Impact of Science

Mit Mikroalgen die Welt retten

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Heike Frühwirth (Foto: Michael Herdlein)
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Frontalunterricht, wenn es um Verfahrenstechnik geht? Heike Frühwirth schüttelt entschieden den Kopf. „Das ist der völlig falsche Ansatz. Um die Prozesse und Stoffströme zu verstehen, die in der Industrie eingesetzt werden, braucht man vor allem praktische Erfahrung.“ Den Studierenden in Biberach verordnet sie deshalb zwei Semester Projektarbeit: Da wird Bier gebraut, Frittierfett in Biodiesel verwandelt, Zitronensäure gewonnen und Wasser mithilfe von Algen gereinigt. Die Arbeitsgruppen müssen jeden Prozessschritt exakt dokumentieren, damit sie die Verfahren auf industrielle Maßstäbe hochrechnen können. Am Ende präsentieren die Studierenden ihre Ergebnisse vor Vertretern der Industrie. Um diese einzuladen, greift Heike Frühwirth selbst zum Telefonhörer. „Es kommen viele Abteilungsleiter und Geschäftsführer, hören interessiert zu und stellen auch Fragen – eine gute Übung für die Studierenden. Aus den Diskussionen ergeben sich oft sogar neue Projekte.“

Hervorragende Ausstattung

Seit vier Jahren ist die gebürtige Grazerin Stiftungsprofessorin an der Hochschule Biberach. Den Umzug von der Steiermark nach Oberschwaben hat sie keinen Tag bereut. „Die Hochschule ist hervorragend ausgestattet, in der Umgebung gibt es unglaublich viel Gewerbe und der Job bietet tolle Gestaltungsmöglichkeiten.“ Der Kontakt zu den Kollegen sei vom ersten Moment an „herzlich“ gewesen. „Die Förderung durch einen externen Stifter wurde nie als Makel betrachtet, sondern vielmehr als Gütesigel.“ Und auch die Beziehung zum Stifter, dem Energieversorger EnBW, ist unkompliziert: „Ich bin völlig frei in meinen Entscheidungen, aber wir sind in Kontakt und besprechen Projekte.“

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Heike Frühwirth (Foto: Michael Herdlein)
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Heike Frühwirth an der sogenannten Extraktionsanlage. Hier lassen sich – unter Einsatz von CO2 – aus Biomasse Wertstoffe extrahieren.

Wie wird man Stiftungsprofessorin? Heike Frühwirth lacht. „Man bewirbt sich.“ Die Hochschule Biberach suchte einen Verfahrenstechniker mit Praxiserfahrung, um den Studiengang „Industrielle Biotechnologie“ aufzubauen. Das Ziel war es, den Studierenden neben dem klassischen Schwerpunkt Pharmazie eine zweite Möglichkeit der Spezialisierung und damit eine Fülle neuer Joboptionen anzubieten: Industrielle Biotechnologen sind im Energiesektor, in der Lebensmittelbranche, in der chemischen Industrie, in der Wasseraufbereitung und überall dort, wo Stoffströme behandelt werden müssen, gefragt. Die Mittel für den neuen Lehrstuhl steuerte der Energieversorger EnBW bei, der die Stiftungsprofessur zehn Jahre finanziert. Danach wird sie vom Land Baden-Württemberg übernommen. Frühwirths Profil entsprach genau den Vorstellungen der Hochschule: Studium der Verfahrenstechnik an der Technischen Universität Graz, Promotion über biotechnologische Gewinnung von Kunststoffen, sieben Jahre Industrieerfahrung beim Grazer Anlagenbauer BDI – BioEnergy International AG. Und last, but not least: Enthusiasmus.

„Ich bin völlig frei in meinen Entscheidungen.“

Heike Frühwirth
über die Arbeit als Stiftungsprofessorin

Manche Menschen bekommen leuchtende Augen, wenn sie von ihrem neuen Auto erzählen. Andere begeistern sich für Stricken, Bergsteigen oder Fotografieren. Heike Frühwirths Steckenpferd sind Stoffströme: „Wer die versteht, kann Ressourcen optimal nutzen und die Umwelt nicht mehr als nötig belasten. Das war mir immer wichtig: Ich bin ein Kind der 1970er- und 1980er-Jahre – da wollten wir alle die Welt retten.“ Schon früh erkannte sie, dass die Rettung der Welt im Kleinen beginnt: Erst brachte sie ihren Eltern bei, Müll zu trennen. Dann entschloss sie sich, Verfahrenstechnik zu studieren. „Wer Probleme lösen will, braucht technisches Know-how; eine Ingenieursausbildung schien mir genau das Richtige.“ Dass unter den 70 Studierenden ihres Semesters nur eine weitere Vertreterin des weiblichen Geschlechts war und die Professoren sie schon mal fragten, ob sie in der richtigen Vorlesung sitze, störte sie nicht. Ausgestattet mit dem technischen Rüstzeug entwickelte sie in ihrer Promotion ein Verfahren zur biologischen Gewinnung von Kunststoffen: Mit Molkereiabfällen gefütterte Mikroalgen produzierten den erneuerbaren Rohstoff Polyhydroxybutyrat, der ähnliche Eigenschaften hat wie der petrochemisch erzeugte Kunststoff Polypropylen.

Labor- oder Schreibtischarbeit?

Heike Frühwirth mit ihren Studierenden vor dem Fermeter, in dem Mikoorganismen kultiviert werden.
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Foto:Michael Herdlein
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Ein bisschen wehmütig wird sie schon, wenn sie an die Zeit im Labor zurückdenkt. Als Stiftungsprofessorin verbringt sie die meiste Zeit am Schreibtisch, im Hörsaal und in Konferenzräumen. Zum Forschen kommt sie kaum noch. Aber zum Glück gibt es ja die Praktika: Mit einer Gruppe von Studierenden erarbeitet Frühwirth derzeit für „Ingenieure ohne Grenzen“ ein Verfahren zur Reinigung von Trinkwasser. Auch hier spielen Mikroalgen wieder eine Schlüsselrolle: Die Mikroorganismen binden an ihrer Oberfläche Giftstoffe wie zum Beispiel Arsen. Trennt man die Biomasse ab, bleibt sauberes Wasser zurück. Die Technik soll schon in naher Zukunft das Leben der Menschen in Bangladesch verbessern, deren Brunnenwasser stark arsenbelastet ist. Ein Projekt ganz nach dem Geschmack Frühwirths: „Ein kleiner Beitrag zur Rettung der Welt und eine wichtige Erfahrung für die Studierenden.“

Der Förderer

EnBW gehört zu den größten Energieversorgern in Deutschland und in Europa. Mit rund 20.000 Mitarbeitern versorgt der Konzern 5,5 Millionen Kunden mit Strom, Gas, Wasser und energienahen Produkten und Dienstleistungen. Um künftig am Markt erfolgreich zu sein, nehmen Forschung und Entwicklung einen hohen Stellenwert im Unternehmen ein. Trends und technologische Entwicklungen will EnBW früh erkennen und in Forschungsprojekten Know-how aufbauen. Dazu pflegt der Konzern ein Partnernetzwerk zu Lieferanten, Kunden und zur Wissenschaft. Zu ausgewählten Themen kooperiert EnBW mit Hochschulen vor allem in Baden-Württemberg, wo das Unternehmen unter anderem mit der Finanzierung von Stiftungsprofessuren Forschung und Lehre ganz praktisch mitgestaltet.

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