Stifterverband

Spitzenforschung im Visier

Foto: Jürgen Querbach
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Beim Stifterverband begann das neue Jahrzehnt mit einem Wechsel in der Führungsmannschaft. Horst Niemeyer, vormals Vorstand der Deutschen Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt, war seit 1979 Generalsekretär des Stifterverbandes. Klaus Liesen, Vorstandsvorsitzender der damaligen Ruhrgas AG, übernahm 1980 den Vorsitz. Die erfolgreichen Spitzenmanager gossen die Fördermaßnahmen des Essener Verbandes in einen neuen Rahmenplan und setzten auf flexibilisierte Unterstützung. Förderprogramme sollten auf drei Jahre begrenzt eine rasche, unbürokratische Anschubfinanzierung für innovative Ideen und Forschungsansätze ermöglichen und im schwerfälligen Wissenschaftssystem Deutschlands neue Impulse setzen. Klaus Liesen beschrieb die Aufgabe der privaten Wissenschaftsförderung so: „Private Mittel übernehmen in diesen Fällen die Funktion des Wagniskapitals, mit dem flexibel und rasch auf Bedürfnisse reagiert werden kann.“ Gefördert werden sollten vor allem „neue, unkonventionelle und interdisziplinäre Ansätze sowie esoterisch erscheinende Fächer“, die sonst keine Chance auf Gelder hätten.

Mit der neuen Flexibilität sollten auch die Selbstverwaltungsorganisationen der Wissenschaft wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Max-Planck-Gesellschaft oder der Deutsche Akademische Austauschdienst noch besser unterstützt werden, beispielsweise wenn es darum ging, neue Forschergruppen anzufinanzieren oder Sonderaustauschprogramme auf den Weg zu bringen. Die Zuwendungen an Wissenschaftsorganisationen umfassten 1980 3,6 Millionen Mark.

Stifterverband-Archiv
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Mit dieser Anzeigenserie warb der Stifterverband in den 1980er-Jahren um neue Mitglieder und Förderer.

Förderung der besten Köpfe

In den 1980er-Jahren entwickelte der Stifterverband Konzepte, um Spitzenforscher in Deutschland zu halten.
Foto: David Ausserhofer
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In den 1980er-Jahren erreichten die geburtenstarken Jahrgänge der 1960er-Jahre die Hochschulen. Bis zum Ende des Jahrzehnts teilten sich drei Studenten einen Studienplatz, denn die finanzielle und personelle Ausstattung hinkte hinterher. Schlechte Zeiten für die Förderung von Spitzenforschung und besten Köpfen, diagnostizierte der Stifterverband unter anderem bei seinem Villa-Hügel-Gespräch im Jahr 1981. Der Verband setzte in den nachfolgenden Jahren verstärkt auf die Förderung von Spitzenleistungen. Ein Leuchtturmprojekt gleich zu Beginn des Jahrzehnts war die Gründung des Historischen Kollegs in München (siehe Kasten) gemeinsam mit dem Stiftungsfonds Deutsche Bank. Stipendien gaben Historikern aus dem In- und Ausland in der Kaulbach-Villa jeweils ein Jahr lang den nötigen Freiraum, um ihre Forschung voranzutreiben. Der erstmals 1983 verliehene Preis des Historischen Kollegs ergänzt das Förderkonzept bis heute.

Spitzenleistung hatten sich auch neue private Hochschulen auf die Fahnen geschrieben, die Anfang der 1980er in verschiedenen Regionen Deutschlands nach amerikanischem Vorbild gegründet wurden. Sie wollten dem Massenbetrieb der staatlichen Hochschulen mehr Klasse und dem stark theoriegeleiteten Studium mehr Anbindung an Praxis und Beruf sowie kürzere Studienzeiten entgegensetzen.

Historisches Kolleg (Foto: Thomas Witt)
Historisches Kolleg (Foto: Thomas Witt)
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Historisches Kolleg

„Damit sich in unserer Gesellschaft wieder ein allgemeineres Geschichtsbewusstsein entwickle“, unterstrich Alfred Herrhausen die besondere Bedeutung des Historischen Kollegs, das Stifterverband, die Deutsche Bank und die Historische Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1980 gemeinsam gegründet hatten. Der damalige Vorstandssprecher der Deutschen Bank war als Vorstandsmitglied des Stifterverbandes ein großer Förderer des Historischen Kollegs. Es ermöglicht Spitzenforschern, in der Münchner Kaulbach-Villa abseits der „Massenuniversitäten“ kontinuierlich und konzentriert an einem großen Werk zu arbeiten. 1983 wird das Förderkonzept durch den Preis des Historischen Kollegs ergänzt, den wohl wichtigsten deutschsprachigen Historikerpreis. Zu den bisherigen Preisträgern zählen Jan Assmann (1998), Christopher Clark (2010, Seite 146) sowie Ulinka Rublack (2019).

Neuer Forschungswind

Der Stifterverband begrüßte den Wettbewerb, den die Privaten in die deutsche Hochschullandschaft brachten, und förderte beispielsweise den Aufbau der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an der Universität Witten/Herdecke. Dass private Hochschulen die strukturellen Probleme der wissenschaftlichen Ausbildung in Deutschland würden lösen und bedeutende Forschungskapazitäten aufbauen können, glaubte der Stifterverband aber nicht. 1985 waren die Würfel gefallen – statt auf einen neuen Hochschultypus wollte der Verband mit Volldampf auf einen neuen Typus Professur setzen: die Stiftungsprofessuren. Zunächst von Unternehmen, Stiftungen oder privat finanziert, sollten sie den dringend benötigten frischen Forscherwind und neue Köpfe mit neuen Themen in die Hochschulen bringen – und dort im besten Fall mit hochschuleigenen Mitteln verstetigt werden.

Das neue Förderinstrument traf damals gleich doppelt den Nerv der Zeit, denn tatsächlich gab es für die rund 1.000 Wissenschaftler, die sich Mitte der 1980er habilitierten, kaum Stellen. Das war der Altersstruktur der amtierenden Professorengeneration an den Hochschulen ebenso geschuldet wie klammen öffentlichen Haushalten. 1984 schlugen deshalb die großen Wissenschaftsorganisationen der Bundesrepublik mit einem Memorandum an die Politik Alarm. Sie forderten die Einrichtung von mindestens 200 neuen Professorenstellen pro Jahr, um jungen Spitzenforschern eine Perspektive zu bieten. Doch Reformen griffen viel zu langsam. In diesem Umfeld stieß das neue Programm des Stifterverbandes auf breite Zustimmung bei Politik und Hochschulen.

1985 gingen die ersten 104 Anträge von 42 Hochschulen ein. 1986 wurden vom Stifterverband erstmals 20 Stiftungsprofessuren an 16 Hochschulen bewilligt. Mit ihnen entstanden viele neue Studienfächer und Forschungsschwerpunkte. So kam beispielsweise bereits 1987 eine Professur für Umwelttechnik nach Bremen, in Tübingen ließ sich ab 1989 Gesundheitsökonomie studieren und in Wilhelmshaven Software-Engineering. Bis heute gibt es verschiedene Modelle von Stiftungsprofessuren: von der neu eingerichteten Professur über die vorgezogene Berufung bis zur Juniorprofessur und Stiftungsgastprofessur für Wissenschaftler aus dem Ausland.

Frühzeitige Begabtenförderung

Beim Jugendempfang des Bundespräsidenten 1983 begrüßt Veronika Carstens die Teilnehmer des Bundeswettbewerbs Mathematik
Foto: Jürgen Querbach
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Wer Spitzenforschung will, kann nicht erst bei den Universitäten anfangen. Davon war man beim Stifterverband schon frühzeitig überzeugt. Die Begabtenförderung sollte spätestens in der Schule beginnen. Dort stieß der vom Stifterverband initiierte Bundeswettbewerb Mathematik schon seit den 1970ern auf reges Interesse. 1979 griff der Stifterverband den wachsenden Bedarf nach Sprachkenntnissen in der sich globalisierenden Wirtschaft auf und schrieb erstmals auch den Schülerwettbewerb Fremdsprachen aus.

Mit den erfolgreichen Wettbewerben gewann der Stifterverband auch hochrangige Partner in Wirtschaft und Politik und gründete 1985 zusammen mit der Bundesregierung, den Ländern und der Wirtschaft den Verein Bildung & Begabung. Damit startete ein gewichtiger Akteur, der seither nicht nur als Träger der Wettbewerbe auftritt, sondern das Thema Hochbegabtenförderung systematisch anpackt. Jetzt ging es nicht mehr nur ums Wettrennen in den verschiedenen Disziplinen, hier sollten vor allem auch Vorschläge entwickelt werden, wie man junge Talente möglichst früh entdecken und besser fördern kann.

Wie frühzeitige Förderung nachhaltig greift, zeigt eine Evaluation des Bundeswettbewerbs Mathematik. 1983 studierten 88 Prozent der ehemaligen Bundessieger Mathematik oder Physik – und das besonders schnell. Natürlich mit einem Stipendium, denn auch das ist Teil der Begabtenförderung: Auf Initiative des Stifterverbandes begleitet die Studienstiftung des Deutschen Volkes die erfolgreichen Talente. Einziger Wermutstropfen: 1984 waren unter den 1.550 Teilnehmern der ersten Wettbewerbsrunde nur 9 Prozent Schülerinnen. Zum Vergleich: Im Wettbewerbsjahr 2015 sollten es immerhin über 31 Prozent sein

Bildergalerie: Persönlichkeiten der 1980er-Jahre

Klaus Liesen (links), Vorstandsvorsitzender des Stifterverbandes, begrüßt Bundespräsident Karl Carstens (rechts) auf der Mitgliederversammlung 1982 in Wiesbaden. Ebenfalls im Bild: Georg-Berndt Oschatz, Oberbürgermeister von Wiesbaden, und der hessische Ministerpräsident Holger Börner (2. von rechts). Liesen, Vorstandsvorsitzender der damaligen Ruhrgas AG, übernahm 1980 den Vorsitz des Stifterverbandes und gab dessen Förderpolitik einen neuen Rahmen: „Der Stifterverband sieht eine wichtige Aufgabe darin, den Selbstverwaltungskörperschaften der Wissenschaft mithilfe privater Mittel einen möglichst großen, eigenverantwortlichen Freiheitsspielraum zu erhalten.“

Im Mai 1988 hielt Bundeskanzler Helmut Kohl auf der Jahresversammlung in Hamburg eine Ansprache. Darin stellte er die Bedeutung der Stiftungen für Staat und Gesellschaft heraus, hielt aber gleichzeitig ein Plädoyer für die Förderung von Geisteswissenschaften: „Schon immer war es ein Anliegen des Stifterverbandes, bei den Förderungsmaßnahmen die Geisteswissenschaften angemessen zu berücksichtigen. In einer modernen Industriegesellschaft wird bei der Forschungsförderung oft nur an die Bereiche Naturwissenschaft und Technik und an wirtschaftliche Verwertbarkeit gedacht. Bei aller Notwendigkeit ökonomischen Denkens muss aber auch den kulturellen Werten Beachtung geschenkt werden. Allzu oft wird insbesondere die Bedeutung verkannt, die den Geisteswissenschaften für die Entwicklung unserer Gesellschaft zukommt.“

Alfred Herrhausen (Deutsche Bank, rechts) 1980 bei der Eröffnung des Historischen Kollegs mit dem bayerischen Kultusminister Hans Mayer, Wissenschaftsmanager Franz Letzelter und dem Generalsekretär des Stifterverbandes, Horst Niemeyer (von links). Fast zwei Jahrzehnte lang, von 1970 bis zu seinem Tod bei einem Attentat der RAF im November 1989, engagierte sich Alfred Herrhausen für den Stifterverband. Der promovierte Betriebswirt gehörte ab Januar 1970 zum Vorstand der Deutschen Bank, stieg dort 1988 zum alleinigen Vorstandssprecher auf. Zu seinen Aufgaben gehörte von Beginn an das persönliche Engagement im Stifterverband. Ein Auftrag, den Herrhausen gern annahm – davon überzeugt, dass Wissenschaftsförderung dazu beitragen müsse, dass in Deutschland Spitzenforschung weiterhin und vermehrt möglich sei. Angesichts einer sich globalisierenden, krisengeschüttelten Wirtschaft ging es darum, wettbewerbsfähig zu bleiben. Man müsse, davon war Herrhausen überzeugt, das „geistige Kapital zielstrebig und konsequent entwickeln und alle Begabungen tatkräftig fördern“.

Bundespräsident Richard von Weizsäcker (rechts) auf der Mitgliederversammlung 1985 in der Villa Hügel mit Berthold Beitz (Krupp-Stiftung, Mitte) und dem Vorstandsvorsitzenden Klaus Liesen. Richard von Weizsäcker gehörte in seiner Zeit als Bundespräsident von 1984 bis 1994, in der er wie alle seine Vorgänger und Nachfolger Schirmherr des Stifterverbandes wurde, auch als Privatmann zu den besonders engagierten Mitgliedern des Stifterverbandes. Er begründete darüber hinaus die Tradition der Stiftertage: Seit 1991 empfangen die Bundespräsidenten alle drei Jahre die neuen Stifterinnen und Stifter des Stifterverbandes, um ihnen persönlich ihre Wertschätzung auszudrücken. 2010 erhielt er für dieses Engagement die Richard-Merton-Ehrennadel, die höchste Auszeichnung des Stifterverbandes. 

 

 

Auf der Mitgliederversammlung 1982 in Wiesbaden hielt der Physiker Hans-Joachim Queisser (Max-Planck-Institut für Festkörperforschung) den Festvortrag.

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Klares Ziel: Studienzeitverkürzung

Zum Ende des Jahrzehnts rückten die langen Studienzeiten an deutschen Hochschulen verstärkt in den Fokus. Die heraufziehende Vollendung des europäischen Binnenmarkts eröffnete Hochschulabsolventen ab 1992 den europäischen Arbeitsmarkt. Doch dort trafen die im Durchschnitt 28 Jahre alten deutschen Absolventen auf viel jüngere Berufsanfänger aus Frankreich, Großbritannien und Italien. Mit dem richtungsweisenden Aktionsprogramm Studienzeitverkürzung, 1989 beschlossen, zeichnete der Stifterverband in den folgenden Jahren Fachbereiche an Hochschulen aus, die ein schnelleres Studium ermöglichten, beispielsweise den Fachbereich Chemie an der Universität Hamburg. Ihnen winkte ein stattliches Preisgeld von damals 20.000 Mark. Im Herbst 1989 setzte der Mauerfall auch beim Stifterverband ganz neue Themen an die Spitze der Agenda. Der Blick ging nach Osten.

100 Jahre Stifterverband

2020 feiert der Stifterverband Jubiläum. Begeben Sie sich hier auf MERTON in den kommenden Wochen gemeinsam mit uns auf Expedition durch 100 Jahre Stifterverband - von der Vermessung des Atlantiks über die wiederaufgebauten Hochschulen und Forschungseinrichtungen nach dem zweiten Weltkrieg, über die Studentenproteste und die wiedervereinte Wissenschaftslandschaft bis hin zum digitalen Bildungsneuland. Um weitere Texte zur Geschichte des Stifterverbandes zu lesen, suchen Sie einfach nach dem Schlagwort „100 Jahre Stifterverband“.

Weitere Informationen zum Jubiläum und den geplanten Veranstaltungen finden Sie auch unter www.stifterverband2020.de

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