Lernorte

Und täglich grüßt die Super-Plattform

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Foto: iStock/Wanchanta
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Das digitale Tagebuch des Dr. D.: Achter Eintrag, November 2018

Es gibt ein Thema, das in regelmäßigen Abständen in der digitalen Bildungslandschaft auftaucht. Erinnerungen an „Und täglich grüßt das Murmeltier“ werden wach. Ich komme mir wie in einer Zeitschleife gefangen vor, zwar nicht so radikal wie Phil Connors, aber das Grundmuster ist ähnlich.

Das wiederkehrende Ereignis ist die Verkündung einer neuen, großartigen Lernplattform, die alles bietet, was das Netz derzeit so hergibt. Gern orientiert man sich dabei an Facebook oder Netflix, denn die sind sehr beliebt und viele Menschen verbringen dort viel Zeit. Wahrscheinlich ist das eine Strategie, um von den harten Fragen abzulenken. Fragen, die sich um Bildung drehen. Stattdessen spricht man lieber von Learner-Experience, da diese einfacher herzustellen ist im Vergleich zu Bildungsprozessen. Auf diese und weitere Annahmen gehe ich später noch ein. Zunächst geht es um die drei großen Lernplattformideen, die aktuell im Umlauf sind.

1. Die Schulcloud

Im Schulbereich ist das die Cloud. Dieser Dienst soll zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Zum einen sollen flächendeckend massig digitale Inhalte angeboten werden, die bisher nur verstreut auf einzelnen Schulrechnern vorliegen. Zum anderen sollen Anreize für neue digitale Lehr-/Lernkonzepte geschaffen werden. Dazu sollen sich zum Beispiel Fachkollegen über die Schulgrenzen hinaus vernetzen können. Da die Cloud (theoretisch) von jeder Schule aus erreichbar ist, entfallen Wartungskosten – und weitere Kosten lassen sich insgesamt senken. So weit, so gut, wenn nur nicht der Föderalismus wäre. Denn dadurch gibt es nicht nur eine Schulcloud. Da das Thema bildungspolitisch hochgesetzt ist, sehen sich die Bundesländer einem Entwicklungsdruck ausgesetzt. Dieser führte dazu, dass in Baden-Württemberg kürzlich der mit viel Marketing-Bohei angekündigte Start von „Ella“, der „elektronischen Lehr- und Lernassistenz“, wegen gravierender technischer Probleme auf unbestimmte Zeit verschoben wurde. Andere Länder machen weiter, gleichzeitig bleibt die Kritik bestehen, zum Beispiel an der Möglichkeit, die in der Datenwolke anfallenden Daten durch Algorithmen zu pädagogischen Vorschlägen weiterzuverarbeiten.

„Wir haben es heute mit exakt vermessenen Identitäten zu tun. Man bekommt von der KI gesagt, wer man ist und wie man zu lernen hat.“

Markus Deimann
Markus Deimann (Foto:privat)
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Markus Deimann

2. Nationale Plattform für digitale Hochschullehre

Im Bereich der Hochschulen schwirrt seit dem Hype um Massive Open Online Courses (MOOCs) die Idee einer nationalen Plattform für die digitale Hochschullehre umher. Das Jahr 2012 wurde als „Year of the MOOC“ ausgerufen, da auf einmal sehr viele Hochschulen, zumeist US-amerikanische, ihre sonst teuer verkauften Kurse auf Plattformen kostenlos für alle anboten. Man sprach mit ernst gemeintem Pathos von der Demokratisierung von Bildung und ärgerte sich dann über die hohen Abbruchraten. Die Rechnung ging nicht auf, denn nur Menschen mit akademischer Vorbildung und ausreichenden digitalen Kompetenzen profitieren von den MOOCs. Trotzdem blieb in Deutschland das Verlangen, eine nationale MOOC-Plattform zu betreiben, nach den Vorreitern in Europa wie Frankreich und Großbritannien. Mit der Machbarkeitsstudie für eine (inter-)nationale Plattform für die Hochschullehre hat das Hochschulforum Digitalisierung (HFD) kürzlich Anforderungen zusammengetragen und an die Politik zur weiteren Bearbeitung übergeben. 

3. Bildungs-Netflix

Schließlich legte vor wenigen Tagen eine Arbeitsgruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Entwurf für ein „Modulares Interaktives Lebensbegleitendes Lernen für Alle“ (MILLA) vor, von der Presse auch als eine Art Bildungs-Netflix bezeichnet. Damit soll die Wende in der Weiterbildung endlich eingeläutet werden und verhindern, dass es weiterhin gleichzeitig Arbeitslosigkeit und Fachkräftemangel gibt. Mit einem System, das an kybernetische Steuerungsmodelle erinnert, werden „Kompetenzpunkte“ (als Währung der Weiterbildung) von den Anbietern vergeben, ein fortlaufendes „Skilltainment“ (eine besonders brachiale Anlehnung an die durch Streamingdienste bekannten Nutzungsgewohnheiten) angeboten und die Materialien ständig qualitätsgesichert. Bei so viel digitaler Kraft schlägt MILLA auch ordentlich ins Geld und es werden dafür bis zu vier Milliarden Euro im Jahr veranschlagt. Dabei sind noch nicht einmal Ministerien oder der Koalitionspartner im Bund über die Pläne informiert.

Allen drei Plattformbeispielen ist gemeinsam, dass sie Menschen in einen abgeschlossenen virtuellen Raum einsperren wollen. Dies ist das genaue Gegenteil von dem, wie man sich ursprünglich die digitale Gesellschaft vorgestellt hat. So schrieb etwa der Medienphilosoph Vilém Flusser von der Informationsgesellschaft als einer Infrastruktur, die auf vernetzter Kommunikation aufbaut. 

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Illustration: Irene Sackmann
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Bildung trotz(t) Digitalität

Markus Deimann beschäftigt sich seit 2001 mit Bildung und Digitalisierung. Er arbeitete an verschiedenen Hochschulen und promovierte und habilitierte im Fach Bildungswissenschaft. Er provoziert gerne mit Texten, Vorträgen oder im Podcast „Feierabendbier Open Education“. Es geht ihm um eine sachlich-kritische Auseinandersetzung mit Technik, jenseits von Hype und Untergangsphantasien. Seit 2017 gehört er zum Kernteam des Netzwerks für die Hochschullehre im Hochschulforum Digitalisierung (HFD). Auf MERTON schreibt er als Dr. D. eine regelmäßige Kolumne mit dem vieldeutigen Titel Bildung trotz(t) Digitalität. 

Markus Deimann auf Twitter.

„Auf Plattformen werden Bildungspotenziale systematisch entfernt und durch Programmierung ersetzt. Freiheit wird durch Kontrolle ersetzt. Fragen durch Antworten.“

Markus Deimann
Markus Deimann (Foto:privat)
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Markus Deimann

Heute sind Plattformen attraktiv, weil sie Ordnung in einer komplexen Welt bieten. Man muss sich dort nicht mit Fake News abplagen, sondern bekommt qualitätsgesicherte, leicht verdauliche Lernhäppchen serviert, abgestimmt auf das eigene Lernen. Man muss nicht selbst nach Inhalten suchen, sondern bekommt von einer intelligenten Software passende Vorschläge serviert. Wer sich auf der Plattform danebenbenimmt, wird vom Administrator entfernt, sodass andere beim Lernen nicht gestört werden. Die Bedienung ist intuitiv und auf optimale User-Experience ausgerichtet und man kann die Plattform nahtlos über alle möglichen Geräte erreichen. Wer sich besonders gut anstellt, bekommt gleich ein Jobangebot. 

Je mehr ich mir die Vorzüge der Plattformen ausmale, desto deutlicher zeichnet sich das Bild des sich ent-bildenden Menschen ab. Systematisch werden Bildungspotenziale entfernt und durch Programmierung ersetzt. Freiheit wird durch Kontrolle ersetzt. Fragen durch Antworten.

Zeit für Alternativen

Galten einmal die frühen Online-Communitys und Netzkulturen als Orte zum spielerischen Umgang mit der eigenen Identität, so haben wir es heute mit exakt vermessenen Identitäten zu tun. Man bekommt von der künstlichen Intelligenz (KI) gesagt, wer man ist und wie man zu lernen hat. Wenn das die Vorbereitung auf die neue digitale Welt sein soll, dann hat sie sich gewaltig verändert. Man könnte es als Eingeständnis der Dominanz der Internetgiganten verstehen, die mit ihren Diensten und Technologien fast vollständig unsere Handlungen im digitalen Raum bestimmen. Sie haben eine Welt geschaffen, an der wir uns nicht abarbeiten, sondern an die wir uns anpassen.

Zeit also, Alternativen zu entwickeln? Das ist mittlerweile auch beim Gründungsvater des Internets, Tim Berners-Lee, angekommen, der sich angesichts der Profit- und Kontrollgier der Konzerne Sorgen um die Gesundheit des Internets macht. Mit dem Contract for Web soll die mittlerweile verschwundene Netzkultur wiederbelebt werden. Diese besteht aus unbeschränktem Zugang zu allem, was im Internet steht, und aus dem Schutz der Privatsphäre. Dadurch soll ein neuer digitaler Humanismus entstehen, der das Beste der Menschheit fördert und das Schlechteste bekämpft. Da auch Facebook und Google den Kontrakt unterzeichnet haben, kann die Realisierung angezweifelt werden.

Neben technischen Alternativen braucht es auch eine alternative Bildung. Einerseits eine Rückbesinnung auf die ursprüngliche Idee von Bildung, als Ausdruck von reflektierten Persönlichkeiten, die sich in der Auseinandersetzung mit der Welt bilden. Heute geht es mehr um Kompetenzen, Qualifikationen und Skills – die auch wichtig sind, aber nicht das abbilden können, was den Menschen ausmacht. Andererseits sollten wir das digitale Netz als das begreifen, was es ist, und nicht immer wieder versuchen, die Strukturen der analogen Welt in das Digitale hinüberzuretten. Die oben genannten Plattformen sind so auch Ausdruck von fehlendem Mut und mangelnden Visionen.

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