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„Es gibt kein einzelnes Gen für Intelligenz“

Foto: iStock.com/gopixa
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Wieso ist es schwierig festzustellen, inwiefern Intelligenz vererbbar ist?
Das große Problem ist, dass es eben nicht ein einziges Gen für Intelligenz gibt. Wie die meisten anderen Verhaltensweisen oder Merkmale, die wir Menschen haben, ist auch die Intelligenz polygen. Es sind also viele Gene und deren Zusammenspiel dafür verantwortlich, wie intelligent jemand ist. Die Genetik der Intelligenz – und wie gesagt vieler anderer Dinge – entspricht also nicht der einfachen Mendelschen Vererbungslehre, nach der ein Gen für ein Merkmal verantwortlich ist.

Da sehr viele Gene zusammenwirken, gibt es immer auch sehr viele unterschiedliche Kombinationen von Varianten, die das Resultat beeinflussen. Zudem spielen bei polygenen Erbgängen auch immer Umweltfaktoren eine Rolle, zum Beispiel welche Gene wann aktiviert werden und entsprechend zur Geltung kommen. Das gilt auch für Intelligenz, deren Ergebnis immer eine Kombination von Umwelt und Genetik ist. In öffentlichen Debatten, wie der damals von Thilo Sarrazin losgetretenen, fehlt es jedoch am Verständnis für diese Zusammenhänge.

Was genau meinen sie damit?
In vielen Debatten werden die Mendelschen Regeln auf deutlich komplexerer Merkmale oder Verhaltensweisen, wie etwa die Intelligenz, angewendet. Es wird davon ausgegangen, dass es ein Gen gibt, das bestimmt, ob man intelligent ist oder nicht.

Hinzu kommt, dass oft der Vergleich zu Züchtung gezogen wird, bei der ja bewusst bestimmte Genvarianten aus einer Linie herausgezüchtet werden. Wenn ich diese Zuchtlinien miteinander vermische, dann verliere ich bestimmte Eigenschaften. Das ist aber etwas völlig anderes, wenn eine polymorphe – also verschiedengestaltige –  Population sich miteinander mischt. Dann verbessern sich Eigenschaften eher als dass man welche verliert. Sprich, die von Sarrazin und seinen Anhängern geschürten Ängste, dass sich türkisches Blut mit deutschem mischt und dadurch sich etwas negativ verändern könnte, sind genetisch totaler Quatsch. Menschen sind eben keine Zuchtlinien. Da wird leider in der öffentlichen Debatte häufig etwas vermischt und das mit verhängnisvollen Folgen, da solche Aussagen sehr schnell polarisierend genutzt werden können. 

Diethard Tautz (Foto: Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie)
Diethard Tautz (Foto: Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie)
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Zur Person

Diethard Tautz ist ein deutscher Biologe, Molekulargenetiker und Direktor am Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön. Seine Forschungsinteressen decken verschiedenene Themen der molekularen Evolution ab. Er befasst sich insbesondere mit molekularen Mechanismen evolutionärer Anpassungen, Populationsgenetik, der Entstehung der Arten und der vergleichenden Genomforschung. 

In der Sarrazin-Debatte spielte es auch eine Rolle, dass unterschiedliche menschliche Populationen unterschiedliche Ausprägungen von Intelligenz haben. Lässt sich dies genetisch stützen?
Nein und zwar aus einem einfachen Grund: Der Mensch ist noch viel zu jung, um als Spezies wesentliche genetische Unterschiede aufzuweisen beziehungsweise klar zwischen örtlichen Regionen getrennte Merkmale zu besitzen. Das ist bei der Hausmaus, an der wir hier forschen, beispielsweise anders. Aber die gibt es eben auch schon viel länger.

Weiß man denn, zu welchem Anteil die Gene und zu welchem die Umwelt die menschliche Intelligenz beeinflussen?
Nein, das kann man zum heutigen Zeitpunkt noch nicht genau bestimmen. Das ist aber auch sehr schwer, weil es ein sehr komplexer Prozess ist. Sicher wissen wir bisher nur, dass es eine Kombination aus beiden Faktoren ist. Das gilt sowohl für die Intelligenz, als auch für andere Merkmale, wie beispielsweise die Körpergröße. Die lässt sich allerdings leicht messen. Den Einfluss der Gene auf die Intelligenz zu bestimmen ist zum einen wegen der Komplexität der Vererbung schwer und zum anderen, weil es gar nicht so einfach ist, Intelligenz zu messen.

Wie lässt sich denn herausfinden, welche Rolle welcher Faktor spielt?
Um das herauszufinden, muss man nach Möglichkeit versuchen, einen der Faktoren konstant zu halten. Solange es innerhalb der Umweltfaktoren eine hohe Varianz gibt, kann man praktisch keinerlei Aussage über die Genetik treffen. Man nutzt also entweder Tierversuche mit gezüchteten Stämmen, um die Genetik konstant zu halten oder versucht die Umwelt in einem Experiment konstant zu halten.

Aus solchen Experimenten resultieren die Faustregeln für die Vererblichkeit. Diese Faustregeln variieren jedoch stark, da sie immer nur für eine Gruppe von Individuen in einer bestimmten Analyse gelten und sich nicht auf einen generellen Wert reduzieren lassen. 

„Den Einfluss der Gene auf die Intelligenz zu bestimmen, ist zum einen wegen der Komplexität der Vererbung schwer und zum anderen, weil es gar nicht so einfach ist, Intelligenz zu messen. ”

Diethard Tautz (Foto: Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie)
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Diethard Tautz

Wie kann man denn genetische Verhältnisse in einem Experiment konstant halten?
Eine der besten Methoden dafür sind Zwillingsstudien. Studien also mit eineiigen Zwillingen, die genetisch fast identisch sind. Einfache Verhaltensweisen testet man gut im Mausmodell und sichert dort durch Züchtung die Gleichheit der Stichprobe. Aber beim Menschen sind Zwillingsstudien, auch wenn in der Vergangenheit viel Schindluder getrieben wurde, die derzeit beste Methode.

Zu den entscheidenden Umweltfaktoren gehört ja, in welchen Verhältnissen Kinder aufwachsen. Wie beeinflusst dies das Verhältnis zwischen Umwelt- und genetischen Faktoren?
Hier gilt, dass in der Mittelschicht, wo die sozialen Verhältnisse relativ gleich und konstant sind, genetische Faktoren eine größere Rolle spielen als die Umweltfaktoren. Bei Kindern, die in der sogenannten Unterschicht aufwachsen, haben Umweltfaktoren ein stärkeres Gewicht. Auf dem genetischen Level sind diese Fragen aber noch nicht entschlüsselt. Hier sind wir noch am Anfang der Forschung, aber immerhin wissen wir inzwischen besser wonach wir suchen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Die Debatte. Das ist ein gemeinsames Projekt von Wissenschaft im Dialog (WiD), dem Science Media Center Germany (SMC) und der TU Braunschweig, gefördert vom Stifterverband. Das Projekt möchte zeigen, dass Wissenschaft zu aktuellen gesellschaft­lichen Themen viel beizutragen hat. Die jüngste Debatte beschäftigte sich mit dem Thema Intelligenz. Auf dem Blog finden sich vertiefende Hintergrund­artikel und Interviews zu gesellschafts­relevanten Themen. In regelmäßigen moderierten Live-Debatten beantworten zudem  Experten die Fragen des Publikums. Überzeu­gungen und Wissen werden hier einander gegenüber­gestellt. 

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