Michael Kaschke plädiert für Roadmaps

"Wenn man die Methodik des Roadmappings mit einem Mandat und mit Mut verbindet, dann kommen wir auch schnell vorwärts."

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Michael Kaschke (Video)
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Der Präsident des Stifterverbandes, Prof. Dr. Michael Kaschke, stellt Roadmaps als wertvolle Methode vor, um komplexe Herausforderungen und Krisen zu meistern: Sowohl die Transformation der Gesundheitswirtschaft als auch des Energiesektors kämen schneller voran, wenn man gewissermaßen nach Karte fährt. Aber Roadmapping bedeutet nicht, eine gerade Linie von A nach B zu ziehen und ihr stur zu folgen, sondern immer wieder Abzweige und Entscheidungskriterien mitzudenken – ohne dabei das große Ziel aus den Augen zu verlieren.

Das Interview entstand im Zusammenhang mit dem Forschungsgipfel 2023.

 

Transkript des Videos

Wenn Sie neue Gesundheitslösungen für die Zukunft betrachten, dann wird das nicht ohne Digitaltechnik, ohne medizinische Forschung, ohne ein gutes System der Krankenversorgung, auch Zusammenspiel zentrale-dezentrale Krankenversorgung und und und ... Ohne das wird es nicht funktionieren. Das heißt: Man muss heute viel komplexere Zusammenhänge denken. Genau dasselbe, was ich immer sage, bei dem Thema Energie wird sehr vehement die Windkraft diskutiert, also die Erzeugerseite. Aber wir können ganz viel noch machen, wenn wir auf der Abnehmerseite Smart Grids, smarte Lösungen, smarte Verbrauchslösungen, Verbrauchssteuerung einführen. Und wieder ein Zusammenspiel von unterschiedlichen Akteuren: Das eine ist die Energiewirtschaft, das andere ist die Digital- oder Kommunikationswirtschaft oder die Haustechnik. Und das meine ich: Erstes Charakteristikum der Veränderungen, vor denen wir stehen, ist eine Komplexität, die tief in die Gesellschaft hinein reicht. Und das braucht andere Vorgehensweisen. Das ist dann nicht mehr nur eine rein wissenschaftliche oder eine rein ökonomische oder eine rein soziale, sondern man muss dieses zusammenbringen, und das gelingt nur mit Roadmaps, das ist meine feste Überzeugung. Und deswegen thematisieren wir dieses Thema Roadmap auch so stark.

Das Roadmapping beinhaltet für mich immer drei ganz einfache Elemente: Das ist die Planung, aber mit verschiedenen Wegen, inklusive von Entscheidungspunkten, wo ich dann entscheide: Ich biege rechts ab oder links ab. Es beinhaltet Katalysatoren, das sind Beschleunigungselemente, die ich ganz gezielt in meiner Roadmap aufzeige: Wie kann ich das Ganze beschleunigen? Und da wir über komplexe Systeme reden, beinhaltet das Roadmapping auch die Orchestration, also die Orchestrierung des gesamten Prozesses. Ich benutze bewusst Orchestrierung und nicht Koordinierung, weil ein Orchester muss zusammenspielen. Beim Koordinieren können sie natürlich sagen: Jeder spielt für sich, und die Flöte spielt das und die Trompete das. Aber Orchestrierung ist wirklich das orchesterhafte Zusammenspielen von vielen Akteuren. Und wenn Sie alle drei Dinge zusammennehmen: dieses Roadmapping, diese Planung, die Katalysatoren, die man fördern und unterstützen muss, und die Orchestrierung, dann bekommen Sie eine wirklich geballte Kraft auf die Straße, und das ist das Thema Roadmapping, was wir hier heute ein bisschen thematisiert haben.

Deutschland hat ja jetzt - Stichwort: Covid oder LNG-Terminals für das Thema Gasunabhängigkeit - schnell reagiert. Aber es war eine Reaktion unter Druck. Es wurde heute früh gesagt: Man läuft schneller, wenn der Tiger hinter einem ist. Das ist positiv zu erwähnen, weil da haben sich Akteure zusammengefunden. Da hat man diesen Krisenstab gebildet oder Krisenstäbe gebildet, und man hat agieren können. Für eine Zukunft ist aber ja was anderes wichtig: Sie können ja nicht nur agieren für eine Zukunft im Krisenmodus, Sie müssen ja auch planerisch, also gestalterisch unterwegs sein. Und das ist genau der Unterschied. Deswegen sage ich: Wir müssen es lernen, die gleiche Geschwindigkeit, die wir unter Krisenbedingungen gezeigt haben, auch in der Gestaltung nach vorne an den Tag zu legen. Und das ist im Prinzip der Aufruf, das unter anderem mit der Methode des Roadmappings zu tun.

Roadmapping, englisch: die Straßenkarte für die Road, und ich sage es immer ganz einfach: Das ist etwas anderes als ein Fahrplan. Eine Roadmap ist etwas, wenn Sie von New York nach Los Angeles fahren wollen, dann brauchen Sie am Anfang Ihrer Reise einen Kompass. Sie müssen nur wissen: Fahre ich nach Westen oder nach Osten? Wenn nach Osten, lande ich im Atlantik. Wenn Sie an die Landesgrenze von New York State kommen, dann brauchen Sie vielleicht eine Highway Map der USA, damit Sie wissen, auf welche Highways Sie fahren, und wenn Sie nach Kalifornien kommen, eine Karte der Landesstraßen. Und wenn Sie in Los Angeles ankommen, dann brauchen Sie einen Stadtplan. Und das ist Roadmapping. Das heißt, die angepasste Navigation, aber auch eben vor allen Dingen wichtig, nicht nur eine Linie von New York nach Los Angeles gezogen, sondern verschiedene Wege, weil unterwegs kann passieren, dass mal ein Schneesturm ist oder eine Tankstelle zu, und dann müssen Sie eine alternative Straße fahren. Und das wird immer verwechselt, weil viele denken: Wir haben einen Plan, und wir haben ein Ziel, 2045 klimafrei, und dann ziehen wir eine Linie dahin, und das ist unsere Roadmap. Das ist aber nicht die Roadmap. Die Roadmap zeigt viele Wege auf, auch verschiedene Entscheidungspunkte, Entscheidungskriterien. Und deswegen glaube ich, dass es ganz wichtig ist, dass dieses Konzept des Roadmappings, was andere Länder zum Teil deutlich besser machen, dass wir das dringend brauchen für unsere großen Transformationen.

Aber das reicht nicht aus. Sie brauchen dann diese Methode. Das erste M, was ich immer sage, Sie brauchen dann ein Mandat, also, wir brauchen dann einen Verantwortlichen, der sich verantwortlich für die Gestaltung und die Umsetzung der Roadmap sieht. Und Sie brauchen dann auch Mut, weil die Komplexität der Akteure heißt ja automatisch, dass nicht jeder sofort mit allem einverstanden ist. Auf einem linearen Weg bekommen Sie einen Konsensus viel eher zusammen. In so einer komplexen Struktur haben Sie automatisch viele Widerstände, und deswegen ist es auch wichtig, diese verschiedenen Wege aufzuzeigen, weil man manchmal eben an einen Widerstandspunkt kommt, dann aber eben nicht stehen bleiben darf, sondern vielleicht einen Alternativweg geht. Und, ja, ich würde schon sagen, um es ein bisschen plakativ zu machen: Wenn man die Methodik des Roadmappings mit einem Mandat und mit Mut verbindet, dann kommen wir auch schnell vorwärts.

Es ist, glaube ich, sehr deutlich geworden heute bei dem Gesundheitsthema, das eben genau in die Kategorie der ganz extrem komplexen Transformationsprojekte fällt, aber gerade deswegen muss man dann Dinge vereinfachen und sagen: Was sind jetzt die Beschleuniger? Und da ist eben klar geworden: Wir müssen jetzt ganz schnell wirklich die Elektronische Patientenakte haben. Wir müssen ein Datennutzungsgesetz haben, Regeln für die Datennutzung schaffen, die dann sofort eben auch umsetzbar sind und nicht erst dann wieder ewig lange besprochen werden und diskutiert werden. Warum? Ich glaube, dass man dann Dinge weiterentwickeln kann, wenn man sie mal in der Praxis anwendet, gerade im Gesundheitswesen. Und deswegen auch nicht die Suche nach der 150-Prozent-Lösung, sondern ausgehend 80-Prozent-Lösung schaffen, damit experimentieren, voran gehen, versprechen, auch als Politik versprechen, dass wir es verbessern, dass wir dann sozusagen die Version 2.0 draufsatteln oder 3.0 und dass es ein kontinuierlicher Prozess der Verbesserung ist. Das ist ja Agilität. Und ich glaube, das ist heute deutlich geworden, dass wir da auch methodisch noch nicht richtig unterwegs sind, dass Verantwortlichkeiten fehlen. Und was aber positiv ist, dass erkannt worden ist, dass wenn wir jetzt nicht schnell agieren in puncto Digitalisierung, da sind wir ja Schlusslicht teilweise in Europa, dann werden wir nicht nur in dem Thema Digitalisierung zurückfallen, sondern wir werden ein echtes Problem in der Gesundheitswirtschaft bekommen.