eine ganz andere Rolle spielt als zuvor und in der sich gleichzeitig die Erwartungshaltung an Wissenschaft verändert – sie wird als Problemlöser, als Motor der Transformation und nicht nur der Erkenntnisproduktion gesehen. Daran muss sich Wissenschaftskommunikation anpassen.

Birgt diese Form von interaktiver Wissenschaftskommunikation die Gefahr, dass die Rolle der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verwässert und das Vertrauen in die Wissenschaft dadurch sinkt?
Ich bin überzeugt: Wissenschaftliche Präsenz und Redlichkeit in gesellschaftlichen Transformations- und Kommunikationsräumen stärkt das Vertrauen in die Wissenschaft. Es gibt nur wenige relevante Themen, die durch die Wissenschaft nicht beeinflusst oder geprägt werden. Gerade deshalb ist es wichtig zu schärfen, wer welche Rollen in solchen Konstellationen spielt, in denen es einer gesellschaftlichen Verständigung, einer politischen Entscheidung oder neuer Praktiken bedarf. Das ist ein wichtiger gedanklicher Prozess, den man durchschreiten und mit Erfahrungen sättigen muss, weil da augenblicklich in den unterschiedlichen Erwartungshaltungen von Akteuren vieles durcheinander gebracht wird. Am Ende wird die Rolle der Wissenschaft dadurch geschärft und nicht verwässert.

Haben Sie ein Ideal oder Beispiel, wie gute Wissenschaftskommunikation aussieht?
Wer interagiert, kommuniziert: Wo findet Kommunikation in Ihrer Familie statt? Am Küchentisch, wo sie zusammen essen. Da wird kommuniziert, weil sie etwas gemeinschaftlich tun. Ähnlich sehe ich das in Bezug auf die Wissenschaft. Wenn man anfängt, mehr mit gesellschaftlichen Akteursgruppen zu interagieren, dann wird auch automatisch kommuniziert und man braucht keine künstlich geschaffenen Kommunikationsräume oder Spezialisten, für die man viel Geld und Ressourcen aufwendet. In Deutschland gehen Institutionen wie das Weizenbaum Institut oder das Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft mit guten Beispielen voran, weil sich hier Wissenschaftskommunikation mit transferorientierten und transdisziplinären wissenschaftlichen Konzepten verschränkt, die sich unter anderem aus Interaktionen mit der Gesellschaft entwickeln. Davon können andere lernen: Es sollten sich so die allgemeine Herangehensweise und das Verständnis von Wissenschaftskommunikation verändern. Gute Wissenschaftskommunikation wird in gesellschaftlichen Räumen mit anderen Wissensträgern und Akteursgruppen betrieben, in denen soziale, technische oder ökonomische Veränderungsprozesse reflektiert und bearbeitet werden. Von einer solchen Praxis sind wir in Deutschland im Allgemeinen noch weit entfernt. Das sind andere Länder, beispielsweise in Skandinavien, weiter.

 

Volker Meyer-Guckel (Foto: Damian Gorczany)
Foto: Damian Gorczany

Volker Meyer-Guckel ist seit Anfang 2022 Generalsekretär des Stifterverbandes. 

Seit 1999 ist er beim Stifterverband, seit 2005 als Leiter der Programmabteilung und stellvertretender Generalsekretär. In dieser Zeit hat er zahlreiche Initiativen zur Öffnung der Wissenschaft für die Gesellschaft verantwortet, zum Standortfaktor Wissenschaft und zur Förderung der Hochschullehre.