Impact of Science

Detektivarbeit im Labor

Ana Marcu (Foto: privat)
Ana Marcu (Foto: privat)
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Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Fast vier Jahre lang hat Ana Marcu nach ihnen auf der Oberfläche von Zellen im weiblichen Brustkrebsgewebe gesucht – und so viele gefunden, dass sie am Ende ihrer Promotion der Medizin eine Sammlung schenken konnte, welche die Brustkrebsbehandlung einmal einige Schritte voranbringen könnte. Und das, obwohl sich die 30-jährige Biochemikerin in dieser Zeit in Tübingen auch noch um die nicht immer einfache „Diva“ kümmern musste. Aber beginnen wir von vorn.

Von Rumänien an die deutsche Universität

Ana Marcu, neugierige Augen, zufriedenes Lächeln, wurde geboren in Tîrgu Mureş in Rumänien als Tochter eines ungarischen Vaters und einer rumänischen Mutter. Sie besucht dort eine deutsche Schule, anschließend macht sie ihr Bachelorstudium in Biochemie an der Universität Würzburg. In der zweiten Hälfte ihres Masterstudiums – ebenfalls Biochemie – in Würzburg kommt sie für ein Praktikum an die Universität Tübingen, zur Abteilung Immunologie am Interfakultären Institut für Zellbiologie. Es geht bei ihrem Praktikum zunächst darum, den Kern der Arbeit des Instituts kennenzulernen: das Erforschen von Immunrezeptoren auf Zelloberflächen mithilfe immunbiologischer Methoden.

Stipendiatin Ana Marcu (Foto: Screenshot; Deutsches Stiftungszentrum)
Stipendiatin Ana Marcu (Foto: Screenshot; Deutsches Stiftungszentrum)
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Ana Marcu

Es passt, für beide Seiten, menschlich und fachlich, man ist begeistert. Und so macht Ana Marcu auch ihre Masterarbeit am Institut. Dann eröffnet sich die Möglichkeit, im Rahmen einer Doktorarbeit die sogenannten HLA-Peptide (HLA steht für das Humane Leukozyten-Antigen-System) auf Zellen im weiblichen Brustgewebe – gesunde Zellen und Tumorzellen – genauer zu untersuchen.

HLA-Peptide sind Proteinfragmente, die auf der Außenseite menschlicher Zellen „präsentiert“ werden und gewissermaßen zeigen, was im Zellinnern geschieht. Durch den Körper patrouillierende Immunzellen erkennen das HLA-Peptid und wenn es nicht besonders auffällig ist, ziehen die Immunzellen weiter.

Mehr als 42.000 solcher HLA-Peptide findet Ana Marcu auf Tumoren der Brustkrebspatientinnen. Ana Marcu soll und will herausfinden, welche HLA-Peptide man auf kranken, nicht aber auf gesunden Zellen findet – die Unterschiede. Im nächsten Schritt geht es darum, solche HLA-Peptide zu identifizieren, die auf möglichst vielen Tumorgeweben zu finden sind, und zwar nur dort – die Gemeinsamkeiten.

Die Idee: Das Immunsystem gegen Krebszellen trainieren

Die Idee dahinter ist eine spezialisierte Therapie: Wenn man weiß, welche HLA-Peptide ausschließlich auf Brustkrebsgewebe vorhanden sind, wäre das enorm interessant für eines der großen Zukunftsfelder in der Krebsforschung, in der Medizin allgemein: die Immunonkologie. Bei der Immunonkologie versucht man, Teile des Immunsystems – das können körpereigene Immunzellen sein, aber auch künstlich hergestellte und verabreichte Antikörper – gegen Krebszellen zu sensibilisieren. Anhand von HLA-Peptiden, die charakteristisch für den Tumor sind, könnte man das Immunsystem der jeweiligen Patientinnen und Patienten gezielt in diese Richtung trainieren. Eine Art Krebsimpfung für Patientinnen und Patienten, die bereits erkrankt sind.

Um zu verstehen, was auf gesundem Gewebe präsentiert wird, wird Ana Marcu im Rahmen ihrer Promotion zusätzlich den ersten öffentlichen Atlas an HLA-Peptiden erstellen, welcher 227 gesunde und gutartige Gewebe abdeckt. Dieser Atlas ist der erste Schritt, der es im Umkehrschluss erlaubt, fundiert sagen zu können: „Dieses Peptid kommt nur auf dem Tumor vor.“ 

Hype oder Hope in der Krebsforschung?

Doch das Thema ist nicht unumstritten. Trotz großer Forschungsanstrengungen – nicht nur an den Universitäten, auch bei Biotechfirmen – gibt es nur eine Handvoll zugelassene Therapeutika bisher. Deshalb sagen manche, die Immunonkologie sei nur ein Hype. Andere, darunter Ana Marcu, sprechen hingegen von Hope. 

Ana Marcu bewirbt sich zu Beginn ihrer Doktorarbeit für ein Promotionsstipendium bei der Bosch-Forschungsstiftung. Das Stipendium ist gut ausgestattet, entsprechend viele Stufen beim Bewerbungsverfahren mit vielen Bewerberinnen und Bewerbern gibt es. Am Ende bekommt Ana Marcu den Zuschlag. Beide Seiten sind auch mehrere Jahre danach mit der Entscheidung glücklich. „Ana Marcu arbeitete während ihrer Promotionszeit am Institut von Professor Rammensee nicht nur an einem Thema, das uns alle berührt – zukünftig den Krebs besiegen –, sie zeichnete sich auch durch ihre exzellenten Leistungen als Stipendiatin der Bosch-Forschungsstiftung aus“, sagt Michael Bolle, Vorstand der Bosch-Forschungsstiftung (siehe Kasten).

Auch dank des großzügigen Umfangs des Stipendiums kann Ana Marcu vom Ethik-Antrag bis zur finanziellen Planung von Anfang an alles selbst machen, sie stimmt sich dabei eng ab mit zwei ihrer geschätzten Betreuer, Hans-Georg Rammensee und Stefan Stevanović, beides Professoren für Immunologie an der Universität Tübingen. 

Foto: Screenshot Deutsches Stiftungszentrum
Foto: Screenshot Deutsches Stiftungszentrum
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Die Bosch-Forschungsstiftung

Zu ihrem 100. Firmengeburtstag hat die Robert Bosch GmbH 1986 die Robert Bosch Jubiläumsstiftung gegründet. Das Ziel: die Grundlagenforschung und den wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern und damit die Entstehung neuen Wissens zu ermöglichen. Seit 2016 trägt die Stiftung den Namen Bosch-Forschungsstiftung.

Zurzeit fördert die Bosch-Forschungsstiftung herausragende Nachwuchswissenschaftler, die an ausgesuchten Spitzenforschungsinstituten promovieren. Die Themenfelder erstrecken sich dabei von Algorithmen, Big Data und Machine Learning über Materialwissenschaften bis hin zur Medizintechnik.

„Ich habe eine Menge Erfahrungen und Wissen und auch ein paar Freundschaften gewonnen.“

Ana Marcu (Foto: Screenshot, Deutsches Stiftungszentrum)
Ana Marcu (Foto: Screenshot, Deutsches Stiftungszentrum)
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Ana Marcu
Stipendiatin der Bosch-Forschungsstiftung

Zu Beginn der Forschungsphase im Labor fehlt ihr aber vor allem eines: Gewebeproben. Philipp Wagner, Gynäkologe aus der Universitätsfrauenklinik, verspricht ihr, Bescheid zu geben, wenn eine Probe da ist. Schon nach ein paar Tagen kommt die erste WhatsApp-Nachricht von der Klinik: „Heute gibt’s Mamma-Gewebe vor OP-Saal 1.“ Ana Marcu lässt alles stehen und liegen und läuft mit einer Kühlbox an den Ausgang des OP-Saals – einige Minuten später hat sie ihre Proben. Insgesamt 47 Proben erhält sie in den kommenden Jahren auf diese Art und Weise, 37-mal waren es Tumorzellen, zehnmal war es gesundes Brustdrüsengewebe.

Ana Marcu (Mitte, schwarzes T-Shirt) zusammen mit den anderen Stipendiatinnen und Stipendiaten, Vertreterinnen und Vertretern der Stiftung sowie den Professorinnen und Professoren, die die Stipendiaten bei ihren Projekten unterstützen.
Stipendiaten der Bosch-Forschungsstiftung (Foto: Screenshot)
Stipendiaten der Bosch-Forschungsstiftung (Foto: Screenshot)
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Von harter Arbeit und Forscherglück

Die Arbeit im Labor ist in mehrerlei Hinsicht fordernd. Da sind einmal die experimentellen Analysen der Proben selbst, das Gewinnen der Daten, welche HLA-Peptide auf den jeweiligen Proben waren. Jede Analyse läuft einige Tage und es braucht einige Durchgänge, bis eine Probe vollständig analysiert ist. Und dann geht es ans Suchen: Welche HLA-Peptide tauchen wo auf? Wo gibt es welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede? Das ist keine reine Fleißarbeit mehr, sondern auch eine intellektuelle Herausforderung. „Die jeweils richtigen Peptide herauszusuchen und zu vergleichen und die Spektren zu bestätigen, das waren immer sehr kniffelige Stunden“, erinnert sich Ana Marcu. Aber am Ende hält die „Detektivarbeit“ manchmal auch Ausbrüche von Glücksgefühlen bereit: „Als ich alle Proben endlich zusammen ausgewertet hatte und bei einem HLA-Peptid gesehen hatte, dass es bei zwölf der 37 Tumorproben vorkam und auf keinem gesunden Gewebe – das war ein Wahnsinnsgefühl!“ Forscherglück, hart erarbeitet mit unzähligen Wochen und Wochenenden im Labor.

Und dann war da noch die „Orbitrap Fusion Lumos“, ein Massenspektrometer. Als das Institut es angeschafft hatte, war es eines der besten auf dem Markt. Mit einem Massenspektrometer kann man vereinfacht gesagt chemische Verbindungen finden und ihre Menge messen. Fast jeder im Labor brauchte es für seine Experimente – auch Ana Marcu. Aber kaum jemand kannte sich damit aus – außer Ana Marcu. Als sie im Labor anfing, hatte sie von einem ihrer Vorgänger gelernt, worauf es beim Handling des komplexen Geräts ankam. Seitdem war Ana Marcu für die Orbitrap Fusion Lumos mit zuständig: für die Wartung, für die Instandhaltung. Bei Problemen wurde sie angerufen. All das fraß 40 Prozent ihrer Zeit im Labor, schätzt sie. Manchmal machte die Orbitrap Fusion Lumos über Monate kaum Probleme, dann gab es wieder Phasen, wo es wochenlang ständig Ausfälle und Defekte gab. „Wir nannten das Ding manchmal auch ‚die Diva‘“, sagt Ana Marcu lächelnd.

Massenspektrometer (Foto: privat)
Massenspektrometer (Foto: privat)
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Detailaufnahme der „Diva“, dem Massenspektrometer, mit dem man chemische Verbindungen messen kann.

Inzwischen kümmert sich einer ihrer Nachfolger um die Diva. Seit Januar war Ana Marcu nicht mehr im Labor, das alles liegt jetzt hinter ihr – und zugleich begleitet es sie weiter: „Ich habe eine Menge Erfahrungen und Wissen und auch ein paar Freundschaften gewonnen“, sagt sie. Und auch ihre Doktorarbeit, die sie Ende 2020 abgab, wird sie weiter begleiten. Der Atlas der HLA-Peptide aus gesundem und gutartigem Gewebe hat in der Szene bereits für Aufsehen gesorgt. Denn Ana Marcu konnte durch den Vergleich der Datensätze der gesunden Zellen und der Krebszellen eine Reihe von HLA-Peptiden finden, die spezifisch auf bestimmten Brustkrebsproben vorkommen und gemeinsam für mehrere Subtypen und Patientinnen waren. Viele dieser brustkrebsspezifischen HLA-Peptide sind jeweils Sprungbretter für die Entwicklung neuer, wirksamer Therapien gegen bestimmte Brustkrebsarten.

Für Ana Marcu dürfte der Atlas noch einige Türen öffnen. Sie plant, ihren Postdoc in Kalifornien zu machen, und hat sich dort bei verschiedenen renommierten Unis beworben. Sie ist bereits in Gesprächen. Unsicher scheint nicht, ob sie dorthin geht, sondern wann sie in Kalifornien bei welcher Forschungseinrichtung anfängt.

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