Jan Wörner: Wie Innovationen besser gelingen können

"Wettbewerb ist gut, Wettbewerb spornt an. Und auf der anderen Seite gibt es die Kooperation. Und sie ermöglicht Dinge, die man alleine nicht machen kann."

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Jan Wörner (Video)
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Innovation ist nicht der eine Geistesblitz und auch nicht nur ein geradliniger Entwicklungspfad. Damit sie gelingt, kommt es auf ein regelrechtes Innovationsnetz an, in dem viele Akteure eingebunden sind. Hier liegt für Jan Wörner, Präsident von acatech, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften, der Schlüssel für ein erfolgreiches und letztlich auch krisenfestes Innovationssystem: in der fruchtbaren Interaktion zwischen den verschiedenen Forschungsbereichen. Hier gebe es allerdings in Deutschland durchaus noch Luft nach oben.

In Zeiten, in denen Kooperation über Ländergrenzen hinweg wieder schwieriger zu werden scheint, bleibt die Zusammenarbeit auf EU-Ebene ein Erfolgsmodell. Die Arbeitsteilung etwa für die europäische Raumfahrt zeige dies eindrücklich – ohne den Konkurrenzgedanken gänzlich auszuschalten. Wörner: "Wettbewerb ist gut, Wettbewerb spornt an." Aber die Kooperation ermögliche eben Dinge, die man alleine nicht machen kann. Auch beim westlichen Weltraumprogramm habe sich die Kooperation mit Russland als sehr nützlich erwiesen, meint Wörner, der bis 2021 Generaldirektor der europäischen Raumfahrtagentur ESA war.

Jan Wörner hofft, dass der militärische Konflikt in der Ukraine nicht wieder einen jahrzehntelangen Kalten Krieg nach sich zieht und statt der Konfrontration wieder das Miteinander die Forschungsbeziehungen prägen wird. "Auch das, glaube ich, sind wir der Jugend schuldig."

Das Interview entstand im Zusammenhang mit dem Forschungsgipfel 2022.

 

Transkript des Videos

Mein Credo ist wirklich Antoine de Saint-Exupéry: Du sollst nicht die Zukunft voraussehen, sondern ermöglichen. Wenn wir das beherzigen, dann wird es uns gut gehen.

Für mich ist der zentrale Punkt erstmal die Definition von Innovation. Das ist eben das Ende einer Kette. Die geht von Invention bis zur Innovation. Also, Invention ist für mich immer dieser schön benutzte Begriff von Grundlagenforschung. Und dazwischen gibt es mehrere Schritte. Und was von zentraler Bedeutung ist, wenn man wirklich Innovation fördern will, dass man eine nahtlose Kette von der Invention bis zur Innovation herstellt. Dass man also nicht sagt: Okay, macht ihr mal Grundlagenforschung, ihr macht mal angewandte Forschung, ihr macht mal Entwicklung. Und dann wundert man sich, dass viele Ideen unterwegs gar nicht weiterverfolgt werden. Also, nahtlose Innovationskette ist ein Punkt. Der zweite Punkt: Wir reden ja in diesen Zeiten auch unter dem Eindruck des Krieges in der Ukraine häufig mit dem Wort Resilienz. Und auch Innovation muss resilient sein. Was damit gemeint ist, ist zweierlei: Erstens, wir dürfen nicht nur einen Pfad haben von der Invention bis zur Innovation, sondern wir müssen ein Innovationsnetz haben. Das sind durchaus auch parallele Aktivitäten und vor allen Dingen auch interdisziplinäre Aktivitäten und die untereinander verknüpfen. Wiederum nicht sagen: Okay, macht ihr mal Medizinforschung, ihr macht mal Automobilforschung, und ihr macht vielleicht Raketenforschung, sondern man muss versuchen, durch verschiedene Instrumente diese Themen querzuverbinden, und dann kommen ganz tolle Sachen heraus.

Ich versuche immer wieder zu sagen: Mir geht es nicht um die Kritik am System, sondern mir geht es darum, einfach innerhalb des Systems das Beste herauszuholen, was geht, und gleichzeitig dort, wo vielleicht noch Verbesserungsmöglichkeiten sind, auch zu verbessern. Und natürlich haben wir so ein paar Dinge, die wir haben: Wir haben diese starke Zersplitterung auch von Forschungsbereichen. Und ich habe ja auch schon vorhin gesagt, dass ich die Verbindung von verschiedenen Forschungsbereichen für außerordentlich wichtig halte. Und wenn wir mal sozusagen aus der Weltraumperspektive auf die Erde gucken würden oder auf Deutschland gucken würden und sehen würden, was es da alles gibt, dann würden wir erstmal sagen: Toll! Nur wenn wir dann gucken würden, dass die Bereiche nicht so stark interagieren wie sie vielleicht könnten, dann würden wir sagen: Okay, da könnt ihr noch was machen. Das gilt für die großen Forschungseinrichtungen, die wir haben in Deutschland. Das gilt aber auch für die Verbindung zwischen Wirtschaft  und Wissenschaft. Dafür steht ja auch gerade acatech. Ich glaube, das sind alles Potenziale, da brauchen wir nicht groß zu bejammern, was ist, sondern wir können die Potenziale ausschöpfen.

Also, ich fühlte mich eigentlich wenig gebremst in der Vergangenheit. Wenn ich das fühlte, so beispielsweise bei der TU Darmstadt am Anfang, dass ich sagte: Diese heftige Regulierung durch Hochschulgesetze! Dann bin ich hingegangen zum hessischen Landtag und habe ein eigenes TU-Darmstadt-Gesetz auf den Tisch gelegt, und der Landtag hat das einstimmig über alle Parteien hinweg beschlossen. Und damit war das Thema sozusagen erledigt. Dasselbe habe ich auch in den anderen Akvitäten gemacht, im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt oder auch bei der ESA. Ich glaube, wir sollten nicht immer jammernd nach hinten gucken, sondern unsere größte Aufgabe, jedenfalls Leute, die so tolle Positionen einnehmen durften wie ich das durfte, haben eigentlich nur eine Funktion, nämlich die Zukunft möglich zu machen. Das habe ich immer verstanden. Ich habe das natürlich nicht selber gemacht, die Sache, sondern ich hatte immer tolle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber denen muss man den Freiraum intern geben, und da ist immer genügend Freiraum möglich.

Ich war ja jetzt sechs Jahre lang in der Raumfahrt unterwegs, und da hatten wir die schöne Situation: Wir hatten 22 Mitgliedsländer und dann noch ein paar assoziierte und kooperierende, aber 22 Mitgliedsländer. Und wir hatten eine tolle Lösung, wie man jetzt die einzelnen Mitgliedsländer zur Kooperation bringen kann. Das ist ein monetärer Ansatz gewesen, aber er hat funktioniert. Das heißt: Georeturn. Das heißt, wenn der Generaldirektor, das war ich, einen Vorschlag gemacht hat: Wir wollen jetzt eine Mission zum Mond oder zum Mars machen, dann konnten die verschiedenen Länder sagen, wieviel Prozent sie beitragen wollen für die Kosten, für den Preis, den ich gegeben habe. Und wenn sie jetzt gesagt haben: zehn Prozent, dann wurde das festgeschrieben. Und wenn wir dann Verträge gegeben haben, haben wir zehn Prozent der Verträge in dieses Land gegeben. Und das heißt, das Land hat nach seinen eigenen Schwerpunkten etwas setzen können. Zum Beispiel: Estland hat ganz stark in Richtung IT sich positioniert. Oder Frankreich hat sich ganz stark in Richtung Trägerraketen positioniert usw. Also, ich glaube, es muss nicht überall dasselbe sein. Wettbewerb ist gut. Und wenn man das zusammenbringt über Kooperation, dann erreicht man wirklich was Tolles.

Naja, es ist schon so, auch während meiner Zeit als Generaldirektor, wenn wir einen europäischen Astronauten mit einem deutschen Pass oder mit einem französischen Führerschein im Weltall hatten, wenn die zurückkamen, haben die Nationen, die sich mit dieser Nationalität dann identifiziert haben, massiven Druck gemacht, dass die Person dann immer in das Land kommen sollte. Ich habe das immer durchbrochen, indem ich dann genau die anderen dahingeschickt habe. Hat nicht immer zur Begeisterung geführt. Auch in Deutschland, wenn ich jetzt fragen würde, wer sind die europäischen Astronauten? Ich glaube, Alexander Gerst fällt einem ein, typischerweise Deutscher. Matthias Maurer wird einem einfallen, ist aber auch ein Deutscher. Thomas Reiter würde einem einfallen, auch ein Deutscher. Ob Samantha Cristoforetti, Timothy Peake und diese einfallen würden? Bin ich nicht so ganz sicher. Also, wir müssen noch an Europa arbeiten.

Also, ich zitiere immer Simon & Garfunkel: Bridge over troubled water. Das ist, was Raumfahrt sein kann, was auch die Wissenschaft in der Breite sein kann. Und ich habe versucht, den jungen Leuten immer klar zu machen, dass der Erfolg sozusagen zwei Eltern hat, Vater und Mutter. Wer jetzt Vater ist, wer Mutter, ist mir egal. Also, da gibt es einerseits den Wettbewerb. Wettbewerb ist gut, Wettbewerb spornt an. Und auf der anderen Seite gibt es die Kooperation. Und die Kooperation ermöglicht Dinge, die man alleine nicht machen kann. Europa hat mit Russland kooperiert, und wir haben Dinge machen können, auch gemeinsam mit den Amerikanern, die hätten weder Europa noch die Amerikaner alleine machen können, denn nach der Stilllegung des Spaceshuttles war man auf russische Transportmöglichkeiten angewiesen. Also, auch selbst da gab es die Kooperation, und natürlich gibt es auch einen Systemwettbewerb, und es gibt einen gesellschaftlichen Wettbewerb. Und das ist auch gut so, denn keiner hat die Wahrheit für alles. Aber natürlich ist jetzt in diesen schwierigen Zeiten, die Hoffnung wieder auf Kooperation zu haben, vielleicht etwas naiv, aber ich hoffe trotzdem darauf. Ich hoffe, dass wir wieder dazu kommen müssen, dass wir nicht jetzt eine längere Phase nach dem heißen Krieg, den wir erleben gerade, des Kalten Kriegs haben und dass wir dann wieder erst in 20 Jahren wieder langsam zusammenkommen. Meine Hoffnung ist, dass wir doch schnell Frieden haben und dass wir dann auch schnell wieder in eine gemeinsame Linie kommen. Auch das, glaube ich, sind wir der Jugend schuldig.