Innovationssystem

„Wir müssen Bildung stärker auf die Zukunft ausrichten“

Uwe Cantner (Foto: David Ausserhofer)
Uwe Cantner (Foto: David Ausserhofer)
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Herr Cantner, vor vier Jahren sind Sie in die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) berufen worden. Damit sind Sie auf einmal vom Beobachter zum Akteur geworden. Wie war der Seitenwechsel?
Das habe ich nie als Widerspruch empfunden. In die Arbeit der Kommission habe ich ja meine ureigenen Forschungsthemen und Interessen eingebracht. Wirklich überrascht hat mich nur eins: die Arbeitsbelastung. Die ist viel höher, als ich mir das im Vorfeld gedacht habe.

Gab es etwas, was Sie in den ersten Jahren lernen konnten?
Oh ja: Die Detailbetrachtungen von neuen Technologien finde ich ungemein bereichernd – ob es nun um Robotik geht, um künstliche Intelligenz oder um Blockchain-Technologien. Als Wissenschaftler blicke ich ja quasi aus der Vogelperspektive auf das Feld der Innovation; ich untersuche, wer die Akteure sind, wie der Markt reagiert und wie es gelingt, aus Ideen ein Produkt zu machen. Und jetzt schaue ich mir erstmals die verschiedenen Bereiche quasi hautnah an.

Was muss Innovationspolitik leisten?

Ist es mit der Innovation eigentlich so ähnlich wie mit der Klimapolitik? Da sind sich Wissenschaftler weitgehend einig, welche Schritte nötig wären.
(lacht) Bei der Innovation gilt: Dieser Begriff ist ausnehmend positiv belegt, und das spiegelt sich ungeachtet der politischen Verortung auch in den Parteien wider. Dass wir gerade in Deutschland, wo wir kaum natürliche Ressourcen haben, auf Innovation angewiesen sind, ist nahezu unstrittig. Anders ist das bei der Frage nach konkreten Maßnahmen, da wird sehr kontrovers diskutiert. Wo und wie soll der Staat eingreifen? Geht es nur um Rahmenbedingungen, die der Staat schaffen soll? Oder soll er nicht auch stärker eingreifen und beispielsweise gezielt einzelne Technologien fördern? Manche sagen sogar, der Staat müsse das Feld der Innovationen in die Hand nehmen und selbst Innovationen hervorbringen. Diese Debatte finde ich ungemein spannend.

Zur Person

Der Volkswirt Uwe Cantner konzentriert sich in seiner Forschung auf innovationsökonomische Fragestellungen. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena hat er den Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre/Mikroökonomik inne, zugleich ist er dort Vizepräsident für wissenschaftlichen Nachwuchs und Gleichstellung. Seit 2015 ist er Mitglied der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI), die die Bundesregierung berät und deren Geschäftsstelle beim Stifterverband angesiedelt ist. Im Mai 2019 hat er den Vorsitz der Kommission übernommen.

Mehr zur Expertenkommission
Die neu zusammen gesetzte EFI-Kommission: Uwe Cantner, Katharina Hölzle, Carolin Häussler, Christoph Böhringer, Holger Bonin, Irene Bertschek (v. links)
Die Expertenkommission Forschung und Innovation (Foto: David Ausserhofer)
Die Expertenkommission Forschung und Innovation (Foto: David Ausserhofer)
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Mit Ihrer Kommission sind Sie mittendrin in diesem Spannungsfeld. Welche Akzente möchten Sie mit Ihren Kollegen setzen?
Wir haben Spezialisten für ganz unterschiedliche Bereiche: für Nachhaltigkeit, für Arbeitsmarkt und Fachkräfte, für soziale Folgen von Innovation, für den Trend der Digitalisierung, für Gründungs- und Innovationsmanagement – kurzum: Unsere Kommission deckt die gesamte Bandbreite des Themenbereichs Innovation ab.

Jetzt haben Sie die Frage nach Ihren Schwerpunkten sehr elegant umschifft.
Wir werden einige Dinge weiter aufgreifen, die schon in den vergangenen Berichten unserer Kommission eine Rolle gespielt haben – die Nachhaltigkeit etwa, die Gründerszene sowie kleine und mittelgroße Unternehmen. Und wenn Sie nach neuen Akzenten fragen, würde ich einen Bereich nennen, den wir stärker in den Blick nehmen wollen: die „kreative Zerstörung“, wie sie Schumpeter genannt hat. Wenn wir von Innovation sprechen, steht immer das Neue im Vordergrund – neue Technologien, neue Produkte, neue Geschäftsmodelle. Wir sollten aber nicht vergessen, dass diese Neuerungen einen Strukturwandel mit sich bringen, der nicht immer nur zu positiven Ergebnissen führt. Ein neues Produkt drängt manchmal andere, etablierte Produkte vom Markt. Möglicherweise müssen deshalb Firmen schließen, werden Arbeitskräfte freigesetzt. Diese Folgen möchten wir stärker in den Fokus nehmen.

„Deutschland muss wachsam sein – und das bedeutet, dass gerade jetzt der Innovationstätigkeit ein noch höherer Stellenwert beizumessen ist.“

Uwe Cantner (Foto: David Ausserhofer)
Uwe Cantner (Foto: David Ausserhofer)
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Uwe Cantner

Wie steht Deutschland eigentlich da im Bereich der Innovationen?
Das hängt eng mit dem vorher Gesagten zusammen: Deutschland geht es zurzeit wirtschaftlich sehr gut und deshalb haben wir in den vergangenen zehn Jahren den Erneuerungsprozess in verschiedenen Bereichen des Forschungs- und Innovationssystems nicht vollzogen. Es war einfach nicht nötig, weil der ökonomische Druck fehlte. Das wird sich in den nächsten Jahren ändern. Und die entscheidende Frage ist, wie gut wir das hinbekommen. Die USA sind derzeit der Technologieführer par excellence, China hat uns in einigen Bereichen eingeholt, teilweise auch schon überholt, und dann tauchen da auf einmal Länder als Konkurrenten auf, die bislang niemand im Blick hatte.

An welche Länder denken Sie?
Ein konkretes Beispiel wäre der Iran.

Wie bitte?
Ihre Reaktion ist typisch: Den Iran und andere Länder haben die wenigsten im Blick. Aber etwa auf dem Gebiet der neuronalen künstlichen Intelligenz bringen es iranische Wissenschaftler auf mehr Fachpublikationen als ihre deutschen Kollegen. Das ist genau das, was ich meine: Deutschland muss wachsam sein – und das bedeutet, dass gerade jetzt der Innovationstätigkeit ein noch höherer Stellenwert beizumessen ist.

Die zündende Idee

Dann lassen Sie uns doch diesen schwammigen Begriff der Innovation einmal genauer anschauen. Was sind es für Faktoren, die Innovationen begünstigen?
Ganz am Anfang einer Innovation steht die zündende Idee. Für die Entstehung dieser Ideen kann man ein günstiges Umfeld schaffen, aber ob man sie bekommt, ist letztlich auch vom Zufall abhängig. Setzen wir also in dem Moment an, in dem die Idee auf der Welt ist – denn da fangen die Schwierigkeiten an: Ich brauche die richtigen Leute, die mir helfen, daraus ein Produkt zu entwickeln – diejenigen, die diesen Prozess finanzieren, diejenigen, die das neue Produkt herstellen oder den neuen Prozess anwenden, und diejenigen, die ein wettbewerbsfähiges Geschäftsmodell entwickeln. Auf alle diese Faktoren haben wir dann schon Einfluss, und genau da müssen wir ansetzen.

Lassen Sie uns noch einen Moment bei dieser zündenden Idee bleiben, von der Sie sprachen. Wo entsteht sie mit der größten Wahrscheinlichkeit: Bei jungen Gründern? In der Universität? Oder im Entwicklungslabor eines Unternehmens?
Schauen wir uns dafür doch einmal die Branchen an: In der Automobilindustrie, in der in den vergangenen Jahrzehnten der Verbrennungsmotor das grundlegende technologische Prinzip war, kamen die Innovationen aus den großen Unternehmen; die kleinen hatten da kaum eine Chance. Bei der künstlichen Intelligenz oder auch bei den erneuerbaren Energien sind es eher Start-ups, die Ideen haben und diese ökonomisch umsetzen. Und sehr viel passiert natürlich auch an den Hochschulen. Hier findet Innovation über akademische Ausgründungen einerseits und Patentverkauf oder Lizenzierung an etablierte Unternehmen andererseits statt. Alle drei Bereiche haben ihre spezifischen Probleme, wie sich Ideen zunächst generieren und dann auch tatsächlich in den Markt hineinbringen lassen.

Das hört sich so an, als funktioniere Innovation in allen Ländern ähnlich. Mit Ihrer Kommission beraten Sie aber die deutsche Bundesregierung. Gibt es Faktoren, die hier in Deutschland eine besondere Rolle spielen?
Natürlich gibt es deutsche Spezifika, die in den EFI-Gutachten auch eine zentrale Rolle spielen. Ich komme jetzt noch einmal auf die Automobilindustrie zurück, die hier sehr stark ist: So ist Deutschland wegen ihr im Bereich der Industrieroboter gut aufgestellt, weil dieser bei der Autoherstellung mehr und mehr zum Einsatz kommt. Bei Servicerobotern, die künftig an Bedeutung gewinnen dürften, ist Deutschland allerdings nicht im Spitzenfeld. Oder, anderes Beispiel: Die USA sind bekanntlich sehr gründungsaffin, da finden junge Unternehmen gute Bedingungen. Auch in diesem Bereich kann sich in Deutschland noch etwas bewegen – obwohl wir ja zum Beispiel dank der Berliner und Münchener Szene in den vergangenen Jahren schon viel aufgeholt haben.

„Wenn wir in Bildung in der Breite und nicht nur in der Spitze investieren, ist das nicht nur gute Innovationspolitik, sondern zugleich die beste Sozialpolitik, die wir machen können.“

Uwe Cantner (Foto: David Ausserhofer)
Uwe Cantner (Foto: David Ausserhofer)
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Uwe Cantner

Bleiben wir beim Thema Aufholen: Wo muss Deutschland besser werden?
Diese Frage höre ich oft, und da es hier um Bildung und Ausbildung geht, bin ich dann jedes Mal etwas unglücklich, dass ich als Universitätsprofessor zu dem hier angesprochenen Bildungssystem gehöre.

Wieso das?
Weil damit die Antwort so klingt, als sei ich voreingenommen und würde pro domo argumentieren. Denn ich bin zutiefst überzeugt, dass wir im Bereich der Bildung viel besser werden müssen. Damit meine ich natürlich auch die Hochschulen, aber die Bemühungen müssen schon in den Kindergärten und in den Schulen ansetzen, um Bildung und Ausbildung viel stärker auf die Zukunft auszurichten. Und das meine ich nicht nur im technologischen Sinne: Natürlich geht es auch darum, gute Mechaniker und Ingenieure auszubilden, aber es geht auch darum, Kreativität und Lust auf das Ausprobieren und Experimentieren zu fördern. Darüber hinaus sollten wir die neuen Technologien auch mit ihren Auswirkungen auf die Gesellschaft verstehen. Und wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass das Ganze mehr und mehr inklusiv wird. Um das zu erreichen, könnte ich mir gut einen Pakt zwischen dem Staat auf der einen und Stiftungen auf der anderen Seite vorstellen –einen Pakt, bei dem nach amerikanischem Vorbild auch Stifter stärker in solche Bildungsprojekte investieren. Denn eins steht für mich fest: Wenn wir in Bildung in der Breite und nicht nur in der Spitze investieren, ist das nicht nur gute Innovationspolitik, sondern zugleich die beste Sozialpolitik, die wir machen können.

Die Expertenkommission Forschung und Innovation

Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) mit Sitz in Berlin leistet seit über zehn Jahren wissenschaftliche Politikberatung für die Bundesregierung und legt jährlich ein Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands vor. Wesentliche Aufgabe der EFI ist es dabei, die Stärken und Schwächen des deutschen Innovationssystems im internationalen und zeitlichen Vergleich zu analysieren und die Perspektiven des Forschungs- und Innovationsstandorts Deutschland zu bewerten. Auf dieser Basis entwickelt die EFI Vorschläge für die nationale Forschungs- und Innovationspolitik.

Mehr zum Gutachten 2019

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