Gesche Joost: Programmieren im Unterricht

"Ich glaube nicht mehr daran, dass die Schulen es stemmen werden. Ich glaube auch nicht mehr daran, dass die Kultusminister das irgendwie stemmen werden. Ehrlich gesagt, die wursteln vor sich hin, und da passiert nichts."

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Warum kein Schulfach Programmieren? Polen und Großbritannien machen da zurzeit große Schritte nach vorne, Jugendliche mit dem Coding bekannt zu machen. Und in Deutschland? Gesche Joost, Leiterin des Design Research Lab an der Berliner Universität der Künste, geht mit der Bildungspolitik hart ins Gericht.

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Autor: Timur Diehn
Produktion: Webclip Medien Berlin
für den YouTube-Kanal des Stifterverbandes

Transkript des Videos

Ich lerne von meinen Gleichgesinnten, und die sind irgendwo auf der Welt. Ich lerne von denen und mit denen zusammen. Wir entwickeln gemeinsam was, auch über das Netz in neuen Communities eigentlich. 

Wir gehen weg von diesem Fakten auswendig Lernen. Das müsste doch eigentlich schon überkommen sein, aber wird, glaube ich, noch sehr stark praktiziert in den Schulen. Und wir müssen auch weg von diesem Frontalunterricht und zu anderen Lehrgemeinschaften und Lerngemeinschaften kommen.

Ich bin viel in Brüssel unterwegs und lerne von meinen europäischen Kolleginnen und Kollegen dann auch einen anderen Geist kennen, also einen Enthusiasmus, was digitale Technologien angeht. Und das äußert sich zum Beispiel darin, dass wir auf Polen geschaut haben, wieviel Programmierkenntnisse dort vorhanden sind, und zwar gibt es da eine Initiative, die heißt "Masters of Code", ist ja auch schon ein sehr schöner Titel, und die haben es wirklich geschafft, innerhalb von wenigen Jahren, 2013 sind die gestartet, die Anzahl einfach der Workshops und der Unterrichtseinheiten, die in Polen zur Verfügung stehen, massiv, die ist durch die Decke gegangen einfach. Also, das sprengte jede Matrix. Polen holt massiv auf, ganz, ganz toll. Sie überlegen gerade, das eben in ganz Polen einzuführen, an allen Schulen, dass da eben Coding gelehrt wird. Das war ein tolles Beispiel. Ein zweites, wirklich begeisterndes Beispiel ist in U.K. gerade, in England, das ist der sogenannte Microbit. Das ist ein Minicomputer, der ist so groß wie eine Scheckkarte, der wird gerade an alle Schüler der 7. Klassen kostenlos ausgegeben. Das ist eine Initiative von BBC und verschiedenen Unternehmen zusammen. Die haben einfach gesagt: So, wir setzen das jetzt um. Sie machen es auf eine sehr kreative Art. Also, das ist ein Minicomputer, mit dem man sehr viel machen kann. Sie haben schöne Beispiele. Man kann sich daraus einen Schrittzähler bauen. Man kann sich daraus eine Luftgitarre bauen. Man kann damit seine E-Mails verschlüsseln, also wirklich unglaublich viele tolle Beispiele. Und eigentlich ist die Basisidee: Man lernt erstens ein bisschen Elektrotechnik, weil man damit umgeht. Man lernt Programmierkenntnisse auf unterschiedlichem Niveau, also von wirklich ganz einfach bis zu komplexeren Anwendungen, und das ganze eben von einer eigentlich ja privatwirtschaftlichen Initiative, von halböffentlichen Medienpartnern, privaten Initiativen zusammen. Die haben es geschafft, eben das Bildungssystem zu überrollen eigentlich im positiven Sinne. Und da dachte ich so: Mann, das brauchen wir in Deutschland! Das wäre wirklich was, was mal einen Unterschied machen würde. Nicht nur ankündigen, sondern das wirklich umzusetzen.

Mein Institut ist vielleicht ein ganz gutes Beispiel. Bei mir an der Universität der Künste in Berlin, mein Lehrstuhl beschäftigt sich mit Mensch-Technik-Interaktion, ist also eigentlich schon ein auch technischer Bereich, der aber viel Designaspekte auch drin hat. Wir haben 70 Prozent Frauen, also wir haben gar nicht eben diesen Männerüberschuss, und bei uns wird gar nicht gefragt, ob man programmieren kann oder will, sondern da macht man es einfach. Es wird gar nicht mehr in Frage gestellt, sondern pragmatisch umgesetzt. Und das ist möglich einfach dadurch, dass alles Open Source vorhanden ist. Wir arbeiten eben auch mit diesen Mikrocontrollern, mit dem Raspberry-Pi und dem Arduino. Die kosten 20, 30 Euro, also sie sind wirklich super Einstiegsplattformen, mit denen man Prototypen entwickeln kann. Die Programmiersprachen sind inzwischen auch so einfach geworden. Zum Beispiel Processing ist visuell basiert, ist fast so ein bisschen wie Lego zu bauen. Das können eben auch Kreative sehr, sehr einfach machen. Und das ganze ist Open Source, das heißt: Wenn ich ein Problem habe, dann schaue ich auf der Plattform nach. Wie haben es denn die anderen gelöst? Oder dann löst man es gemeinschaftlich weiter. So ein offenes Ökosystem würde ich mir für Schulen wünschen. So ein offenes Ökosystem würde ich mir für Schulen wünschen. Das würde erstens bedeuten, also dass alles Open Source ist. Zweitens, dass man einfache Hardware nutzt, dass jeder sein eigenes Device mitbringen kann, seinen eigenen Tablet oder Computer. Das nennt sich dann: "Bring your own device"-Strategie. Für die, die keinen haben, müsste es eben Tablets oder Rechner in der Schule geben. Das könnte auch über Stiftungen gemacht werden. Und es muss eben mehr offene Standards geben. Open Educational Resources ist ja so ein Thema, dass man einfach offene Bildungsmaterialien ins Netz stellt, die auch weiterentwickeln kann, modifizieren kann, dass wir da einfach diese Infrastruktur öffnen. Und das geht über die Institutionengrenzen ganz klar hinweg. Weil ich glaube nicht mehr daran, dass die Schulen es stemmen werden. Ich glaube auch nicht mehr daran, dass die Kultusminister der einzelnen Länder das irgendwie stemmen werden. Ehrlich gesagt, die wursteln vor sich hin, und da passiert nichts. Und ich finde, das können wir uns echt nicht mehr leisten. Insofern, dezentral gibt es tolle Sachen, die aufnehmen und einfach heute damit anfangen, mit den engagierten Lehrern, die es heute gibt, mit den engagierten Eltern, die es heute gibt, und dann die Politik hinterherziehen, das ist im Moment so meine Prognose, damit wir in absehbarer Zeit überhaupt erst zu Ergebnissen kommen.

Wir hatten heute bei der Diskussion hier ein tolles Beispiel, dass Schülerinnen und Schüler sich hingesetzt haben und gesagt haben, sie wollen Tutorials für ihre Lehrer schreiben, wie man zum Beispiel einen Beamer anschließt. Das fand ich nicht nur ein sehr niedliches und schönes Beispiel und ein sehr praktisches Beispiel, sondern es zeigt auch, dass Schülerinnen und Schüler auch schon ganz großartige Kompetenzen haben, die sie auch den Lehrern weitervermitteln können. Das ist doch genau das, was wir brauchen, so ein Miteinander. Jeder bringt eben das ein, was er kann oder sie kann. Und das ist, glaube ich, ein Zukunftskonzept, wie man digitale Inhalte nutzen kann, auch um neu zu denken, wie wir eigentlich uns weiterbilden wollen, eben nicht nur in der Schule, sondern darüber hinaus.