Günther Dissertori: Europas Innovationsdruck
"Wir haben eine exponentiell schnelle Entwicklung. Wenn man nicht agil ist, wenn man sich jetzt nicht bewegt, riskiert man, im Abseits zu landen."
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Günther Dissertori ist Teilchenphysiker und Rektor der ETH Zürich. Im Gespräch, das am Rande des University: Future Festivals 2025 in Zürich stattfand, äußerte er sich zu Europas Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft.
Die wichtigsten Aussagen aus dem Gespräch:
- Die geopolitischen Veränderungen und die Ereignisse in Amerika fordern ein verstärktes Bewusstsein für die Notwendigkeit, in Europa zu handeln.
- Die Etablierung eines Digitalisierungsministeriums in Deutschland signalisiert ein Erwachen und den Willen zur Modernisierung.
- Die Komplexität neuer Technologien birgt Potenzial für bedeutende Entdeckungen, erfordert jedoch ein tieferes Verständnis und die Fähigkeit, große Datenmengen zu analysieren.
- Europa steht vor der Herausforderung, einen Kompromiss zwischen Regulierung und schneller technologischer Entwicklung zu finden.
- Es sind erhebliche Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Rahmenbedingungen nötig, um Europas Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und den Rückstand gegenüber Amerika aufzuholen.
Interview und Produktion: Corina Niebuhr, Webclip Medien Berlin
Mein ganz persönlicher Eindruck ist, dass wir, ich werde jetzt nicht das Wort Zeitenwende verwenden, aber schon an einem speziellen Punkt gerade sind. Dieses Bewusstsein, dass sich da was Gravierendes tut, über die geopolitischen Veränderungen, über das, was in Amerika passiert, das Bewusstsein, dass man sich jetzt bewegen muss, finde ich, ist zurzeit stärker. Und man sieht es als Außenstehender, sehe ich das zum Beispiel, habe ich den Eindruck, das auch in Deutschland zu sehen.
Die neue Regierung hat jetzt ein Digitalisierungsministerium auf die Beine gestellt. Ist auch ein Zeichen, was damit dann passiert, oder was der Impact sein wird, müssen wir noch sehen. Aber es ist ein Zeichen, dass vielleicht der Weckruf jetzt doch da ist, und ich frage mich, ob, klar, die Vorstände werden weiterhin eine wichtige Rolle haben. aber ich frage mich, ob eben nicht die wichtigere Rolle jetzt gerade auch, gerade an den staatlichen Akteuren liegt, um eben diese Rahmenbedingungen zu schaffen, um die Investitionen wirklich zu machen, um Europa weiterzubringen und eben große Schritte zu wagen.
Diese neuen Tools sind keine einfachen Schraubenzieher, sondern sehr komplexe Tools. Und es ist, glaube ich, eine große Herausforderung, wirklich zu verstehen, was das Tool macht. Und intrinsisch glaube ich, dass uns diese neue Welt noch große Überraschungen bereithalten wird. Jetzt ein bisschen konkreter: Ich denke, dass durchaus auch große Entdeckungen möglich sein werden und passieren werden, weil eben wiederum mit demselben Argument, wir haben ein sehr, sehr potentes Tool jetzt, das zum Beispiel es ermöglicht, Korrelationen oder Details aus großen Datenmengen herauszufischen, die wir sonst vielleicht nicht oder nie in der Lage gewesen wären, für lange Zeit nie in der Lage gewesen wären. Und das ist ja gerade die Voraussetzung für große Entdeckungen, wenn man plötzlich etwas sehen kann, sehen unter Anführungszeichen, was bisher nicht möglich war. Die letzten Nobelpreise waren ein Beispiel dafür, dass es in die Richtung geht. Plötzlich sind Dinge möglich zu berechnen, die vorher einfach beyond reach waren. Dann wiederum, es geht eine Tür auf, und ich stehe vor einem weiten Feld. Das ist natürlich eine wunderbare Situation für Forscher.
Als Forschender, der es gewohnt ist, maximal international zu arbeiten, könnte man es ein bisschen als Dilemma ansehen. Einerseits möchte man offen sein für die ganze Welt, und man ist gewohnt, mit Menschen aus der ganzen Welt zu interagieren. Gleichzeitig gibt es aufgrund der geopolitischen Entwicklungen diese gegenläufige Tendenz. Aber eben versuchen wir es positiv zu sehen. Ich glaube, das Potenzial in Europa ist enorm. Wir haben sehr, sehr viele fantastische Köpfe. Wenn dann nicht jetzt dieses Potenzial ausspielen? Und es besteht auch, ich würde sagen, auch ein Druck. Alle reden davon, wir haben eine exponentiell schnelle Entwicklung. Wenn man nicht agil ist, wenn man sich jetzt nicht bewegt, wird man oder riskiert man im Abseits zu landen. Diese Entwicklung kann noch so massive Auswirkungen haben auf alles und nicht nur auf Forschung und Bildung, so dass man auch ein Risiko, wirklich ein Risiko eingeht, wenn man nicht mitmacht in diesem Wettrennen. wenn man das anderen überlässt, dass man dann irgendwann tatsächlich einen Nachteil hat, einen Standortnachteil in vielerlei Hinsicht. Also finde ich, die Tendenz, die es jetzt gibt, die Anstrengungen, die es jetzt gibt in Europa, sich wirklich auf die Hinterbeine zu stellen und loszulaufen, sehr gut. Ob sie reichen werden, werden wir sehen. Ich glaube, ein großes Dilemma, das in Europa einfach zu lösen ist, ist dieser Dualismus zwischen Regulierung und totaler Offenheit und schneller Entwicklung. Ich denke, der Weg sollte sein, einen guten Kompromiss darin zu finden. Das ist das große Challenge. Und damit komme ich jetzt auch, glaube ich, vielleicht zur grundlegenden Problematik überhaupt. Und das ist die Geschwindigkeit der Entwicklung. Die Geschwindigkeit der Entwicklung überfordert uns, und uns meine ich eigentlich alle, zusehends. Und in der Geschwindigkeit der Entwicklung ist diese Suche nach dem Kompromiss auch zwischen Regulierung und Weiterentwicklung schwerer als je zuvor. In dem Moment, wo ich einigermaßen einen klaren Kopf kriege zur Regulierung, ist die Welt, die ich zu regulieren habe, schon wieder ganz anders. Und das ist, glaube ich, vermutlich letztendlich die grundlegende Frage. Wie geht die Gesellschaft mit dieser Geschwindigkeit, mit dieser Beschleunigung um? Klar ist aber, in einer beschleunigten Situation, wenn ich stehen bleibe, dann fährt der Zug ab. Also, Europa, bitte, lasst uns mitlaufen, mitgehen und mitmachen und, wenn möglich, mitbestimmen, wo es hingehen kann.
Also, es braucht sicher massive Investitionen. Wir müssen dafür weiter sorgen, dass wir die besten Köpfe ausbilden, dass wir die besten Köpfe weiterhin anziehen und nach Europa auch ziehen, aber eben selbst auch ausbilden. Wie gesagt, das Potenzial meiner Meinung nach ist groß, weil historisch gesehen Europa auch ein gutes Bildungssystem hat. Wir sollten das Beste daraus machen. Aber es braucht natürlich auch Investitionen in Hardware, also in Infrastrukturen, und es braucht, glaube ich, sehr, sehr gute Rahmenbedingungen, dass das Grundlagenwissen, die Forschung, die gemacht wird, möglichst gut umgesetzt wird in die Industrie. Also gute Voraussetzungen, dass Firmen, dass Start-ups, kleine, große Firmen sich bestens entwickeln können. Letztendlich wird es auch sehr, sehr stark davon abhängen, wie Europa am Ende darstellt, diese Entwicklungsmöglichkeit der Firmen. Das ist ja gerade das Gebiet, wo Europa eigentlich systematisch Amerika hinterher hinkt. Also diese ganzen Rahmenbedingungen müssen geschaffen werden. Ich hoffe, Europa schafft es, in diesem Kontext noch vereinter aufzutreten und weniger Zeit zu verlieren in den interstaatlichen Diskussionen, die ja generell ja nicht schlecht sind, dass man die Dinge ausdiskutiert, aber man hat sehr wenig Zeit zum Diskutieren.