Wilhelm Krull: Mehr Mitsprache und Mut in der Forschung

"Wo wollen wir letztlich nicht nur ökonomische, sondern auch soziale Innovationen ermöglichen, die tatsächlich unserer Gesellschaft auch ein neues, humaneres Gesicht geben?"

Video abspielen
Wilhelm Krull: Mehr Mitsprache und Mut in der Forschung (Video)
Youtube

Woher rührt die Angst vieler Deutschen, dass neue Technologien ihren Arbeitsplatz vernichten? Das kommt wohl auch daher, dass sie nicht rechtzeitig in neue Entwicklungen eingebunden sind, meint Wilhelm Krull, Generalsekretär der VolkswagenStiftung. Und wieso hemmt die Kurzatmigkeit der Forschungsförderung die Grundlagenforschung in Deutschland, so dass sie kaum echte Innovationen hervorbringt?
 

Jede Woche neu beim Stifterverband: 
Die Zukunftsmacher und ihre Visionen für Bildung und Ausbildung, Forschung und Technik

Autorin: Corina Niebuhr
Produktion: Webclip Medien Berlin
für den YouTube-Kanal des Stifterverbandes
 

Wilhelm Krull war Gast beim Forschungsgipfel am 28. März 2017 in Berlin.

 

Transkript des Videos

Der Einsatz von Robotern in der Pflege ist ja im Moment schon ein Thema. In Japan war es so, dass zwei Drittel der Menschen nach einer Umfrage gesagt haben, sie hätten lieber einen Roboter als einen Menschen. In Deutschland ist das genau umgekehrt.

In der anwendungsorientierten und angewandten Forschung muss es künftig darum gehen, im Vorfeld bereits transparent ausgehandelt zu haben: Was sind denn die Prioritäten, die auch für die Weiterentwicklung dieser Gesellschaft insgesamt wichtig sind und nicht nur partiell für die eine oder andere Forscherin oder das eine oder andere Unternehmen? 

Was uns auch bei diesen Beratungen im Hightech-Forum immer wieder begegnet, ist natürlich durchaus eine verbreitete Angst vor dem Neuen, wenn es jetzt um Technik vor allem auch in der Arbeitswelt geht. Also, in der Freizeit begrüßen alle die Möglichkeiten eines Smartphones, eines Tablets und vieler anderer digitaler Spielzeuge, kann man ja fast sagen. Aber wo die großen Sorgen liegen, das ist eher in diesem Bereich, den man ja auch mit Artificial Intelligence umschreibt, nämlich da, wo sozusagen quasi Automaten schlauer sind als wir Menschen mittlerweile, lernfähig geworden sind und dadurch natürlich eine Angst entsteht, dass die Arbeitsplätze, die bisher, sagen wir mal, einfache handwerkliche Dinge umfassten, völlig wegrationalisiert werden. Und da besteht natürlich eine Riesenangst in der Gesellschaft, und wir müssen natürlich darüber auch offen reden: Welche Arbeitsplätze fallen weg, aber welche werden denn gegebenenfalls auch neu geschaffen? Denn wenn wir zurück schauen in die Geschichte, dann sehen wir immer wieder, dass nach jeder solchen industriellen Revolution, wenn Sie nur an die Maschinenstürmerei im 19. Jahrhundert denken, ja, hinterher wurden viel mehr Arbeitsplätze in der Textilindustrie geschaffen, als jemals zuvor in dem Manufakturbetrieb da waren. Die Frage ist natürlich am Ende: Wie gestalten wir dann die neuen Arbeitsplätze und wie menschenwürdig werden die aussehen, wenn tatsächlich ein Roboterarm eben um ein vielfaches beweglicher ist als wir Menschen oder eben auch, wie ich es neulich beobachten konnte in einem Universitätsklinikum, wenn ein Roboter der bessere Operateur ist? Weil er einfach sozusagen 360-Grad-Bewegungen vollführen kann, die keine Hand eines Chirurgen jemals vollführen könnte. Also, genau da liegt die Schwierigkeit.

Der Punkt ist, dass wir die Debatte darüber, wo wir als Gesellschaft uns hinbewegen wollen, dass die sehr viel frühzeitiger breit geführt werden muss und nicht im stillen Kämmerlein geführt werden kann. Und auch natürlich durch die Digitalität als ein vorherrschendes Entwicklungsmoment ganz neue Möglichkeiten der Partizipation eröffnet werden.

Genau das war natürlich auch Gegenstand im Hightech-Forum in Anbetracht der Entwicklungen in den verschiedensten Feldern. Stichwort: E-Health, wie man ja heute immer auf Englisch erst einmal sagt, also, es ging um das neue Gesundheitssystem auf der Basis von entsprechenden medialen Vermittlungsformen, die wir bis vor wenigen Jahren ja noch gar nicht kannten. Sie müssen ja immer bedenken, selbst das Smartphone ist gerade mal zehn Jahre alt geworden in diesem Jahr, und von daher haben wir natürlich Entwicklungen, die ganz neue Chancen auch bieten, wie Menschen miteinander interagieren können, bevor zum Beispiel ein großes Regierungsprogramm ausgelobt wird oder bevor auch die Helmholtz-Gemeinschaft oder andere tatsächlich ihr Agenda setting betreiben.

Wir hatten natürlich in den Fachforum Transparenz und Partizipation durchaus auch mit einer gehörigen Portion Skepsis zu tun, also etwa seitens der großen Wissenschaftsorganisationen. Aber auch teilweise aus der Industrie kam natürlich: Das wird ja die ganzen Prozesse noch verlangsamen, und wir müssen doch eigentlich eher schneller werden. Auf der anderen Seite, wie gesagt, wenn Sie zurück schauen auf die Entwicklung der modernen Gentechnik in Deutschland, auf die Entwicklung der Biotechnologie in Deutschland oder davor auch der Kernenergie und Kerntechnik, dann können Sie sehen, dass wenn man zu lange sozusagen die Debatte nur im engen Fachkreis belässt, dann die Kalamitäten hinterher kommen. Also ist es viel besser, im Vorfeld darüber zu reden, wo wollen wir auch mit unseren gemeinsamen Wertvorstellungen hin? Also, wo wollen wir letztlich nicht nur ökonomische, sondern auch soziale Innovationen ermöglichen, die tatsächlich unserer Gesellschaft auch ein neues, humaneres Gesicht geben? Und genau diese Debatten im Vorfeld zu führen, das kann man, glaube ich, durch die Bank nicht nur für Wissenschaft und Forschung, sondern auch für die ganz großen Bauprojekte und anderes sagen. Es ist viel klüger, im Vorfeld sich zu öffnen, weshalb ja auch schon inzwischen manche Bundesländer ein entsprechendes Transparenzgesetz haben, das eben besagt, dass bereits weit im Vorfeld von Entscheidungen, die natürlich weiterhin bei der Politik verbleiben, das muss immer auch klar sein, eine solche Debatte hilfreich sein kann, um ein gemeinsames Verständnis von den Problemen, aber auch von den Herausforderungen zu gewinnen.

Ob wir noch mehr Geld brauchen, da wird jeder Wissenschaftler sofort "Hier!" schreien und sagen, das brauchen wir auf jeden Fall. Aber ich glaube, was viel wichtiger ist, ist, diese Wagniskultur auch in der Grundlagenforschung und das Vertrauen und die Verlässlichkeit in der Förderung.

Was wir die letzten Jahre über beobachtet haben, ist natürlich, dass man weggegangen ist von der institutionellen, garantierten Förderung hin zu immer mehr drittmittelbasierter Förderung. Dagegen ist im Prinzip auch noch nichts zu sagen. Nur wenn diese Drittmittelförderung in dem Rhythmus von zwei bis drei Jahren statt von sieben bis acht Jahren passiert, dann ist natürlich klar, dass ich eine Art von Sicherungsförderung betreibe, nämlich ich muss als Forscher oder Forscherin ja jederzeit sehen, dass der nächste Antrag auf der Basis von Publikationsergebnissen quasi schon getan ist oder jedenfalls weitgehend getan ist, während wofür wir dringend neue Möglichkeiten brauchen, ist eben, sozusagen etwas zu versuchen, was man bisher noch nicht versucht hat. Und dafür gibt es eben, wie wir auch feststellen mussten bei unseren Gesprächen mit Hochschulleitungen, mit Forscherinnen und Forschern in Deutschland, im Moment eher zu wenig als zuviel Geld. Und insofern kann man sagen: Mehr Wagniskapital für die absolute Grundlagenforschung ist sicher etwas, was uns gut tun würde.

Ein markantes Beispiel aus vergangenen Tagen ist natürlich der Nobelpreisträger Stefan Hell, der gegen das von Ernst Abbe 1902 formulierte Gesetz, dass man die Lichtmikroskopieschranke nicht überschreiten kann, über zehn Jahre sozusagen fast wie Don Quijote gegen Windmühlen gekämpft hat, weil alle gesagt haben: Fahr mal nach Jena, dort ist die Formel in Stein gemeißelt! Und nur dadurch, dass er immer wieder Förderer gefunden hat und am Ende auch eine Max-Planck-Nachwuchsgruppe bekommen hat, konnte er am Ende zeigen, dass es doch möglich ist, diese Schranke zu überwinden. Und ähnliche Dinge gibt es natürlich auch in anderen Bereichen der Naturwissenschaften und der Technik, und ich glaube, dass wir da genau ansetzen müssen: Trauen wir jemandem zu, etwas besonders Originelles zu tun? Wir beispielsweise versuchen das ja über die Förderformen einmal für die Naturwissenschaften unter dem Titel "Experiment!". Und wie man das für die Geisteswissenschaften erwartet, bescheidener: "Originalitätsverdacht?" Dass wir sozusagen bewusst einladen, gewagte Ideen einmal vorzuschlagen, die eben nicht bereits im Mainstream der Förderung sind. Und ich glaube, da haben wir eine Chance, Dinge anzustoßen, die dann allerdings eben, wenn sie sich als machbar erweisen, natürlich dann auch auf lange Sicht noch gefördert werden müssen, ehe sie tatsächlich Früchte tragen.

Man kann jedes pessimistische Angstszenario im Moment auch entwickeln und sagen: Also, demnächst werden Uber und all die amerikanischen Firmen unsere Taxen, unsere Autos usw., Tesla dann in dem Falle, wegrationalisieren. Ich glaube das nicht. Erstens ist es ja nicht so, dass etwa Volkswagen oder BMW oder Mercedes nicht auch große Anstrengungen unternehmen, in dem Bereich der Software-Entwicklung usw. selber mit vorne zu sein. Auch die Batterieentwicklung, die man allerdings lange Zeit, weil man ja so erfolgreich war mit Dieselfahrzeugen und anderen, vernachlässigt hat, auch die hat sich inzwischen ja zu einem wirklich Hunderte-von-Millionen-Euro-Investitionsbereich in der Forschung entwickelt. Wie gesagt, woran es, glaube ich, bei uns im Moment eher fehlt, ist, dass sozusagen ganz grundlegend neue Sachen von deutschen Forscherinnen und Forschern entwickelt werden und auch die nächste Generation von Forscherinnen und Forschern mit diesen kreativen Ideen dann in die Wirtschaft geht, um dort sozusagen auf dieser Basis weiterzuarbeiten. Und ich glaube, genau an dieser Verzahnung werden wir auch in Zukunft noch weiter arbeiten müssen.