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„Nachhaltiges Bauen ist nicht nur eine Frage der Technik“

Christoph Kuhn (Foto: Alex Fischer)
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„Wir können heute Gebäude konstruieren, die keine Energie mehr verbrauchen. Das Know-how und die Technik sind da.“ Der das sagt, muss es wissen. Denn Christoph Kuhn ist Architekt und leitet das Fachgebiet Entwerfen und Nachhaltiges Bauen an der TU Darmstadt. Die Energiebilanz des Bausektors sei heute dennoch ernüchternd. Rund 40 Prozent des Energieverbrauchs in Deutschland entfallen auf Neubau und Instandhaltung von Gebäuden – einschließlich Heizung, Klimatisierung und Beleuchtung. „Für die ökologische Wende ist Bauen also ein großer Hebel“, so Kuhn.

Christoph Kuhn, Experte für energieeffizientes Bauen, auf dem Darmstädter Campus „Lichtwiese“.
Christoph Kuhn (Foto: Alex Fischer)
Christoph Kuhn (Foto: Alex Fischer)
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Wie man nachhaltig bauen kann, hat den 53-Jährigen schon früh in seiner Laufbahn bewegt. Nach dem Architekturstudium in Berlin und Frankreich zunächst im eigenen Architekturbüro in Freiburg. Mit einem Lehrauftrag im französischen Straßburg schlug er jedoch bald auch eine wissenschaftliche Laufbahn ein. Es folgten Vertretungsprofessuren. 2010 wurde er Universitätsprofessor am Karlsruher KIT. 2013 kam schließlich der Ruf nach Darmstadt – auf eine Stiftungsprofessur der Goldbeck Stiftung. Am Fachbereich Architektur stand damals der Generationswechsel an. Dank der Stiftungsprofessur konnten der Newcomer und sein Vorgänger Manfred Hegger hier rund ein Jahr lang zusammenarbeiten und die Weiterentwicklung unter Kuhns Leitung vorbereiten.

Eine der großen Herausforderungen sieht Forscher Kuhn heute in der Sanierung des Gebäudebestands. Sanierungsraten lägen deutschlandweit gerade mal bei 1 Prozent. „Da müssen wir Tempo machen, sonst wird das 100 Jahre dauern“, so Kuhn. Die EU habe bereits gesetzliche Vorgaben gemacht, die müsse Deutschland schnell in nationales Recht umsetzen. Für den Architekten geht es in Zukunft außerdem darum, Gebäude energetisch besser zu vernetzen. 

Die Stiftungsprofessur

Die Goldbeck Stiftung wurde am 1. April 2009 zum 70. Geburtstag des Unternehmensgründers Ortwin Goldbeck ins Leben gerufen. Sie fördert die Bereiche Wissenschaft und Forschung, Kultur, Bildung und Soziales. Sitz der Stiftung ist Bielefeld. 2013 etablierte sie gemeinsam mit der Technischen Universität Darmstadt die auf fünf Jahre angelegte Stiftungsprofessur „Entwerfen und Nachhaltiges Bauen“ im Fachbereich Architektur. Lehrstuhlinhaber war Professor Christoph Kuhn. Inzwischen hat die TU Kuhns Professur mit eigenen Mitteln verstetigt und ihn auf Lebenszeit berufen. Ein Ziel des Stiftungslehrstuhls war es, Architektur unter Berücksichtigung wirtschaftlicher und ökologischer Aspekte beim Bauen und Betreiben von Gebäuden weiterzuentwickeln und Impulse für intelligentes Bauen der Zukunft zu geben. Das ist seit jeher auch ein Anliegen des Unternehmens der Gründerfamilie: Die Goldbeck-Gruppe realisiert umfassende Bau- und Dienstleistungen rund um gewerbliche und kommunale Immobilien. Dafür hat sie Bausysteme und -elemente auch unter Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit entwickelt.

„Wir können heute Gebäude konstruieren, die keine Energie mehr verbrauchen. Das Know-how und die Technik sind da.“

Christoph Kuhn (Foto: Alex Fischer)
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Christoph Kuhn
Architekt und Professor für nachhaltiges Bauen

Gebäude der Zukunft

In Darmstadt, wo seit mehr als 25 Jahren das erste Passivhaus Deutschlands steht, probt er mit seiner Forschung den Perspektivwechsel. Sein Credo: „Wir müssen in der Betrachtung heute weg vom Einzelgebäude hin zum Quartier.“ Dazu müssten Gebäude in Zukunft Energie besser speichern und selbst mehr Energie produzieren. Und Energieüberschüsse, wie beispielsweise Abwärme aus der Produktion fürs lokale Netz bereitstellen. Der Forscher ist überzeugt: Im Versorgungsnetz der Zukunft, das sich aus erneuerbaren Energien speist, kommt Gebäuden eine wichtige Rolle zu – sie werden vom Consumer zum Prosumer.

Kuhns großes Forschungsprojekt ist der Darmstädter Campus Lichtwiese. Auf dem Areal im Osten der Stadt dominiert eine heterogene Bebauung – mit Forschungseinrichtungen, Laboren und Hörsälen für rund 12.000 Studierende, die hier für Maschinenbau, Chemie, Bauingenieurwesen, Architektur und mehr eingeschrieben sind. „Wir haben hier eine Testinsel“, freut sich Kuhn. Geforscht und simuliert wird interdisziplinär mit anderen Fachgebieten der TU Darmstadt.

Ein gasbetriebenes Blockheizkraftwerk versorgt den Campus heute über ein 14 Kilometer langes Fernwärmenetz mit Wärmeenergie und Strom. Der fossile Energieträger soll ab 2030 abgelöst werden. Wie das gelingen kann, soll Kuhns Forschung exemplarisch klären. Bis 2050 soll der Campus nahezu klimaneutral bewirtschaftet werden. 

Die Gebäudesubstanz auf dem Forschungsareal stammt größtenteils aus den 60er Jahren. Hier sind nicht nur Konzepte für nachhaltige Neubauten, sondern auch neue Sanierungsstrategien gefragt. „Bei historisch wertvollen Gebäuden geht es beispielsweise darum, ihre architektonische Gestalt und die originäre Gebäudehülle zu erhalten.“ Statt massiver Eingriffe in die Fassade, um Dämmmaterial aufzubringen, brauche man Konzepte für eine sanfte Sanierung, die die Gebäudehülle erhält und dennoch die CO2-Emissionen senkt. Beispielsweise durch eine alternative Gebäudeheizung, wie sie gerade bei einem historischen Campusgebäude erprobt werden soll. Statt klassischer Heizkörper wird die Deckenfläche im Innern als Heizung genutzt. Ein Vorteil: Durch die größere Fläche kann mit geringerer Temperatur geheizt werden. 

Campus der TU Darmstadt (Foto: Alex Fischer)
Campus der TU Darmstadt (Foto: Alex Fischer)
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Campus Lichtwiese der TU Darmstadt

Das hat Auswirkungen auf das gesamte Wärmenetz. Wo die Netztemperatur gesenkt werden kann, lässt sich deutlich Energie sparen. Der Architekt weiß aber auch: Energetische Sanierung und nachhaltiges Bauen sind nicht nur eine Frage der Technik. Für eine breite Akzeptanz der ökologischen Wende im Bauen brauche es auch eine gute Gestaltung. „Man muss nachhaltige Konzepte mit guter Architektur verbinden“, fordert Kuhn. „Sonst lässt sich das alles nicht durchsetzen.“

Spezielle Fassaden

Fassadenmodell des Projektes Benefit E2, Gebäudeintegrierte solaraktive Strategien
Foto: Alex Fischer
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Die TU hat Kuhns Professur am Fachbereich Architektur mit eigenen Mitteln verstetigt und Kuhn auf Lebenszeit berufen. Über die Goldbeck Stiftung entstand gleich anfangs der Kontakt zum gleichnamigen Bauunternehmen. Der Systembauspezialist mit westfälischen Wurzeln ist für die Darmstädter ein wichtiger Partner. „Wir bekommen Einblicke und Impulse und können in der Forschung die brennenden Fragen aus der Praxis aufgreifen“, erklärt der Wissenschaftler. Eine Einflussnahme auf die Forschung gab und gebe es nicht. Gemeinsam mit dem Industriepartner hat Kuhn im öffentlich geförderten Projekt benefit E2 an der Integration von Solarenergie in die Gebäudehülle geforscht. Eine Fortsetzung mit einem Fassadenspezialisten ist für die Zukunft geplant. 

„Die Energiefrage darf unsere Architektur nicht auf technische Lösungen reduzieren.“

Christoph Kuhn (Foto: Alex Fischer)
Christoph Kuhn (Foto: Alex Fischer)
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Christoph Kuhn

Auch für die Studierenden sei die Zusammenarbeit mit dem Bauunternehmen ein Glücksfall, erzählt Kuhn. Ein Architekturstudium sei oft sehr theorielastig. Die Darmstädter könnten jetzt auch von der Praxis lernen. „Bei Goldbeck laufen unsere Studierende auch mal mit dem Bauhelm auf der Baustelle durch den Dreck und erleben hautnah, wie ein Bauprojekt realisiert wird“, sagt der Hochschullehrer. Das Unternehmen engagiere sich auch bei der praxisbezogenen Unterstützung in Seminaren. In Kooperation wurden außerdem studentische Entwurfsprojekte bearbeitet.

Foto: Alex Fischer
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Kuhns Ziele sind heute klar gesteckt. Er will das Thema Nachhaltigkeit im Bau noch weiter in die Breite tragen. Ökologie und Architektur müssten dabei im Gleichklang schwingen. „Die Energiefrage darf unsere Architektur nicht auf technische Lösungen reduzieren. Im Gegenteil, sie sollte neue spezifische und damit vielfältige Gestaltungsoptionen eröffnen“, stellt der Forscher klar. Von der Politik wünscht er sich durchaus noch ehrgeizigere Ziele. „Aber die Wege dahin muss man offenlassen“, betont Kuhn. „Nur so sind Forschung und Innovation möglich.“

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