Thomas Klindt: Neue Technik trifft auf altes Recht

"Niemand kann mehr behaupten, dass wir noch mit dem alten Recht weiterkommen."

Video abspielen
Thomas Klindt: Neue Technik trifft auf altes Recht (Video)
Youtube

Die technologische Entwicklung schreitet voran, und das Rechtssystem hinkt hinterher. Das geht auf Dauer nicht gut, meint Thomas Klindt, Professor für europäisches Produkt- und Technikrecht an den Universitäten Kassel und Bayreuth. Die Digitalisierung ermöglicht statt Massenware individuelle Fertigung zum günstigen Preis. Doch lässt sich in den neuen Produktionsabläufen industrieller Geheimnisschutz überhaupt noch garantieren?

Jede Woche neu beim Stifterverband: 
Die Zukunftsmacher und ihre Visionen für Bildung und Ausbildung, Forschung und Technik

Autorin: Corina Niebuhr
Produktion: Webclip Medien Berlin
für den YouTube-Kanal des Stifterverbandes

Das Interview entstand am Rande des Zukunftskonkgresses 2016 des 2b AHEAD ThinkTanks.

Transkript des Videos

Einen langen Teil der Wegstrecke begeht man neue Technologien mit alten Regeln. Ich habe das mal so formuliert: Industrie 4.0 trifft auf Recht 3.0.

Es wird eine Weile dauern, bis wir spezifische Rechtsvorschriften für das Digitalisierungsrecht bekommen. Die Plattform Industrie 4.0, die die Bundesregierung aufgesetzt hat, versucht ja gerade zu identifizieren, in welchen Bereichen sozusagen das Gelände so vermint ist, dass wir dringend regulativen Anpassungsbedarf haben. Die Antworten stehen noch aus. Aber man muss tatsächlich sagen: Wir bräuchten schon einen tipping point, wir bräuchten schon einen Kristallisationspunkt einer ganzen Entwicklung, um zu sagen, also: Niemand kann mehr behaupten, dass wir da jetzt noch mit dem alten Recht weiterkommen, und da sind wir wohl noch nicht. 

Was wir zum Beispiel erleben werden unter dem Stichwort Industrie 4.0, ist eine Aufweichung, eine Aufbrechung wahrscheinlich sogar, der klassischen industriellen Zulieferketten. Die liefen ja so: Sie haben den Hersteller irgendeines Gerätes, Ihrer Kamera, und der hat einen Vorlieferanten bestimmter Teilmodule, der hat seinerseits einen Vorlieferanten, und so geht das bis ins zehnte oder fünfzehnte Glied. Und so waren die technischen Abläufe, und so waren auch die vertraglichen Abreden. Diese ganze Idee digitalisierter Wertschöpfung setzt ja darauf auf, dass man im Grunde zum Preis von Massenfertigung individualisierte Produkte bekommt, indem ich nämlich ordern kann. Jetzt möchte jemand die Kamera soundso, und der nächste möchte schon eine leicht andere Kamera, und der dritte möchte eine noch andere Kamera. Und das sind drei individuelle Produkte, die bestellt werden, die aber über Prozesse eingesteuert werden, die wie Massen- und Serienfertigung aussehen. Und das wird nur funktionieren, indem eben in dieser Supply Chain auf einmal übergreifend diskutiert wird, indem also der vorderste, der Hersteller in die gesamte Zulieferkette hinein kommuniziert: Achtung, ich habe gerade einen Auftrag bekommen, alles in rot lackieren! Achtung, ich habe gerade einen Auftrag bekommen, alles unterwasserdicht. Achtung, ich habe gerade einen Auftrag ... Das kann nicht mehr funktionieren, dass man das sozusagen runterklappen lässt, sondern es müssen oder es sollen ja in diesen Ideen gewissermaßen alle Bescheid wissen, damit jeder seinen Bestandteil dazu beibringen kann, so ein customized piece am Ende herauszubringen. Das bricht mit der Idee bis hin zum Geheimnisschutz, bis zum Know-how-Schutz von gewerblichem Wissen, dass ich immer nur mit einem kommuniziere. Mit dem regele ich alles, und mit dem spezifiziere ich alles, und mit dem habe ich Vertragsstrafen für den Fall, dass er mein Know-how verrät. Ich muss jetzt quasi in eine große Zulieferschiene mein Know-how pusten, damit die alle das machen können, was ich will. Und wie man in diesen Ozean von Unternehmen, die auf einmal alle miteinander zu tun haben, zum Beispiel industriellen Geheimnisschutz durchsetzen will, ist eine noch unbekannte Frage.