Lehre

Medizin: Gute Lehre als Joint Venture

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(Foto: David Ausserhofer)
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Der Studienbefund war für den leitenden Oberarzt Christoph Nikendei ein Alarmsignal: Satte 20 Prozent der Medizinstudierenden am Universitätsklinikum Heidelberg hatten im letzten Studienabschnitt, dem praktischen Jahr, bereits mit Burn-out-Symptomen zu kämpfen. Für den Leiter der Sektion Psychotraumatologie war klar: „Wir müssen in der Lehre mehr tun, um die Stressprävention zu verbessern.“

Der erste Schritt: Eine kontrollierte Studie mit 100 Studierenden in zwei Vergleichsgruppen. Sie sollte zeigen, mit welchen Maßnahmen Lehre die Studierenden effektiv unterstützen kann. „So konnten wir ein evidenzbasiertes Antistressprogramm aufbauen, das den Studierenden in Belastungssituationen tatsächlich hilft“, erklärt Nikendei. Beispielsweise bei der stationären Ausbildung. „Da vermitteln wir heute, wie sich Arbeitsabläufe und die Interaktion mit Patienten und dem medizinischen Team besser strukturieren lassen“, freut sich der 45-Jährige.

Dass aus der Idee des Mediziners schnell Taten wurden, verdankt Nikendei einem Senior-Fellowship der Baden-Württemberg Stiftung. Mit dem Fellowship-Programm stellen die Stiftung, das Land Nordrhein-Westfalen und der Stifterverband Hochschullehrern finanzielle Mittel für erfolgversprechende Projektideen bereit. 

So beispielsweise auch Sigrid Harendza. Die Fachärztin für Innere Medizin und Nephrologie und stellvertretende Klinikdirektorin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) baut mit einem Senior-Fellowship des Stifterverbandes gerade ein neues Wahlpflichtangebot auf. Hier können Studierende frühzeitig erproben, ob sie eine Neigung zum medizinischen Lehrberuf und Interesse an der Lehr- beziehungsweise Lernforschung haben und später eine entsprechende Laufbahn einschlagen wollen. Ein Basismodul zu Präsentationstechniken und Feedbackstrategien ist bereits erfolgreich am Start. Harendza war viele Jahre in der medizinischen Grundlagenforschung tätig, bevor sie die Lehre als Forschungsfeld für sich entdeckte. Im Jahr 2010 wurde die heute 51-Jährige auf eine Professur für Innere Medizin und Ausbildungsforschung am UKE berufen. 

Fellowships für Innovationen in der Hochschullehre

Gute Hochschullehre braucht eine gute Förderung. Deshalb vergibt der Stifterverband gemeinsam mit der Baden-Württemberg Stiftung und dem Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen Fellowships. Gefördert werden Hochschullehrer mit nachgewiesener didaktischer Expertise und einem innovativen Entwicklungsvorhaben zur Verbesserung von Lernmodulen oder -formaten. Ab 2017 neu im Programm: ein Fellowship für digitalgestützte Innovationen. Zwei zweitägige Fellow-Treffen im Jahr und die jährliche Lehr-Lern-Konferenz bieten den Fellows darüber hinaus eine Plattform für Austausch und Vernetzung. 

Mehr Infos zu den Fellowships 

Bestens vernetzt

Bei regelmäßigen Treffen tauschen sich die Fellows über neue Lehrideen aus.
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Die ausgezeichneten Fellows treffen sich regelmäßig und tauschen sich über neue Lehransätze aus. (Foto: Peter Himsel)
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Das Fellowship unterstützt die Hochschullehrer nicht nur mit einer Finanzspritze, sondern fördert auch den kollegialen Austausch. Bei den Fellow-Treffen kommen Hochschullehrer aller Couleur zusammen – Architekten, Historiker, Physiker, Volkswirte und eben auch Mediziner. Nikendei und Harendza sind sich einig: „Es ist inspirierend, über den Tellerrand zu schauen.“ Denn hier eint sie alle ein Ziel: die Lehre zu verbessern.

Dass das Fellowship die Chance zur Vernetzung bietet, ist Bettina Jorzik, Leiterin des Programmbereichs Lehre und akademischer Nachwuchs beim Stifterverband, besonders wichtig. „Lehrende brauchen wie Forschende eine Plattform, auf der sie sich austauschen und quasi gegenseitig Honig saugen können.“ Die Programmleiterin weiß: „Mediziner fragen das Fellowship besonders stark nach.“ Doch: Vernetzung für gute Lehre sei das eine. Um Verbesserungen systematisch anzugehen, müsse man die Lehre auch professionalisieren. 

Vorbild Medizin

Dazu gibt es in Deutschland für Mediziner schon seit 2004 den Studiengang Master of Medical Education (MME) – eingerichtet nach internationalem Vorbild und seinerzeit durch Studienstipendien des Stifterverbandes maßgeblich gefördert. Am Aufbau des Studiengangs war Martin Fischer beteiligt. „Inzwischen bilden wir in Deutschland jedes Jahr 25 Masterstudierende aus“, sagt der Facharzt für Innere Medizin und Leiter des Instituts für Didaktik und Ausbildungsforschung in der Medizin am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München stolz. „Es gibt hierzulande keine medizinische Fakultät mehr, an der heute nicht mehrere MMEler an der Lehre mitwirken.“

Der Münchner weiß, wie wichtig das ist, denn die medizinische Lehre steht vor großen Herausforderungen. „Wir vermitteln die Studieninhalte zu fragmentiert, das kann auf Dauer für unsere Absolventen nicht funktionieren“, sagt Fischer. Viele Kleinstfächer hätten sich einen Platz im Lehrplan erobert. In den medizinischen Grundlagenwissenschaften gingen Ärzte in spe immer öfter bei Naturwissenschaftlern wie Biochemikern oder Informatikern in die Lehre. „Wir müssen uns fragen: Was für ein Arzt oder Mediziner soll für die Gesellschaft am Ende des Studiums herauskommen?“

„Wir müssen uns fragen: Was für ein Arzt oder Mediziner soll für die Gesellschaft am Ende des Studiums herauskommen?”

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Martin Fischer (Foto: Klinikum der Universität München)
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Martin Fischer
Leiter des Instituts für Didaktik und Ausbildungsforschung in der Medizin am Klinikum der Universität München

Den Versuch einer Antwort gibt der „Nationale Kompetenzbasierte Lernzielkatalog Medizin“ (NKLM), den Fischer zusammen mit seinen Kollegen von der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung, deren Vorsitzender er ist, der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften und dem Medizinischen Fakultätentag erarbeitet hat. Er liegt jetzt den 37 medizinischen Fakultäten in Deutschland zur Erprobung vor. Nach kanadischem Vorbild sind die Studieninhalte hier über die unterschiedlichen Rollen des zukünftigen Arztes, beispielsweise als Forscher, Lehrer, Gesundheitsberater, Manager, Kommunikator und Teamplayer, organisiert.

Für die Lehre, so Fischer, heiße das: „Wir müssen mehr übergeordnete Kompetenzen vermitteln.“ Beispielsweise die Kompetenz, Probleme zu lösen, wissenschaftlich zu arbeiten und erfolgreich mit Kollegen und Patienten zu kommunizieren. Diese neuen Lernziele soll auch die heterogene Gruppe der Lehrenden besser integrieren. „Biochemiker und Internist wirken hier am gleichen Lernziel mit.“

Schulung für Dozenten

Dass man den vielstimmigen Chor der Lehrenden gut orchestrieren muss, ist auch das Credo von Reinhard Putz. Der inzwischen emeritierte Professor für Anatomie an der Ludwig-Maximilians-Universität München war in den Neunzigerjahren maßgeblich an der Reform des Medizinstudiums in der sogenannten Munich-Harvard-Alliance beteiligt.

Von der Bostoner Harvard Medical International wollten sich die Münchner damals eine neue Lehr- und Lernkultur abgucken. Eine der wichtigsten Neuerungen war die Einführung von Teach-the-Trainer-Kursen. Hunderte von Lehrenden sind in München seither durch die Dozentenschulung gegangen. Die Kurse sind heiß begehrt, es gibt Wartelisten. Und Putz weiß: „Die Leute gehen mit einem Aha-Erlebnis hinaus.“ Die Wirkung der Fortbildungen reiche aber viel weiter. „Durch die Kurse hat die Fakultät über alle Gruppierungen hinweg eine gemeinsame Sprache und ein gemeinsames Grundverständnis entwickelt – und das bis heute.“ Gerade erst ging in München der 40. Trainingskurs zu Ende.

Um Verbesserungen in der Lehre anzustoßen, braucht es in jedem Fach erst einen gewissen Leidensdruck, weiß Bettina Jorzik. Der Medizin bescheinigt die Stifterverbandsexpertin aber generell einen hohen Qualitätsanspruch an die Lehre und die Bereitschaft, zu investieren. „Mediziner sind ähnlich pragmatisch wie Ingenieure: Wenn sie ein Problem sehen, sind sie bereit, es zu lösen.“

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