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„Mir war nicht klar, was es bedeutet, keinen Strom mehr zu haben“

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Verlassene Tankstelle (Foto: iStock/ Dean_Fikar
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Wien, Ende Juli 2017. Es ist leicht bewölkt, 24 Grad. Marc Elsberg sitzt mit dem Smartphone in der Hand auf einer Parkbank in Wien und spricht über „Blackout“ und sein Leben. Kinder laufen vorbei, Kirchenglocken läuten, jemand pfeift nach seinem Hund. 

Herr Elsberg, Sie beschäftigen sich in Ihrem Roman „Blackout“ mit brisanten Themen. Hatten Sie schon einmal das Gefühl, dass mit Ihrem Computer etwas nicht stimmt und sich jemand in Ihren Dateien umsieht, was Sie da so recherchieren?  
Ehrlich gesagt mag ich nicht ganz ausschließen, auf dem Radar gewisser Leute gelandet zu sein, als ich mich intensiv darüber informiert habe, wie man die europäischen oder US-amerikanischen Stromnetze abschalten kann. Konkrete Hinweise habe ich dafür aber keine.

Sie schreiben aber noch nicht auf einer Schreibmaschine?   
Nein, noch nicht, obwohl ich das zugegebenermaßen überlege.

Sie erklären in Ihrem Buch sehr detailreich, wie Terroristen die Stromnetze manipulieren. Und auch einer Ihrer Helden, der italienische IT-Experte Piero Manzano, überschreitet immer wieder die Grenzen des Legalen, klickt sich ein in Unternehmens- und Behördennetzwerke. Fasziniert Sie das?
Es fasziniert mich tatsächlich, denn es zeigt ein großes Missverhältnis.  

Und zwar?
Dass unsere Gesellschaft von technologischen Systemen dominiert wird, die nur von einer verschwindenden Minderheit, von sehr wenigen technikversierten Menschen wie Piero Manzano, verstanden und beherrscht werden. Für die meisten Menschen, wie für mich auch, sind sie im Detail unverständlich und unzugänglich. 

Die Geschichte von „Blackout“ beginnt mit Unfällen durch ausfallende Ampeln, mit geschlossenen Läden, Autobahnraststätten, in denen Menschen auf dem Boden übernachten müssen, weil sie ohne Sprit nicht weiterkommen.
Vielen Leuten ist noch gar nicht so bewusst, dass wir in den vergangenen Jahrzehnten unsere Gesellschaft in eine moderne, völlig vernetzte Welt umstrukturiert haben, dass ein Krankenhaus heute funktioniert wie eine Automontagefabrik, dass es ebenso vernetzt ist, von Strom, Technik und Zulieferern abhängt. Auch mir selbst war vorher gar nicht so klar, was es bedeutet, keinen Strom mehr zu haben, dass dann auch das Wasser und die Klospülung ausfallen, die Tankstellen nicht mehr funktionieren und binnen Stunden jegliche Versorgung mit Lebensmitteln, Medikamenten oder industriellen Güter zusammenbricht. In „Blackout“ habe ich dargestellt, was möglich ist, welche Gefahren uns drohen und vor welche Entscheidungen uns die technologische Entwicklung stellt.

Wollen Sie die Leser wachrütteln? 
Ich mag sie dazu anregen, sich zu informieren und einen gesellschaftlichen Diskurs darüber zu führen.

Warum haben wir so wenig Ahnung davon, wie sehr sich die Welt verändert hat? Hat nicht jeder Einzelne auch die Pflicht, sich zu informieren?
Bis zu einem gewissen Grad hat jeder eine Holschuld, will er nicht dauernd blöd dastehen und sich darüber beklagen, dass er die Welt nicht mehr versteht. 

Müssten Wissen und wissenschaftliche Erkenntnisse auch besser kommuniziert werden?  
Auch das. Wissenschaftskommunikation sollte sich trauen, noch populärer zu sein. Da hat sich zwar speziell im deutschsprachigen Raum einiges getan in den letzten Jahrzehnten. Es gibt tolle Magazine im Fernsehen, im Radio, im Internet. Doch die sprechen in der Regel nur ein bestimmtes Publikum an, die ohnehin wissenschaftsinteressierten Bürger.   

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Marc Elsberg (Foto: Lukas Ilgner)
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Marc Elsberg

Marc Elsberg heißt eigentlich Marcus Rafelsberger. Das Pseudonym hat sich der Autor 2012 zugelegt, als sein erster Thriller „Blackout“ erschien. Elsberg (50) wuchs in der österreichischen Kleinstadt Baden auf und lebt heute in Wien. Nach der Matura wollte er zunächst Maler werden. Doch dann hat er Industriedesign studiert und stieg als Grafikdesigner in die Werbung ein. Weil er irgendwann nicht mehr „bloß Dinge schön machen“ wollte, wurde er Strategieberater und Kreativdirektor. Doch auch das genügte ihm bald nicht mehr. Nachts und an Wochenenden brühte er sich Kaffee auf und setzte sich mit seinem Laptop aufs Sofa, um Kriminalromane zu schreiben.  Ein paar Jahre und Bücher später, wurde er 2012 mit „Blackout“ international bekannt. Er gab seinen Job in der Werbebranche auf und wurde hauptberuflich Autor. 2014 erschien „Zero“, ein Roman, in dem er Big Data und Datenschutz zum Thema macht, 2016 „Helix“, eine Geschichte über die Möglichkeiten und Gefahren der Gentechnik. Auch diese beiden Bücher wurden zu Bestsellern.

Kann Ihr Buch da mehr?
Ich habe in „Blackout“ auf möglichst spannende Weise komplexe Zusammenhänge erklärt, die ich so bis dahin kaum beschrieben gefunden habe.

Warum drängt es Wissenschaftler häufig nicht, ihre Erkenntnisse in die Welt zu tragen?
Viele verstehen sich als Forscher, nicht als Vermittler des häufig spektakulären Wissens, das sie erarbeiten. Es kostet viel Mühe, das Komplizierte zu vereinfachen und sich denen verständlich zu machen, die außerhalb des jeweiligen Elfenbeinturms leben. Dazu fehlt es ihnen wohl oft an Willen und an Lust. 

„Wissenschaftskommunikation sollte sich trauen, noch populärer zu sein. “

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Marc Elsberg (Foto: Lukas Ilgner)
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Marc Elsberg

Sie haben jahrelang zu dem Thema recherchiert, mit Experten aus der Energie- und der IT-Branche und dem Katastrophenschutz gesprochen, auf wissenschaftliche Artikel zurückgegriffen und auf Nachkriegserinnerungen Ihrer Eltern und Großeltern. Ist „Blackout“ ein dokumentarischer Roman?  
„Blackout“ ist ein fiktives Was-wäre-wenn-Szenario. Doch alle Technologien, die ich in dem Buch beschreibe, sind real. Unser Stromnetz ist tatsächlich auf die dargestellte Weise verbunden, die beschriebenen Folgen eines Stromausfalls sind realistisch dargestellt. Es entspricht der Wahrheit, dass Schweden und Italien in der EU die Ersten waren, die in den Haushalten Smart Meter, also elektronische, aus der Ferne steuerbare Strommessgeräte, eingeführt haben, und tatsächlich hat es dabei entscheidende Sicherheitslücken im System gegeben.

Zu genau wollten Sie das aber nicht beschreiben.
Einige technische Details habe ich verändert, um keine Blaupause für Terroristen zu liefern. Auch wenn mir klar ist, dass wenn jemand Böses will, er sich seine Informationen nicht in meinem Roman besorgen wird. Aus dramaturgischen Gründen funktionieren die Telefon- und Internetverbindungen in der Geschichte länger, als es wahrscheinlich ist. Und ich habe etwa die Netzleitstelle des französischen Energieversorgers Électricité de France in die Zentrale des Unternehmens in Paris gelegt. Tatsächlich sind beide in unterschiedlichen Gebäuden untergebracht.

Ihre „Informanten“ wollten im Buch nicht namentlich genannt werden.
Für die Entwicklung der Geschichte waren sie unglaublich wichtig. Sie haben mich mit Wissen versorgt, mir erklärt, warum bestimmte Handlungen nicht funktionieren. Ein IT-Experte hat das Manuskript noch einmal auf seine fachliche Richtigkeit geprüft. Bei den kritischen Informationen, die sie an mich weitergegeben haben, wundert es mich nicht, dass sie anonym bleiben wollten.

Gab es fachliche Kritik am Buch?
Nicht von Experten. Die bestätigen mein Szenario.

„Inzwischen habe ich einen Lebensmittelvorrat für circa zwei Wochen zu Hause, so wie die Behörden es empfehlen.“

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Marc Elsberg (Foto: Lukas Ilgner)
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Marc Elsberg

Wie lange schreiben Sie an so einem 800-Seiten-Roman?
Ich arbeite sehr lange, manchmal Jahre, an den Recherchen und am Plot einer Geschichte. Für das reine Schreiben brauche ich vielleicht sechs Monate, manchmal etwas länger. An „Blackout“ habe ich, exklusive der Recherchen, etwa ein Jahr geschrieben. Damals hatte ich noch einen 60-Stunden-Job als Kreativdirektor in der Werbung und ich konnte mich nur in der Nacht und an den Wochenenden an den Laptop setzen.

Wird man paranoid, wenn man monatelang in solchen Geschichten steckt?
Ich kann ganz gut abschalten. Natürlich hat es aber etwas mit mir gemacht.  

Zum Beispiel?
Ich komme darauf, dass es gescheit wäre, manche Dinge anders zu machen als bisher. So war ich Zeit meines Erwachsenenlebens Bewohner großer Städte, Wien und Hamburg, und pflegte dort ein klassisch urbanes Einkaufsverhalten. Im Kühlschrank standen Lebensmittel für die nächsten paar Tage, irgendwo vielleicht noch ein halb volles Päckchen Mehl und Zucker. Das war‘s. Inzwischen habe ich einen Lebensmittelvorrat für circa zwei Wochen zu Hause, so wie die Behörden es empfehlen, und zwar Konserven, weil ich auch keinen Gaskocher habe.   

Sie haben inzwischen drei Bestseller geschrieben. Sind Sie jetzt reich?
Ha. Ich kann vom Schreiben ganz gut leben. Reich bin ich aber nicht. Ich wohne in keinem Schloss, sondern in einer Mietwohnung in Wien und habe auch keine Immobilien irgendwo am Meer. Dafür habe ich offensichtlich noch nicht genug Bücher verkauft.

Wie hat sich Ihr Leben verändert?
Als ein Verlag vor fünf Jahren das Manuskript von „Blackout“ gekauft hat, habe ich angefangen, hauptberuflich zu schreiben. Ich kann mir meine Zeit jetzt frei einteilen, das empfinde ich als großen Luxus. Ich gebe Interviews, werde, gerade als Autor von „Blackout“, zu vielen Vorträgen und Diskussionen von IT- und Energieunternehmen, Hochschulen und Schulen eingeladen.  

Auch die Fachhochschule Aachen haben Sie besucht.
Ja, ich fand es cool, dass man dort mein Buch als allgemeine Lektüre ausgewählt hat und sich ein Jahr lang in verschiedenen Veranstaltungen mit dem Thema Energieversorgung beschäftigt. Da konnte ich nicht Nein sagen, als man mich einlud.    

Sie haben 20 Jahre in der Werbung gearbeitet. Hilft das Werben für Joghurt oder Versicherungen, erfolgreiche Romane zu schreiben?
Auf jeden Fall. In der Werbung lernt man, Entscheidendes über ein Produkt attraktiv zu vermitteln. Für einen 30-Sekunden-Werbespot gelten dabei dieselben Regeln wie für ein 800-Seiten-Buch.

Das heißt? 
Wie macht man jemandem bewusst, was ihm nicht bewusst ist? Dass etwa ein bestimmtes Sofa unentbehrlich, weil weich und schön ist? Indem man es einfach weglässt. In der Werbung endet das oft im Slapstick. Man stellt dar, wie superbequem das Sofa ist, indem man zeigt, wie sich einer im Wohnzimmer darauf herumlümmelt. Dann blendet man das Sofa aus, lässt ihn auf den harten Boden fallen – und macht dadurch klar, wie weich und bequem doch das Sofa war. 

Und in „Blackout“ haben Sie den Strom weggelassen.
Genau. Um deutlich zu machen, wie wichtig diese vernetzten Systeme für das Funktionieren unserer modernen Gesellschaft sind. Und um bewusst zu machen, wie selbstverständlich wir ihn hinnehmen.   

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Logo: Stifterverband
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Eine Uni - ein Buch

In dem Programm „Eine Uni – ein Buch“ sind Hochschulen in Deutschland eingeladen, ein Buch zu bestimmen, über das ein Semester lang geredet und debattiert werden soll: Es kann ein Buch sein über die Religion, eine Abhandlung über Armut und Reichtum, ein klassischer Roman aus dem In- oder Ausland, ein zeitgenössisches Drama oder eine Anleitung zum Change-Management, es kann die beste Dissertation sein, die an der Hochschule ausgezeichnet worden ist – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. In der ersten Programmrunde war es die FH Aachen, die uniweit Marc Elsbergs Roman „Blackout“ las. 

Mehr zum Programm

Mehr Sicherheit für die vernetzte Welt

Sie waren Krimiautor, bevor Sie angefangen haben, Thriller zu schreiben, die in der technisch geprägten Welt spielen. Was hat Sie dazu bewegt?
Sicher spielt dabei mein Elternhaus eine Rolle. Mein Vater war Ingenieur, wie meine Großväter. Mein Bruder hat Physik studiert. Meine Mutter war eine Kreative, sie hat eine Mode- und Kunstschule besucht. Ich vereine wohl beide Seiten, indem ich Geschichten schreibe über Technik als soziales Phänomen. Was genau mich dazu bewogen hat, weiß ich nicht. Es gab keine Schlüsselerlebnisse. Es hat sich, wie vieles in meinem Leben, einfach ergeben, Türen haben sich geöffnet und ich bin hineingegangen. Warum bin ich in der Werbung gelandet? Keine Ahnung. Zunächst dachte ich, ich werde Maler, dann habe ich Industriedesign studiert. Warum bin ich Schriftsteller geworden?

Und in fünf Jahren?
Schreibe ich vielleicht noch Romane oder ein Drehbuch. Oder es zieht mich zur Malerei zurück. Oder etwas ganz anderes. Wer weiß.

Welche gesellschaftliche Zukunft wünschen Sie sich? Würden Sie manchmal gern das Rad des technischen Fortschritts zurückdrehen?
Auf keinen Fall. Ich halte die Vernetzung und Umstrukturierung nicht für negativ. Im Gegenteil, sie ermöglicht es uns, so zu leben, wie sich das kein Kaiser vor 100 Jahren erträumt hat. Wir haben es nur versäumt, mehr Sicherheit in das System hineinzudesignen. Nun müssen wir überlegen, wie wir in der Welt, wie wir sie geschaffen haben, möglichst gut zurechtkommen, wie wir künftige Entwicklungen sicherer gestalten – und die neuen Möglichkeiten möglichst vielen Menschen verfügbar machen.

Was haben Sie sich als nächstes Thema vorgenommen?
Ich beschäftige mich mit diversen Themen. Sie werden nicht erwarten, dass ich Ihnen jetzt schon mehr dazu erzähle ...  

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