Der Lehrkräftetrichter

Wie viele potenzielle Lehrkräfte wir auf dem Weg in den Beruf verlieren

  • Der Mangel an Lehrkräften heute und in den nächsten zehn Jahren hat gravierende Folgen für die Bildung junger Menschen und die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft.
  • Die erstmalige Darstellung des Ausbildungsverlaufs als Trichter zeigt: Die Zahl der Studierenden im Lehramt dünnt sehr schnell aus; ein Wechsel ins Lehramt zu späterem Zeitpunkt ist sehr schwierig; ohne Quer- und Seiteneinsteiger/-innen kann der Bedarf nicht gedeckt werden.
  • Wirksame Maßnahmen gegen den Lehrkräftemangel brauchen eine solide Datengrundlage insbesondere zur Lehrkräfteausbildung.

 

Rund 35.000 Lehrerinnen und Lehrer werden jährlich eingestellt. Warum reichen über 50.000 Studienanfängerinnen und Studienanfänger im Lehramt eigentlich nicht aus, um diesen Bedarf zu decken? Neue Lehrkräfte anwerben, sie professionell ausbilden und für den Schuldienst gewinnen – mit diesen Herausforderungen sehen sich die Länder angesichts des Lehrkräftemangels konfrontiert.

Nach Jahren des Anstiegs sank die Zahl der Studienanfängerinnen und Studienanfänger im Jahr 2023 erstmals. Selbst bei einer hundertprozentigen Erfolgsquote in der Ausbildung und Übergangsquote in den Beruf kann der derzeit prognostizierte Bedarf an Lehrkräften in einigen Unterrichtsfächern auch in den kommenden zehn Jahren nicht gedeckt werden.

Besonders akut ist der Lehrkräftemangel in den MINT-Bereichen. Kann diese Versorgungslücke nicht geschlossen werden, droht Deutschland ein Bildungsnotstand, der schwerwiegende Folgen für unsere Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit und unseren gesellschaftlichen Wohlstand hat. Wir müssen perspektivisch mehr Lehrkräfte gewinnen, diese professionell ausbilden und sie durch alle Phasen der Lehramtslaufbahn begleiten und weiterbilden, um sie auf die komplexen Anforderungen in Schulen bestmöglich vorzubereiten.

Um die Ursachen des Lehrkräftemangels ergründen und bewältigen zu können, müssen zunächst verlässliche Aussagen über den Status quo in der Lehrkräfteausbildung getroffen werden: Wer studiert aus welchen Gründen (nicht) auf Lehramt und wer entscheidet sich aus welchen Gründen (nicht), die Lehramtslaufbahn fortzuführen und in den Schuldienst einzutreten? Bei der Beantwortung dieser Fragen ist eine große Forschungs- und Datenlücke zu konstatieren, die es zu füllen gilt, denn nur auf Basis belastbarer Befunde können bildungspolitische Maßnahmen ergriffen werden, die letztendlich einen Bildungsnotstand verhindern.

Noch zu wenige Menschen beginnen ein Lehramtsstudium,
und viel zu wenige schließen es ab.
Der Studienverlauf ähnelt
einem Trichter.

Durchschnittliche jährliche Anzahl von
Personen über die Studienjahre 2017-2021

Quellen: Destatis (Fachserien 11 4.1/4.2) 2017-2021,
Destatis (Sonderauswertung) 2021,
KMK (Einstellung von Lehrkräften) 2017-2021

 

Der Lehrkräftetrichter schafft eine erste Grundlage, indem er in einem Querschnitt Schwund-Tendenzen sichtbar macht und diese einordnet. Um dem Lehrkräftemangel begegnen zu können, müssen die großen Schwundquoten am Anfang des Studiums, aber auch in den späteren Phasen der Lehramtsausbildung – insbesondere im MINT-Bereich – reduziert werden. Des Weiteren müssen Zugänge und Wechsel zum Lehramt flexibilisiert werden und die Ausbildungsqualität in allen drei Phasen verbessert werden. Der Stifterverband appelliert deswegen an die zuständigen Ministerinnen und Minister, zügig die Lehrkräftebildung für neue Zielgruppen zu öffnen und geeignete Maßnahmen zu treffen, um (angehende) Lehrkräfte in der Ausbildung und im Beruf zu halten.

 

Vier Maßnahmen gegen den Lehrkräftemangel

1. Zu Studienbeginn: Lehramt öffnen für polyvalente Studiengänge

Im Schnitt der Studienjahre 2017 bis 2021 nahmen rund 52.500 Studierende p. a. - etwa 7 Prozent aller Studienanfängerinnen- und anfänger – ein Lehramtsstudium auf. Die erstmalige Analyse der Wechselquoten innerhalb dieser Gruppe zeigt allerdings, dass mit deutlich weniger potenziellen Lehrkräften gerechnet werden muss. Denn 4.800 dieser Studienanfängerinnen und Studienanfänger wechseln jährlich innerhalb des Lehramtsstudiums (zum Beispiel vom Lehramt Gymnasium zu Grundschule); werden statistisch also doppelt erfasst. Zu dieser Gruppe kommen 36.700 erstmalig Studierende sowie 11.000 Wechselnde aus anderen Studiengängen – Letztere zu einem unbekannten Anteil aus fachwissenschaftlichen oder polyvalenten Studiengängen, in denen sich Studierende erst im Laufe des Studiums für oder gegen einen Lehramtsabschluss entscheiden müssen. In Anbetracht des enormen Bedarfs zeigt diese detailliertere Analyse deutlicher als je zuvor, dass zu wenig Menschen ein Lehramtsstudium beginnen. Eine Lösung: Zugänge zum Lehramtsstudium flexibilisieren.
 

2. In der Mitte des Studiums: Wechsel in das Lehramtsstudium erleichtern

Ein erheblicher Teil der Studierenden schließt das Lehramtsstudium nicht ab, wobei sie nicht zwangsläufig die Universität verlassen. Besonders im MINT-Bereich steht das Lehramt in Konkurrenz zu fachwissenschaftlichen Studiengängen, die attraktive Einstellungsmöglichkeiten in der Wirtschaft eröffnen. Der hohe Schwund an Studierenden im Lehramt spiegelt dabei in etwa den Schwund in den fachwissenschaftlichen Studiengängen wider, kann aber – im Gegensatz zu den Fachwissenschaften – im Verlauf des Studiums kaum durch Wechsler kompensiert werden. Zum Beispiel macht die Voraussetzung, zwei Fächer zu studieren, einen Wechsel aus einem Nicht-Lehramtsstudium in ein höheres Semester im Lehramt schwierig. Ein Ein-Fach-Lehramtstudium könnte hier Abhilfe schaffen.
 

3. Beginn des Referendariats: Zugänge zum Referendariat verbessern

Jährlich beginnen 29.400 Personen mit vorherigem Lehramtsstudium den Vorbereitungsdienst; viel zu wenige, um den Bedarf an Deutschlands Schulen zu decken. Nur rund 1.200 Hochschulabsolventinnen und -absolventen ohne Lehramtsstudium beginnen über den Quereinstieg (also ohne einen Lehramtsabschluss) das Referendariat. Wo der Bedarf mit Absolventinnen und Absolventen aus dem Vorbereitungsdienst nicht gedeckt werden kann, wird von Schulen auf Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger zurückgegriffen, die weder ein Lehramtsstudium noch den Vorbereitungsdienst absolviert haben. Um dem Lehrkräftemangel zu begegnen, müssen die Zugänge zum Referendariat verbreitert und Seiteneinstiege in den Lehrerberuf verlässlich ermöglicht werden.
 

4. Datenlücke schließen

Um den Lehrkräftemangel zu beheben, ist Klarheit über die neuralgischen Punkte in der Ausbildung unerlässlich. Der Lehrkräftetrichter bildet Schwundtendenzen ab und macht gleichzeitig große Forschungs- und Datenlücken im gesamten Ausbildungsverlauf sichtbar. Sowohl Zahlen zum Studienanfang als auch die Anzahl der eingestellten Referendarinnen und Referendare können nur geschätzt werden. Es liegen weder ausreichend Daten vor, um kohortenspezifische Verläufe nachzeichnen noch um einen Überblick über die Beweggründe für oder gegen das Aufnehmen/Fortführen eines Lehramtsstudiums erhalten zu können.

 

Kontakt

Felix Süßenbach (Foto: Damian Gorczany)

Dr. Felix Süßenbach

ist Wissenschaftlicher Referent im Bereich "Programm und Förderung".

T 030 322982-577

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Andreas Wormland (Foto: Damian Gorczany)

Andreas Wormland

ist Programmmanager im Bereich "Programm und Förderung" beim Stifterverband.

T 0201 8401-256

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Bettina Jorzik (Foto: Damian Gorczany)

Bettina Jorzik

leitet das Fokusthema "Schulische Bildung stärken".

T 0201 8401-103

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