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„Sprache prägt unser Denken, unser Empfinden und unsere Werte“

Foto: istock.com/banderlog
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Herr Klein, Sie waren zeitweilig Abgeordneter des Deutschen Bundestages und forschen als Linguist zur politischen Sprache. Erleben wir gerade einen Kulturwandel?
Ja, politische Rhetorik bewegte sich jahrzehntelang in moderaten Bahnen. Das hat sich geändert. Der amerikanische Präsident hat in der politischen Kommunikation ein neues Paradigma aufgemacht. Man kann die Politiker eines befreundeten Landes wie den kanadischen Präsidenten nicht öffentlich zensieren oder beschimpfen. Oder das anberaumte Gespräch mit einem Politiker wie dem mexikanischen Präsidenten im Vorfeld per Twitter als völlig sinnlos abqualifizieren. Dass sich jemand öffentlich so äußert, wie man es sonst allenfalls im engsten Beraterkreis oder Kabinett tun würde, das ist völlig neu.

Welche Rolle spielt dabei die Sprache?
Sprache ist eine mächtige Lenkerin, weil sie unser Denken, unser Empfinden und auch unsere Werthaltungen vorprägt. Man kann sich oft nur durch Erfahrung oder erhebliche geistige Anstrengung von solcher Vorprägung befreien. Sie lenkt die Wahrnehmung primär auf Kontraste. Wir sprechen in Gegensatzpaaren wie richtig oder falsch, Wahrheit oder Lüge, positiv oder negativ. Das fördert einerseits Deutlichkeit, andererseits aber auch die Polarisierung. Deshalb ist es nicht immer leicht, zu differenzieren und den Wert von Kompromissen zu schätzen. 

Trump hat erkannt, dass wenn er die Sprache seiner Klientel spricht, das zwar den politischen Gegner abschreckt, seine Anhänger sich aber umso mehr mit ihm identifizieren. Er nutzt ein ganzes Cluster von Informationen und Emotionen, wie geringes Selbstwertgefühlt, Wut und den Zorn auf vermeintlich Verantwortliche. Die Lage an der Grenze zu Mexiko ist nicht ideal, aber er macht das zum zentralen Gegenstand. Zollabkommen mögen für die USA nicht überall gut sein, aber er macht daraus ein Desaster, eine Katastrophe. Dann braucht es Schuldige, auf die man den Zorn konzentriert.

Wer hat denn in einer Demokratie das Sagen?
In einer Demokratie können Machtunterworfene Mächtige abwählen. Deshalb ist politisches Reden und Schreiben in Demokratien meist persuasiv, also darauf ausgerichtet, andere zu überzeugen. Der politische Wettbewerb schafft Transparenz und Öffentlichkeit und stellt sicher, dass die Akteure auch im eigenen Interesse kommunikationsethische Mindeststandards einhalten.

Josef Klein (Foto: privat)
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Zur Person

Josef Klein, 78, ist Experte für Sprache in der Politik. Er saß zeitweilig für die CDU im Deutschen Bundestag und forschte und lehrte als Professor für Linguistik an der Universität Koblenz-Landau, deren Präsident er zuletzt war. Nach seiner Emeritierung war Klein bis 2015 als Gastwissenschaftler am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der FU Berlin tätig.   

„Sprache ist eine mächtige Lenkerin, weil sie unser Denken, unser Empfinden und auch unsere Werthaltungen vorprägt.“

Josef Klein
Linguist und Experte für Sprache in der Politik

Um welche Standards geht es?
Es gibt grundlegende kommunikationsethische Gebote, wie: Man soll die Wahrheit sagen, plausible Gründe nennen können, die Relevanzmaxime beachten, also nicht am Wesentlichen vorbeireden, schließlich informativ und verständlich sein. Das sind universelle Gebote. Das lernt man schon als Kind. Habermas spricht von kommunikativer Rationalität. Ohne diese Regeln wäre auch politische Kommunikation kaum möglich. Allerdings gibt es in der Politik eine Konkurrenz, nämlich die auf die eigene Gruppe oder die eigene Person gerichtete partikularistische Zweckrationalität: Sag nichts, was der eigenen Position schadet. Sage Kritisches über den politischen Gegner, demonstriere Durchsetzungskraft, verärgere deine Adressaten nicht und vor allen Dingen: Halte dir Spielräume offen und leg dich nicht zu früh fest, denn du kennst die Zukunft nicht und kannst das später vielleicht nicht durchhalten. Macron leidet im Moment unter anderem darunter.

Inwiefern?
Man wirft ihm von linker wie von rechtspopulistischer Seite vor, er habe in seiner Wahlkampagne zwar die Notwendigkeit von Reformen des französischen Sozialstaats betont, aber dabei Spielräume offengelassen, die er nun auf sehr unsoziale Weise nutze.

Was gilt denn als größter Verstoß?
Das ist der Verstoß gegen das Gebot der Wahrhaftigkeit, also die Lüge. Wer in der Demokratie in einer wichtigen Angelegenheit lügt, verliert nicht selten sogar sein Amt. Das hat die Spiegel-Affäre bei Strauß gezeigt, ebenso die Affäre um die plagiierte Doktorarbeit von zu Guttenberg, der sich damit um jede Glaubwürdigkeit brachte.

Aber der amerikanische Präsident lügt offensichtlich und trotzdem schadet es ihm nicht. Wie kommt das?
Normalerweise versuchen Politiker, Regelverstöße zu kaschieren. Typisch für den Populismus ist, dass offen verstoßen wird. Zum populistischen Geschäftsmodell gehört die Provokation, und zwar mit möglichst großer öffentlicher Wirkung. Die erreicht man, indem man in wichtiger Angelegenheit gut fundierte Überzeugungen in einer Gesellschaft attackiert. Und zwar vornehmlich solche, die moralisch aufgeladen sind und zum Gemeingut der Eliten gehören – zumindest aus populistischer Perspektive. Beispielsweise die Leugnung des Klimawandels. Das ist ein offener Bruch mit dem Gebot der sachlichen Fundiertheit. Die AfD macht das beim Thema Klimawandel genauso.

„In der politischen Öffentlichkeit hatte der Stammtisch als Stil lange Zeit keine Chance. Jetzt erleben wir das weltweite Aufkommen brutalen, rüden, unzivilisierten Redens.“

Josef Klein (Foto: privat)
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Josef Klein

Gibt es weitere Parallelen zur AfD?
Was man in Teilen von der AfD hört, ist ähnlich wie bei Donald Trump eine brutale Sprache, die jeden Demokraten ärgern muss, der Demokratie als letztlich konsensorientierte Veranstaltung versteht, in der es Gegnerschaft gibt, aber keine Feindschaft. Der Fraktionsvorsitzende Gauland hat am Abend der Bundestagswahl gesagt, dass man jetzt Merkel „jagen“ werde. Jagen ist eine Metapher und im harten politischen Diskurs nicht ganz unüblich. Das darf man sagen. Viel besorgniserregender war damals Gaulands zweiter Satz, nämlich die Ankündigung: „Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen.“ Das ist zutiefst undemokratisch, denn das Staatsvolk ist ja der Souverän. Über den will er mit seiner Partei offenbar verfügen. Das ist etwas, wo der Verfassungsschutz hinschauen müsste.

Kann die Öffentlichkeit ein Sprachkorrektiv sein?
Unbedingt. Wir erleben ja auch, dass eine kritische Öffentlichkeit Wörter, die ihr unethisch erscheinen, zum Gegenstand politischer Sprachkritik macht. Beispielsweise mit Kritik an der Konzeptualisierung von Zuwanderung als „Flut“, als „Strom“, bei dem „Schleuser“ ihr übles Werk tun. Die Vorstellung von eindringenden Wassermassen verstellt den Blick auf die prinzipielle Differenz zwischen physikalischen Phänomenen und der Sphäre des Menschen, die durch Personalität, Individualität und Menschenrechte bestimmt ist. Kommunikationswissenschaftlich gesprochen ist das ein Verstoß gegen die Maxime, das Wesentliche zu berücksichtigen. 

Wir ringen heute um eine diskriminierungsfreie Sprache. Was halten Sie von Versuchen, politisch korrekt zu formulieren?
Ich halte die Tendenz für gut begründet. Aber so berechtigt die Sensibilität dafür ist, Menschen sprachlich nicht zu diskriminieren, so sehr kann man das übertreiben. Beispielsweise beim Wort Asylant, das bis Anfang der 90er-Jahre diejenigen bezeichnete, die in Deutschland um Asyl baten. Dann gab es den fürchterlichen Brandanschlag in Solingen sowie Übergriffe auf Migranten und aus Teilen der Sozialwissenschaften kam eine Begriffskritik. Asylant klinge wie Bummelant, Querulant und Sympathisant und sei damit Ausdruck von Rassismus, auch wenn der Begriff tatsächlich sprachhistorisch im 19. Jahrhundert analog zu Immigrant und Emigrant geprägt wurde. Die Politik hat das sehr schnell aufgenommen und das Wort war im Bundestag bald nicht mehr zu hören. Seither gibt es eine Art Fluchtbewegung von einem politisch korrekten Wort zum politisch noch korrekteren. Aus Asylant wurde erst Asylbewerber, dann Asylsuchender. Aus Asylsuchenden wurden Flüchtlinge, aus Flüchtlingen Geflüchtete. Im Moment sind wir bei Schutzsuchenden angekommen.

Welchen Einfluss haben die sozialen Medien heute auf den Sprachgebrauch?
In der politischen Öffentlichkeit hatte der Stammtisch als Stil lange Zeit keine Chance. Jetzt erleben wir das weltweite Aufkommen brutalen, rüden, unzivilisierten Redens – sogenannter Hate Speech. Vor allem Twitter mit seiner Notwendigkeit, ganz spitz zu formulieren, begünstigt die Polarisierung. In der klassischen Presse wird ein unflätiger Leserbrief von der Redaktion aussortiert. Das funktioniert in den sozialen Netzwerken nicht ausreichend, auch wenn es inzwischen gesetzliche Vorgaben gibt. Das färbt auch auf den Sprachgebrauch von Politikern ab. Es verschiebt die Maßstäbe.

„Ich bin zuversichtlich, dass sich in Deutschland zivilisierte Kommunikation und zivilisierte Politik durchsetzen.“

Josef Klein (Foto: privat)
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Josef Klein

Robert Habeck, Bundesvorsitzender der Grünen, hat sich deshalb von Twitter zurückgezogen. Eine richtige Entscheidung?
Habeck hat gesagt, dass ihn das Kommunikationsformat verführe, undifferenziert auszuteilen. Ich hätte eine andere Konsequenz gezogen. Als Spitzenpolitiker darf man nicht kneifen, sondern muss mit der Gefahr umgehen. Sich ein paar Minuten Bedenkzeit nehmen, bevor man einen Tweet losschickt. Es war eine richtige Analyse, aber eine falsche Entscheidung.

Wie wird sich politische Kommunikation weiterentwickeln?
Wir leben in Umbruchzeiten, die sind meist offen für sehr unterschiedliche Entwicklungen, in denen sich neue Paradigmen durchsetzen können. Ich bin zuversichtlich, dass sich in Deutschland zivilisierte Kommunikation und zivilisierte Politik durchsetzen. Es gibt Bedrohungen. Habecks Reaktion ist ein Zeichen, dass Politiker diese Bedrohung sehen.

 

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Stifterverband macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews nicht zu eigen.

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