Innovationssystem

Daten tauschen und schützen – das muss kein Widerspruch sein

Sieger Wirkung hoch 100 (Illustration Jens Bonnke)
Sieger Wirkung hoch 100 (Illustration Jens Bonnke)
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Die guten Ideen und Lösungen sind längst in der Welt. Sie werden oft nur übersehen, wo sie dringend gebraucht werden. Diese Erfahrung machte auch Hendrik Ballhausen, ein Physiker, Ökonom und Unternehmensberater, der heute die Forschungsverwaltung der Medizinischen Fakultät an der LMU in München managt. Ihm fiel auf: Seit Jahrzehnten können eindrucksvolle Kryptotechnologien dezentrale Datenanalysen absichern. Warum aber ist bei ihren Anwendungen immer bloß von Bitcoins oder Blockchains die Rede? Das machte ihn stutzig. 

Ballhausen dachte sich 2019 tiefer in die Thematik ein. Er fragte sich, wie solche Verschlüsselungstechnologien der medizinischen Universitätsforschung nutzen könnten. Auch dort müssen höchst sensible Daten geschützt werden: die Patientendaten. Einmal dabei, ließ ihn dieses Thema nicht wieder los. Denn Datenschutz und medizinischer Fortschritt beißen sich oftmals. Wenn deutsche Universitätskliniken beispielsweise ihre langgehegten Patientendaten aus der Krebsforschung gemeinsam nutzen wollen, bremsen Datenschutzvorschriften viele Vorhaben aus. Das wiederum hemmt den medizinischen Fortschritt und kostet letztendlich auch Menschenleben.

Auch in anderen Bereichen finden Datenanalysen derzeit nicht statt, weil Institutionen, Behörden oder Unternehmen sensible Datensätze schützen wollen oder müssen. 69 Prozent der europäischen Unternehmen haben laut Ballhausen noch nie Daten geteilt – wohlwissend, dass ihre Zukunft in digitalen Geschäftsmodellen liegt. Datenanalysen ganzer Branchen sind hierfür eine Grundvoraussetzung. Häufig sorgen sich die Akteure darüber, was mit ihren Daten passiert, wenn sie sie einmal herausgegeben haben. Diese Angst ist nicht unbegründet, denn so gut wie jeder große zentrale Datensatz wird irgendwann zum Ziel von Hackern.

Gewinnertrophäen (Foto: Kay Herschelmann)
Gewinnertrophäen (Foto: Kay Herschelmann)
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Wirkung hoch 100

Im 100. Jahr seines Bestehens sucht der Stifterverband Deutschlands beste 100 Ideen und Projekte für das Bildungs-, Wissenschafts- und Innovationssystem von morgen. Gemeinsam mit dem großen Partnernetzwerk des Stifterverbandes, bestehend aus Stiftungen, Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Akteuren, vernetzt „Wirkung hoch 100“ Querdenker und Pioniere und verhilft ihren Projekten zum Durchbruch. In einem mehrstufigen Verfahren hat der Stifterverband im November 2021 aus den 100 Projekten drei Ideen für die Bereiche Bildung, Wissenschaft und Innovation ausgewählt.
Mehr Artikel zu „Wirkung hoch 100“ auf MERTON.

Daten schützen und dennoch austauschen

Illustration verschlüsselter Datenaustausch (Illustration Jens Bonnke)
Illustration verschlüsselter Datenaustausch (Illustration Jens Bonnke)
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Hendrik Ballhausen sieht die Wissenschaft, die Wirtschaft und Behörden diesbezüglich gerade an einem Scheideweg, ob sie ihre sensiblen Daten großen Cloudanbietern oder entsprechenden Dienstleistungsplattformen anvertrauen sollten oder nicht. „Bisher haben sie nicht wirklich eine Wahl, weil es für sie im Grunde keine dezentralen verschlüsselten Analyticsangebote gibt“, so Ballhausen. Expertinnen und Experten für Kryptografie sind rar und werden von multinationalen Unternehmen, wie Blockchain- und Cryptocurrency-Start-ups, hart umworben. Das Nachsehen haben ebenso wichtige Kryptografie-Anwendungen für alltägliche Prozesse deutscher oder europäischer Forschungslabore, Behörden oder kleinere Unternehmen.

Und genau an dieser Stelle setzt das von Ballhausen angestoßene Projekt „Federated Secure Computing“ (FSC) jetzt an. Die Technologie des LMU-Spinoffs „bytes for life“ will Kryptotechnologie nicht nur für die Medizin und andere Forschungsbereiche zugänglich machen, sondern ebenso für den Mittelstand, den Bildungssektor, Behörden oder Citizen-Science-Initiativen. Dazu entwickelt es eine sogenannte „Middleware“, die die komplizierte Kryptografie auf den Server oder in die Cloud verbannt. Über eine klar definierte Schnittstelle sind die lokalen Anwendungen dann viel einfacher zu entwickeln.

„Intelligenter Datenschutz made in Germany und digitaler Fortschritt gehen zusammen und beißen sich nicht mehr. ”

Hendrik Ballhausen
Universität München

Erklärtes Ziel ist: eine wasserdichte Datensicherheit und absolute Datensouveränität zu garantieren, auch wenn mehrere Akteurinnen und Akteure für Analysen ihre Daten „zusammenwerfen“. Der Clou dabei ist, dass niemand seine Daten für solche Analysen herausgeben beziehungsweise vorzeigen muss – alles läuft verschlüsselt ab und die Daten „wandern“ zu keiner Zeit irgendwohin und müssen auch keiner zentralen Institution gegeben werden. Ausgetauscht werden lediglich lange Zahlencodes.

Um es plastisch zu machen: Wenn zwei Mittelständler beispielsweise herausfinden wollen, inwieweit sich ihre Lieferketten ähneln, kann Firma X die Namen ihrer 20 Lieferanten verschlüsseln und diesen Zahlencode an Firma Y senden. Bei Firma Y wird dieser Code dann erneut verschlüsselt. Dasselbe Verfahren läuft von Firma Y in Richtung Firma X. Am Ende lassen sich die zweifach verschlüsselten Codes vergleichen und die Firmen erfahren so, in welchem Maß ihre Lieferketten identisch oder konträr sind – obwohl kein Lieferantenname ausgetauscht wird und die Firmengeheimnisse so gewahrt werden. All das läuft über das System automatisch ab.

Revolution in der Datenanalyse

Was sich schlicht anhört, ist in Wahrheit eine kleine Sensation, wie der junge IT-Experte Philipp Riederle berichtet: „FSC ermöglicht in der Datenanalyse eine völlig neue Art des Denkens. Wir können plötzlich auch Daten analysieren, auf die wir keinen direkten Zugriff haben – das ist revolutionär!“ Riederle ist Unternehmensberater zu Fragen rund um die Arbeitswelt 4.0. Das BMBF zeichnete ihn 2014 mit gerade einmal 19 Jahren als einen der „führenden digitalen Köpfe Deutschlands“ aus.

Welches Innovationspotenzial in dem Vorhaben von FSC steckt, fiel auch in der Jubiläumsinitiative „Wirkung hoch 100“ des Stifterverbandes auf. Mitte November krönte ihr Beirat, dem auch Philipp Riederle angehört, das LMU-Projekt als Gewinner für das Handlungsfeld „Innovation“. FSC erreichte damit die höchste Förderstufe des Programms und bekommt, neben 140.000 Euro aus der vorangegangenen Förderphase, weitere 10.000 Euro für die Umsetzung und Skalierung des Projekts. Im Vorjahr war das Jubiläumsprogramm noch mit 100 herausragenden Projektideen aus Bildung, Wissenschaft und Innovation in eine erste Förderphase gestartet.

Was haben die Projekte bislang erreicht

Illustration: Jens Bonnke
Illustration: Jens Bonnke
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Was war bislang der größte Erfolg des Projekts Federate Secure Computing?

Seit April 2021 steht unsere Einstiegslösung als freie und quelloffene Software der Allgemeinheit zur Verfügung. Dieser Schritt Richtung systemische Wirkung macht uns richtig glücklich.



Welche Wirkung konnte das Projekt bislang erzielen?

Wir haben bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Behörden und Unternehmen einen Aha-Effekt erreicht: Wer hochspannende Datenanalysen mit anderen zusammen umsetzen will, muss dafür seine Daten nicht hergeben. Intelligenter Datenschutz made in Germany und digitaler Fortschritt gehen zusammen und beißen sich nicht mehr!



Welche Fördermöglichkeiten wünsche ich mir für die Zukunft?

Wirkung hoch 100 hat uns für die Startphase sehr gut ausgestattet. Noch mehr als weitere Förderungen wünschen wir uns, das sich Nutzerinnen und Nutzer in unserem Projekt engagieren.

Praxistaugliche Anwendung

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Illustration Glühbirnen zum Leuchten bringen (Illu: Jens Bonnke)
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Ideen eine Chancen geben
Wirkung hoch 100 aus Sicht eines Beiratsmitglieds.

Hendrik Ballhausen hat die Vision und Ideen mit seinem Team längst festgezurrt. Er setzt sich für leicht verständliche Lösungen ein, der akademische Schnörkel liegt ihm nicht. „Wir wollen unsere FSC-Technologie in der Anwendung so einfach wie möglich halten, damit sie praxistauglich ist.“ Nutzerinnen und Nutzer sollen sich weder mit komplexer Kryptografie oder komplizierter Mathematik noch mit black boxes herumschlagen müssen.

Wofür die Technik überhaupt taugt? Dafür fallen ihm viele Beispiele ein. Universitätskliniken könnten ihre wertvollen Patientendaten gemeinsam analysieren, ohne dass diese Daten die jeweilige Klinik verlassen. Die Forscherinnen und Forscher würden so erfahren, ob sich zum Beispiel bestimmte Faktoren, die sie in der Krebsforschung entdeckt haben, auch in den Daten von Krebspatienten anderer Kliniken wiederfinden.

Unternehmen könnten ihre Performance und Forschungsinvestitionen im Vergleich zu Mitstreitern einschätzen. Solche Branchenanalysen bieten Unternehmensberatungen ansonsten für viel Geld an, für viele KMUs aber sind sie unerschwinglich. Mit der Technologie von FSC könnten diese Auswertungen in Sekunden vorliegen, wenn sich die Branche über dezentrale verschlüsselte Analysen vernetzen würde.

Wie geht es weiter?

Mit der Förderung von Wirkung hoch 100 ist es für Ballhausen und seinem Team nun möglich, Show Cases für Forschung, Wirtschaft und Behörden zu entwickeln, um die Potenziale der Technik bekannter zu machen. Auch die Tatsache, dass das Team sich für einen Open-Source-Ansatz entschied, soll bei der Verbreitung helfen.

Jede und jeder könne nun diesen Ansatz nutzen und weiterentwickeln, lobt Philipp Riederle. Wer möchte, könne den Code auch auf Herz und Nieren prüfen, ob er in Sachen Datenschutz halte, was das Projekt FSC verspreche. Diese Transparenz werde in der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft sehr geschätzt und deshalb dringend gebraucht, erklärt der IT-Experte weiter: „Ich glaube deshalb, dass das Anliegen von FSC unseren europäischen und insbesondere auch den deutschen Blick auf das Thema Datenschutz und Privatsphäre ungemein stärken kann.“

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