Lernorte

Innovation Hubs: Wie aus Pappmodellen Innovationen werden

Innovation Hub für digital unterstützte Gesundheitsversorgung (Foto: DELH)
Innovation Hub für digital unterstützte Gesundheitsversorgung (Foto: DELH)
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Als zum ersten Mal ein Roboter bei ihr vor dem Büro über den Flur spazierte, merkte Elisa Haucke, dass es an der Zeit war, sich viel stärker mit technischen Innovationen in der Medizin auseinanderzusetzen. „Das war ein humanoider Roboter, der wie ein Mensch einen Kopf hatte und zwei Arme. Die Kollegen von den Büros gegenüber probierten aus, wie er sich in der Pflege einsetzen ließe“, erinnert sich Elisa Haucke an jenen Moment vor einigen Jahren.

Der Roboter hinterließ sichtbare Spuren: Inzwischen hat die Medizinische Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg die Suche nach neuen Ideen institutionalisiert. Im „Innovation Hub für digital unterstützte Gesundheitsversorgung“ versuchen Elisa Haucke und ihre Kollegen, das gewaltige Feld der häuslichen Pflege durch Kniffe aus dem Hightechbereich umzukrempeln. Dabei sitzt Elisa Haucke mit ihrem Team derzeit genau genommen erst einmal inmitten einer Baustelle. Für die Einrichtung des Innovation Hubs werden eine ganze Reihe von Räumen auf ihrem Flur entkernt und so hergerichtet, dass nichts den guten Ideen im Weg steht: „Alle Wände werden Whiteboards sein, an die man etwas schreiben kann, und die Möbel sind komplett aus Pappe, damit wir sie immer wieder hin und her schieben können“, sagt die promovierte Ernährungswissenschaftlerin.

Innovation Hubs@Campus

Die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (Medizinische Fakultät) ist eine von drei Hochschulen, die im Förderwettbewerb „Innovation Hubs@Campus“ überzeugen konnten. Damit fördert der Stitferverband zusammen mit der Dieter Schwarz Stiftung den Aufbau neuer Experimentierräume für Forschung, Lehre und Innovation. In einer neuen Folge des Stifterverbands-Podcast Think&Do stellt Lukas Grasberger das Förderprogramm und die ausgezeichneten Hochschulen vor. Hören Sie rein! 

Ort für Experimente

Experimentierraum mit Pappmöbeln: Wie müssen die Zimmer von Pflegebedürftigen gestaltet sein. Elisa Haucke testet es im Innovation Lab mit einem sogenannten Altersanzug, der visuelle und körperliche Einschränkungen simuliert.
Experiment mit Altersanzug (Foto: DELH)
Experiment mit Altersanzug (Foto: DELH)
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Dass dieses Großprojekt ausgerechnet in Halle startet, ist dabei kein Zufall: Schon vor mehr als einem Jahrzehnt hat dort die Medizinische Fakultät die frühere HNO-Klinik auf ihrem Campus in einen Ort für Experimente umgerüstet. Die Mediziner gründeten das Dorothea Erxleben Lernzentrum und begannen dort damit, ihre Studenten systematisch und vor allem lebensnah auf die Berufspraxis vorzubereiten – durch Patientengespräche mit Schauspielpatienten etwa und durch Operations- und Reanimationssimulationen an denkbar realistischen Puppen. Damals entstand eine der größten und modernsten Lernkliniken Deutschlands – heute gehört es vielerorts zum Standard, dass angehende Mediziner ihre erste Spritze einer Puppe verabreichen, bevor sie mit echten Patienten in Kontakt kommen.

„Das medizinische Curriculum ist recht starr und bietet eigentlich nur wenig Platz für neue Projekte“, so schildert Elisa Haucke die Ausgangslage. In Halle wird versucht, genau an dieser Stelle anzusetzen: „Bei uns im Dorothea Erxleben Lernzentrum sind wir freier und können stärker auf die Herausforderungen der Zukunft reagieren.“ Haucke selbst ist dort seit fünf Jahren dabei, ihre Aufgabe liegt darin, die interprofessionelle Lehre aufzubauen. Im Klartext: Experten aus verschiedenen Fachbereichen – etwa Medizin- und Pflegestudenten – sollen gemeinsam lernen und ein Gespür für das Fach des jeweils anderen entwickeln.

Nah an der Praxis

Im Innovation Hub lässt sich der Einsatz innovativer Technik wie Telepräsenzroboter praktisch testen.
Telepräsenzroboter im Test (Bild: DELH)
Telepräsenzroboter im Test (Bild: DELH)
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„Oft gehen Technologien, die für die Gesundheitsversorgung entwickelt werden, am Bedarf vorbei“, hat Elisa Haucke beobachtet. Unlängst etwa sei sie auf einer Tagung gewesen, erzählt sie, auf der Forscher einen Telepräsenzroboter vorgestellt hätten – ein Gerät also, das im häuslichen Umfeld von Pflegebedürftigen zum Einsatz kommen soll. „Dann stellte sich aber heraus, dass dieser Roboter nicht über Teppiche fahren kann; damit ist er in vielen Wohnungen schlicht unbrauchbar.“ Oder das hochmoderne Pflegebett: „Das ist ausgesprochen funktional, aber niemand will es in seiner eigenen Wohnung stehen haben. Da wäre ein innovativer Lattenrost sinnvoller, der in das vorhandene Bettgestell gelegt werden kann.“

Genau mit solchen Fragen haben die Pappmöbel zu tun, die jetzt in die umgebauten Räume des Innovation Hubs kommen sollen: Mit ihnen können die Forscher Wohnräume simulieren, die aber zugleich die Fantasie nicht so einengen wie echte Möbel aus schwerem Holz – „da können sich viele Menschen nicht mehr ihre eigene Wohnung vorstellen, weil die Möbel ja völlig anders aussehen. Bei den Pappmöbeln ist klar, dass es sich um Platzhalter handelt“, erläutert Elisa Haucke. Ähnlich läuft es auch bei dem Workshop ab, den sie gerade plant: Da werden Senioren eingeladen, um Probleme im häuslichen Umfeld zu besprechen – mit dabei sind bei solchen innovativen Formaten oft Pflegewissenschaftler, aber auch Vertreter von Start-ups, die über denkbare Lösungen grübeln oder ihre eigenen Ideen in der Praxis erproben wollen.

„Oft gehen Technologien, die für die Gesundheitsversorgung entwickelt werden, am Bedarf vorbei.”

Elisa Haucke
Dorothea Erxleben Lernzentrum der Medizinischen Fakultät der Uni Halle-Wittenberg

Forschung und Lehre verbinden

„Für unseren Innovation Hub haben wir mehrere Nutzungskonzepte“, sagt Elisa Haucke: „Zum einen geht es um konkrete Forschungsprojekte, zum anderen um die Sensibilisierung von angehenden Ärzten und Pflegeexperten für die besondere Situation in der häuslichen Pflege.“ Tatsächlich ist die Lehre das Hauptgeschäft: Das Dorothea Erxleben Lernzentrum, zu dem auch der Innovation Hub gehört, ist vor allem für die Aus- und Weiterbildung zuständig. Diese Verbindung aus Forschung und Lehre ist vielversprechend: Innovationen finden so direkt den Weg in die Praxis.

Das klappt auch deshalb gut, weil der Innovation Hub nicht nur innerhalb der Uni, sondern auch in der Region bestens vernetzt ist: Er ist einer der zentralen Bestandteile der „Translationsregion für digitalisierte Gesundheitsversorgung“ (TDG), die derzeit in Sachsen-Anhalt entsteht – mit dem Schwerpunkt Pflege. „Dazu soll im Süden Sachsen-Anhalts eine Modellregion entstehen, in der neue Technologien gemeinsam von Akteuren der Gesundheitsversorgung und -forschung, Kreativwirtschaft und IT von der Idee bis zur Marktreife gebracht werden können“, heißt es dazu bei der TDG.

Roboter in der Medizin

Der humanoide Roboter, der am Anfang auf den Fluren im Dorothea Erxleben Lernzentrum unterwegs war, ist immer noch im Einsatz: Die Forscher erproben mit ihm immer neue Ideen, wie er sich in der medizinischen Versorgung einsetzen lässt. Nur einen Unterschied gebe es zu jenem Tag, als sie ihn zum ersten Mal traf, sagt Elisa Haucke und schmunzelt: „Inzwischen haben wir uns alle an ihn gewöhnt!“

Der humanoide Roboter Thea (Foto: David Ausserhofer)
Der humanoide Roboter Thea (Foto: David Ausserhofer)
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Innovation Hubs@Campus: Der humanoide Roboter Thea präsentiert das Konzept der Universität Halle-Wittenberg auf der Jurysitzung des Stifterverbandes.

Im 100. Jahr seines Bestehens sucht der Stifterverband Deutschlands beste 100 Ideen und Projekte für das Bildungs-, Wissenschafts- und Innovationssystem von morgen. Gemeinsam mit dem großen Partnernetzwerk des Stifterverbandes, bestehend aus Stiftungen, Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Akteuren, vernetzt „Wirkung hoch 100“ Querdenker und Pioniere und verhilft ihren Projekten zum Durchbruch. Für die finanzielle und ideelle Förderung stehen schon jetzt mehr als zwei Millionen Euro bereit.

Gesucht werden Projekte, die geeignet sind, besondere Wirkung zu erzielen, wie zum Beispiel das hier vorgestellte Reallabor „Innovation Hub für digital unterstützte Gesundheitsversorgung“. Auch ist es dem Stifterverband wichtig, dass Projekte die sich bewerben wollen, übertragbar und skalierbar sein sollen. Nicht zuletzt ist der Grad der Vernetzung von Projekten von Bedeutung. Alle Teilnahmekriterien zum Wettbewerb finden sich auf der Ausschreibungsseite. Bewerbungsschluss ist der 14. September 2020. 

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